8. LICHTER Filmfest Frankfurt International vom 17. bis 22. März 2015, Teil 17

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) -  Die Sensation kam zum Schluß. Im anschließenden Filmgespräch mit der Regisseurin zu ihrem Dokumentarfilm FRITZ BAUER-TOD AUF RATEN, das wie immer lebhaft und aufklärend war, fragten die Zuschauer wiederholt danach, ob es denn wirklich keine Hinweise auf die Art des Todes des Hessischen Generalstaatsanwalts gäbe.

 

Da überraschte die Autorin und Regisseurin das Publikum mit einer Mitteilung, die wie eine Bombe einschlug: Natürlich könne man den Tod Fritz Bauers nicht mehr aufklären, aber es gäbe viele Zeugenaussagen, aus denen man durchaus eine fiktive Geschichte zu Bauers nicht aufgeklärtem Tod in der Badewanne aufbauen könnte, unter Einbeziehung der Unterlagen der Staatsanwaltschaft Frankfurt, der gerichtsmedizinischen Gutachten sowie der Aussagen von Professor Gerchow, der die Erstobduktion durchführte und sich im gerade geschauten Film mehr als erstaunt zeigte, daß aufgrund der Ergebnisse keine weitere Untersuchung erfolgte, obwohl Fritz Bauer bedroht wurde und sogar eine Pistole trug.

 

Ilona Ziok fuhr fort, nachdem ihr Feinde des Films ohnehin unterstellten, ihren Dokumentarfilm auf Mordtheorien aufgebaut zu haben, würde sie immer mehr an einen Spielfilm denken, der sich genau mit diesem Thema befaßt. Und nun sei sie sogar einen Schritt weiter: Durch eine Sendung im Fernsehen wäre sie auf den dänischen Kriminalschriftsteller Jussi Adler-Olsen aufmerksam geworden, da hätte es klick gemacht. Denn auch Fritz Bauer hatte ja durch sein Exil in Dänemark, vor allem seine Ehe mit einer Dänin die dänische Staatsangehörigkeit, weshalb sie ihren Aufenthalt am nächsten Wochenende in Kopenhagen nutzen wolle, um Adler-Olsen zu treffen und ihn zu einem Drehbuch zu einem solchen Spielfilm anzuregen.

 

Spannend auch die weiteren Informationen, daß es sich die in den USA anerkannte und prämierte deutsche Regisseurin (ein Interview mit ihr in der Cannes Ausgabe des HOLLYWOOD FILMMAGAZINS "The Business of Film": http://www.countandcomrade.de/scans/cannes.pdf9 ) auch gut vorstellen könne, besser: es sinnvoll erschiene, nach drei deutschen Spielfilmen als filmische Weiterführung ihres Dokumentarfilms über Fritz Bauer, jenen über seinen Tod als internationale Koproduktion mit einem bekannten englischsprachigen Schauspieler in englischer Sprache zu machen. 

 

 

Aber nun zurück zum Anfang: zum Film

 

Filmvorführung von FRITZ BAUER - TOD AUF RATEN an einem Samstag um 13 Uhr in der Stadt? Ungewöhnliche Uhrzeit, aber am Nachmittag sollte es noch den ersten Spielfilm über Fritz Bauer IM LABYRINTH DES SCHWEIGENS geben und LICHTER hatte diese Reihenfolge gewählt. In Berlin macht(e) man es umgekehrt, weil nach dem Spielfilm für diejenigen, die Fritz Bauer noch nicht kennen, die Figur erst so richtig interessant und fragenswert wird.

 

Wie oft wir diesen Fritz Bauer Film schon gesehen haben? Mehr als fünfmal sicherlich und obwohl er völlig anders als der gefühlvolle Spielfilm CASABLANCA ist, taugt doch auch TOD AUF RATEN perfekt zum Kultfilm. Er läßt aus den Fernsehaufnahmen der Sechziger, den Aussagen von Zeitzeugen, aus Hörbeiträgen, aus den kommentierten Fotos aus Familienalben und der Zeitgeschichte, den Erinnerungen des Neffen in Kopenhagen und

dem Gedächtnis seiner besten Freunde die Figur eines homo politicus entstehen, die getragen von Ethik und Moral der Menschenrechte für die junge und noch naziverseuchte Bundesrepublik eine Orientierungsfigur wurde.

 

Fritz Bauer konnte zu dieser beispielgebenden Persönlichkeit gerade deshalb werden, weil die alten Herren mit ihrem antidemokratischen Weltbild von gestern noch fest in den Sätteln saßen, also auch ihn bekriegten und zu eliminieren versuchten, was Fritz Bauer nun posthum erst recht heraushebt, weil man von heute aus die Metapher vom Zwerg auf den Schultern von Riesen besonders gut anwenden kann. Diese aus dem Mittelalter stammende Wendung meint uns Leute, die auf den Schultern der Riesen von gestern stehend, heute besonders weit sehen können.

 

Warum man diesen Film immer wieder sehen kann, hängt mit der Vielfalt der Personen im Film, den unterschiedlichen Perspektiven, des Stroms der Erinnerung so vieler und dem eigenen Interesse zusammen. Wie schlicht Fritz Bauer auftrat, ohne den Pomp dieser Alten Herren von gestern, kann man genauso erleben, wie seine visionäre Kraft, wenn er von der Jugend in ihrem Angesicht die demokratische Zukunft erhofft, diese Jugend aber gleichzeitig auch mit dem Freiheitsgedanken infiziert, einem verantwortungsbewußten, sich einmischenden Bürger, das Gegenteil vom autoritären Charakter, von dem Adorno sprach und der Deutschland in den Abgrund geführt hatte.

 

Trotzdem wird einem immer wieder das Herz schwer, weil man bei den Aufnahmen mitverfolgt, wie schwer es einer in den Fünfzigern und Sechzigern hatte, wenn er – von heute aus – Selbstverständlichkeiten äußerte. Daß wir heute vieles – längst nicht alles, denn ans Eingemachte, wie beispielsweise einen latenten Antisemitismus, müssen wir alle noch ran – als so selbstverständlich einschätzen, wie beispielsweise die Anwesenheit und Rücksichtnahme auf Behinderte im Öffentlichen Raum, das verdanken wir historischen Personen wie Fritz Bauer. Denn diejenigen zur gerichtlichen Verantwortung zu ziehen, die als Ärzte oder Personal die ungeheuerlichen Euthanasieprogramme der Nazis durchführten, war Herzensanliegen von Bauer, was ihm verwehrt blieb und zur Frage berechtigt, was von den damaligen Verfahren eigentlich heute noch durchführbar wäre.

 

 

Einschätzung und Filmgespräch

 

Ilona Ziok hat mit ihrem Film, der 2010 auf der Berlinale die Weltpremiere hatte und seither erfolgreich durch die Welt tourt und eben auch das bessere Deutschland zeigt, eine schon vergessene Figur der Zeitgeschichte wiederbelebt. Anders kann man das heutige Interesse der Filmemacher an der Person des Fritz Bauer gar nicht interpretieren. Nachdem im November 2014 IM LABYRINTH DES SCHWEIGENS herauskam, ein Film über die Entstehung und Durchführung der Auschwitzprozesse und eben auch ein Film über die weithin noch undemokratische und rückwärtsgerichtete Bundesrepublik, wo wir in der Gestalt des Gert Voß einem monolithisch würdevollem Fritz Bauer begegnen, der wenig mit dem wirklichen sinnenfrohen Fritz Bauer zu tun hatte, aber eindrucksvoll wirkte, werden wir Fritz Bauer bald in DIE HEIMATLOSEN sehen, einem Film von Lars Kraume, in dem Burghart Klaußner den Bauer gibt und es um dessen Rolle bei der Ergreifung des Massenmörders Eichmann in Argentinien geht. Schon kündigt sich aber der dritte Film über Fritz Bauer an, den Nico Hofmann produziert, der für die großen Zuschauererfolge deutscher geschichtlicher Filme im Fernsehen bekannt ist.

 

Fritz Bauer verstarb am 1. Juli 1968 in Frankfurt a.M.. Er wurde tot in der Badewanne aufgefunden. Warum heute allein bei der Begriffskombination von Badewanne und Tod einem weitere rätselhafte Todesfälle einfallen, war 1968 noch nicht absehbar. Bauers Tod war aber auch damals rätselhaft genug, was der Film TOD AUF RATEN sehr differenziert darstellt.

 

Daß das nicht alles gewesen sein kann und daß es noch spannend wird, dafür sorgte die oben erwähnte Ankündigung von Ilona Ziok, daß sie sich zwecks Dramatisierung/Drehbuch noch in dieser Woche in Kopenhagen mit dem dänischen Schriftsteller Jussi Adler-Olsen treffen will. Der hatte gerade am 17. März in Deutschland den Ripper Award erhalten, den diesjährigen europäischen KrimiPreis, der ihn am Montag bis nach Brüssel brachte. Mit dem Vorhaben eines Spielfilms über den Tod von Fritz Bauer schließt sich gewissermaßen ein Kreis, den Ilona Ziok mit FRITZ BAUER – TOD AUF RATEN begonnen hatte.

 

P.S.:

Neugierig sind wir nicht nur auf den Filminhalt, sondern auch auf die Protagonisten, in erster Linie, wer Fritz Bauer verkörpert. Darüber hatte vor allem Lelle Franz in ihrem Interview zum IM LABYRINTH DES SCHWEIGENS räsoniert, wo sie, die sie Fritz Bauer noch sehr gut persönlich kannte, in dem durch Gert Voß dargestellten Bauer den echten Fritz Bauer nicht wiedererkannte, gleichwohl die Darstellung imponierend fand.

 

Info:

 

Verfolgen Sie dies in

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kino/4515-zeitzeugin-lelle-franz-zu-im-labyrinth-des-schweigens

 

Über Adler-Olsen in

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/4492-ueberraschendes-eintauchen-in-die-welt-der-hippies-und-flowerpower

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/4493-von-den-schoenen-jungen-frauen

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/4494-ripper-award-und-lesereise-durch-deutschland

 

Über Fritz Bauer und seine Filme durch Eingabe von Name und Titel in der Suchfunktion des Titels:

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