8. LICHTER Filmfest Frankfurt International vom 17. bis 22. März, Samstag, Teil 19

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Sogar eine Weltpremiere ist diese Vorführung des Films über den Solti-Wettbewerb in der Astor Film Lounge, die ein angemessener Ort ist, denn hier paßt Musik beim bequemen Sitzen besonders gut.

 

Leider muß man den Leuten erstmal erklären, wer Georg Solti ist. Vielleicht kommt auch deshalb im Titel dieser aus Ungarn stammende, in Frankfurt und London – Sir Georg Solti! - zur Weltberühmtheit gewordene Dirigent überhaupt nicht vor. Und auch nicht, daß es um den nach ihm benannten Dirigentenwettbewerb in der Alten Oper Franfkurt geht. Aber, stimmt schon, so wichtig ist das eigentlich hier nicht, denn es ist nur der Ausgangspunkt für Götz Schauder, der nach der Weltpremiere am Samstag, den Gästen erklären wird, wie er dazu kam, gerade diesen Film zu planen und nach sieben Jahren auch fertigzustellen. Er hatte nämlich bei einem der ersten Wettbewerbe für 3 Sat einen Beitrag von drei Minuten zu liefern und fand das absolut zu wenig im Verhältnis zu der spannenden Situation, die er mit den jungen Dirigenten erlebte.

 

Ob wir ohne das Wissen um den Solti-Wettbewerb angesichts des so vielfältigen und spannenden Programms der LICHTER auch in den Film gegangen wären? Das kann man nicht mehr aufklären, denn das Programmheft hat ja deutlich ausgeführt, was einen erwartet: Alle zwei Jahre bewerben sich hunderte Dirigenten um einen Platz im prestigeträchtigen Internationalen Dirigentenwettbewerb Sir Georg Solti. Ihr Ziel: das Finalkonzert in der Alten Oper. Benannt nach dem früheren Generalmusikdirektor der Stadt sind die Ansprüche an den Spitzennachwuchs hoch. Am Pult des hr-Sinfonieorchesters und des Opern- und Museumsorchesters zählen musikalisches Talent, Körpersprache, Empathie, Autorität, Disziplin, Leidenschaft. Der Film begleitet fünf Teilnehmer der Endrunde in diesen karriereentscheidenden Tagen zwischen Erfolg oder Niederlage und dokumentiert eindrucksvoll das filigrane Wechselspiel von Dirigent und Orchester. Götz Schauder, Absolvent der HfG Offenbach, gelingt nicht nur ein intimes Porträt der Künstler. Mit dem faszinierenden Blick hinter die Kulissen der Klassik und die Klanggewalt der Musik setzt er auch den beiden Frankfurter Orchestern mit ihren herausragenden Instrumentalisten ein filmisches Denkmal.

 

Und bevor wir zum Film kommen, ein Rückblick auf Michael Gielen, auch ein ehemaliger Frankfurter Operndirektor, der beim ersten Wettbewerb in der Alten Oper vom 1. bis 15. September 2002 der Juryvorsitzende war und gesagt hatte: „Junge Künstler verdienen jede Ermutigung.“ Damit die Nachwelt über die Prominenz der Jury nur so staunen kann – leider kein Dokumentarfilm über dieses erste Mal – nur der Hinweis, daß drei weitere Frankfurter Operndirektoren ebenfalls in der Jury saßen: Gary Bertini, Sylvain Cambreling und Paolo Carignani.

 

Der Film fängt ganz sachlich an, mit dem Alltag derer, die sich für den Wettbewerb beworben haben – es ist der 4. Wettbewerb vom 3. bis 9. November 2008, Zahlen werden im Film aber ausgespart, wohl, weil er allgemeingültig verstanden werden soll. Wir erleben die junge Dirigentin aus der Neuen Welt, die am Flughafen mit dem Köfferchen ankommt. Was das Geheimnis des Dirigierens ist? Das versucht Jurymitglied Karl Rarichs, in Frankfurt wohl bekannt, mit dem Hinweis zusammenzufassen: „Es muß eine Persönlichkeit sein.“ Die Jury wird uns vorgestellt und der Film bringt in guter Mischung von fünf Bewerbern aus den 24 Zugelassenen – das ist schon die halbe Miete, daß man bei über 560 Anmeldungen aus 80 Ländern zum Wettbewerb überhaupt zugelassen worden ist! - sowohl deren private Hintergründe zu Hause, ihre 20minütige Probenarbeiten mit den Orchestern während des Wettbewerbs, die Fragen der Juroren, die immer bei den Proben hinten sitzen, ins Bild auf der Leinwand, was für die Zuschauer die Atmosphäre gut nachvollziehbar macht.

 

Eigentlich ist das das Wichtigste, daß einem dieser Film von 79 Minuten, der einem viel länger vorkommt, nicht über wird, weil Regisseur Götz Schaudert ein Grundprinzip beherzigt: das Interesse am Menschen. Innerhalb der fünf Protagonisten wird schnell klar, daß der Star Aziz Shokhakimov heißt, ein 1988 in Taschkent geborener junger selbstbewußter Musiker, der, wie man erfährt mit seinen 20 Jahren schon das Symphonieorchester seiner usbekischen Heimat in Taschkent leitet. Er ist das erste Mal in Deutschland und mit ihm – stärker als mit dem Schotten, mit dem er sich schnell befreundet - durchleben und durchleiden wir den Wettbewerb. Denn im Gegensatz zu seinem neuen Freund erreicht er zwar die Zwischenrunde von neun Erwählten, scheitert aber bei den Finalisten.

 

Mit dem Furor der Jugend und eben auch einer gehörigen Selbstgewißheit ärgert er sich über sein Scheitern, denn er ist einer, der nicht genießt, überhaupt gekommen sein zu dürfen, sondern einer, der sich ärgert, nicht weiterzukommen und nicht den Solti-Preis bekommen zu haben, von dem er im Film schon so spricht, als ob er dessen gewiß ist. Wie unterschiedlich die einzelnen mit der Belastung eines Wettbewerbs umgehen, geht aus dem Film auch hervor.

 

Wir haben überhaupt nur eine Kritik, nein zwei Kritiken daran. Wir fühlten uns am Schluß allein gelassen. Da hatte man sich mit vier Kandidaten beschäftigt, einen fünften richtig gut kennengelernt und dann ist der Film mit dem Finale und dem Sieger: Shizuo Kuwahara, der zwei Jahre zuvor Zweiter geworden war, einfach aus. Da hätten wir uns schon eine kurze Information gewünscht, was aus den fünf Leuten geworden ist. Ob sie heute – also sieben Jahre später – ein Orchester leiten und welches.

 

Wäre nicht das Gespräch über den Film mit dem Regisseur und dem Überraschungsgast gewesen, hätten wir auch nichts zum heimlichen Hauptdarsteller erfahren: Aziz Shokhakimov war nämlich gekommen – und er hatte es nicht weit. Am Vorabend hatte er das hr-Sinfonieorchester geleitet, das Orchester, das er bei seinem Vorspielen 2008 kennengelernt hatte. Gar zu gerne hätten wir von den Musikern erfahren, wie sie das Wiedersehen nach sieben Jahren empfunden hatten, worin sein Lernen als Dirigent bestand. Es langt aber zu betonen, daß er am Vortag stehende Ovationen bekam, abgesehen davon, daß er schon 2010 in Bamberg den Gustav-Mahler-Dirigierwettbewerb gewann. Daß er sich heute gar nicht so gerne als junger Heißspund nun im Film wiedersieht, auch das ist verständlich. Für alle anderen ist er aber ein interessanter Hauptdarsteller in diesem Film über den wichtigsten Dirigentenwettbewerb der Welt, zu dem der von und in der Alten Oper ausgetragene Wettbewerb unter den 30 internationalen zählt.

 

Und da kam uns Michael Sanderling, Dirigent der Spitzenklasse, als weiterer Gesprächspartner nach dem Film gerade recht. Denn er sagte unverblümt, daß er solche Wettbewerbe ablehne, weil sich das Eigentliche dort doch nicht zeigen könne, weil die Vergleichbarkeit einfach dem Musikmachen fremd sei. Er sprach nicht von den Äpfel und den Birnen, aber die Richtung war klar.

 

P.S. Unsere zweite Kritik liegt am nicht übersetzten Englisch, der weite Teile des Films überzieht sowie auch das Gespräch nach dem Film. Wir befinden uns immer noch in Deutschland. Es ist respektlos gegenüber denen, die Englisch nicht so beherrschen, in einem deutschen Kino in einem deutschen Film die Gespräche nicht auf Deutsch durch Untertitel zu bringen. Sobald Russisch ertönt, sind die Untertitel da. Daß auch für fortgeschrittene Englischsprecher das Genuschelte, oft nebenbei oder im Hintergrund Gesagte seine Mühe macht, kommt dazu.