Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. März 2015, Teil 2

 

Kirsten Liese

 

Berlin (Weltexpresso) – Noch einmal Verfehlung? Ja, dieser deutsche Film über Mißbrauch in der katholischen Kirche ist es wert, ein zweites Mal gesehen zu werden. Und ein zweites Mal rezensiert zu werden. Daß das Thema in die Kinos drängt, konnte man auch auf der diesjährigen Berlinale verfolgen, wo ein so diffiziler wie drastischer Film aus Chile EL CLUB mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde. Die Redaktion

 

 

VERFEHLUNG

 

Jakob und Oliver fühlen sich der katholischen Kirche stark verbunden, der eine engagiert sich als Seelsorger im Gefängnis, der andere in der Verwaltung seines Bistums. Als überraschend Pfarrer Bertram, ihr bester Freund, wegen Verdachts auf sexuellen Missbrauch verhaftet wird, fallen die Glaubensbrüder aus allen Wolken. Jakob forscht nach und findet heraus, dass die Anschuldigungen nicht aus der Luft gegriffen sind. Die Wahrheit stürzt ihn in eine schwere Krise, denn außer ihm will sich ihr keiner stellen. Der Täter leugnet seine Schuld, Oliver vertuscht sie im Bemühen, von der Kirche Schaden abzuwenden.

 

VERFEHLUNG ist von zahlreichen Fällen sexuellen Missbrauchs inspiriert, die 2010 bekannt wurden. Gerd Schneider, selbst ehemaliger Priesteramtskandidat, wirft ein Licht auf die Strukturen innerhalb der katholischen Kirche, die den Skandalen Vorschub leisteten. Der Film nimmt jedoch in seiner Kritik nicht die Kirche als Institution ins Visier, appelliert vielmehr an das Verantwortungsfehl jedes Einzelnen. Differenziert nimmt er das Verhalten seiner Protagonisten zwischen geistlichem und weltlichem Leben unter die Lupe. Im Fokus steht der aufwühlende Gewissenskonflikt eines mit seinem Aufklärungswillen auf verlorenem Posten stehenden Mannes. Das dicht inszenierte Kammerspiel überzeugt dank glaubwürdiger Psychologie, komplexen Charakteren und starken schauspielerischen Leistungen.

 

Pädophilie und sexuelle Übergriffe in katholischen Einrichtungen beschäftigen das Kino schon länger. Gerd Schneider wählt einen anderen Ansatz als beispielsweise Pedro Almodóvar (La mala educacion, 2004): Die Opfer erscheinen hier in Gestalt zweier traumatisierter Jungen und ihrer alleinerziehenden Mütter und Väter nur als Randfiguren. Ihre Ängste, Ohnmachtsgefühle und Verwundungen lassen sich gleichwohl gut nachempfinden. Mit der gewählten Perspektive von Personen aus dem Umfeld eines Täters, die sich mit unlauteren Mitteln aus der Verantwortung stehlen wollen, wirft der Film vor allem Fragen nach dem beruflichen Selbstverständnis von Klerikern und nach erforderlichen Veränderungen zum Schutz der Minderjährigen auf. Am Beispiel des in einen Loyalitäts- und Gewissenskonflikt geratenden Protagonisten lassen sich zudem die individuellen Entscheidungsspielräume von kirchlichen Mitarbeitern erörtern und Vorurteile von Geistlichen als lebensfernen Menschen revidieren.