8. LICHTER Filmfest Frankfurt International vom 17. bis 22. März 2015, Exkurs zu Fritz Bauer:Teil 18

 

Horst Bingel

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - „Viel Vergnügen“ wünschte die junge Dame vom LICHTER FILMFEST zur Vorführung des Films FRITZ BAUER – TOD AUF RATEN. Sie hatte es ja gut gemeint, aber lag bei diesem Film halt völlig daneben und die Leute schüttelten nur die Köpfe. Viel Erkenntnis, viel Gefühl, darunter auch viel Trauer, darum ging es.

 

 

Wie gut, daß Barbara Bingel zur Filmvorführung gekommen war. Denn sie hatte die Schrift ihres Mannes, des 2008 verstorbenen Horst Bingel, den in Frankfurt jeder als Schriftsteller und Lyriker kannte, dabei, die dieser im Blick auf Fritz Bauer geschrieben hatte und las sie vor. Das war die richtige Einleitung und würdige Anknüpfung an den Film. Die Redaktion

 

 

Über das Weinen

 

Du weinst. Das ist völlig unökonomisch. Du weinst, versetzt Berge. Mach' die Augen zu, du weinst weiter. Die Spaßgesellschaft lebt ohne Pause. Und doch fing das mit dem Weinen in Deutschland vielleicht schon 1945 an. Wir haben verdrängt, um aus unseren Trümmern herauszukommen, um weiterzukommen, wir sind das Volk der DM und später des Euro geworden. Ein Volk von Händlern, und bald saßen wir im Gewinn fest und haben das Weinen, die Wut und die Trauer nun ganz vergessen. Wer weint, macht kein Geld, wer trotzdem weint, gehört auf die Couch.

 

Das Volk hat das Volk verloren, wir haben uns aufgegeben und sitzen in nichts als einem bisschen Geld fest. Wir haben unsere Seelen verbrannt. Auschwitz, damit kann niemand mehr leben, wir sind ganz einfach weggelaufen, Hasenpanier. Dabei hat uns in den Sechzigern Doktor Fritz Bauer, Generalstaatsanwalt, der Mann mit dem Auschwitzprozess, die Chance gegeben, im Glück zu weinen, im Licht, in Trauer und Wut die Befreiung zu finden. Wer weint, lebt im Fluss, in der Liebe. Doktor Fritz Bauers große Anstrengung war umsonst. Wir leben weiter in der Lüge. Auschwitz war kein Meister in Deutschland. Wir weinen nicht.

 

Du weinst und willst gar nicht weinen. Wer weint, ist kein Mann. Ein Mann ist ein Mann, ist eine Rose. Du weinst, wer weint wird keine Geschäfte machen. Die Tränen sind nicht rund, sie sind kein Fußball. Die Auferstehung im Stadion zu Bern, eine Chimäre. Wer über Auschwitz nicht weint, wird Goethe, Schiller, Kant, Nietzsche verlieren. Mausetot.

 

Wir aber haben noch immer nicht geweint. Deutschland, eine Nation auf Stelzen. Die Aufarbeitung unserer Geschichte, eine einzige leere Volkshochschulstunde. Was war, war nicht wahr.

 

Du weinst, das ist völlig unökonomisch. Du wirst das deutsche Wirtschaftswunder endgültig vernichten, das Doktor Helmut Kohl unter dem Hintern des Nichtstuns in sechzehn Jahren beinahe schon begraben hatte. Das deutsche Volk auf tönernen Füßen. Ein Volk, das nicht trauert, gefährdet seine Nachbarn. Du weinst, das ist völlig unökonomisch. Doktor Fritz Bauer hatte allen eine Chance geboten. Wir suchen Hitler. Im Spiegel, wir selbst. Der Hitler in uns selbst. Du weinst, Du wirst Goethe und Schiller wiedergewinnen. Du weinst, das ist völlig unökonomisch. Doktor Fritz Bauer allein ist der Mann mit dem Auschwitzprozess geblieben. Ein Meister des Weinens. Er weint nicht mehr. Deutschland, eine einzige Spaßgesellschaft.