GoEast:15. Festival des mittel- und osteuropäischen Films, von Freitag, 24., bis Mittwoch, 29. April in Wiesbaden, Teil 6

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Zu einem besonderen Erlebnis wurde AUF DER SUCHE NACH DER VERLORENEN LANDSCHAFT - das man auch BRESLAU UND SEINE JUDEN hätte nennen können -, was sowohl für den Film wie auch die anschließende Diskussion mit dem Regisseur Leo Kantor gilt.

 

Für Deutsche zumal brachte der Film eine gehörige Menge an Informationen, ausgehend von einer nur als Vertreibung zu kennzeichnenden infamen politischen Aktion des kommunistischen Gomulkaregimes im Frühjahr 1968 in Polen. Damals mußten fast alle Juden Breslaus ins Ausland ins Exil gehen, sie wurden regelrecht ausgebürgert. Ausgangspunkt aber ist erst einmal, wie nach dem 2. Weltkrieg, in dem die Deutschen die in Schlesien angesiedelten Juden fast alle in den KZs umgebracht hatten, rund um Breslau, das jetzt Wroclaw wurde, die größte europäische Enklave der dem Holocaust entkommenen Juden entstand: in Breslau selbst waren das rund 15 000 und in den Kleinstädten Niederschlesiens an die 100 000 Menschen.

 

Leo Kantor, der mit seinen Eltern der Vernichtung durch die Deutschen entkam, der in Strzegom, eine der Städte rund um Breslau, aufwuchs, ist als Betroffener, der also 1968 seine Heimat verlassen mußte und nach Schweden emigrierte, besonders geeignet, einen Film, eine autobiographische Dokumentation über das zu machen, was er als Heimat im Herzen trägt. Und wie sehr er diese Heimat liebt, das sieht man den über die Wiesen und Felder schwelgenden Bildern an, wobei man sich gar nicht genug sattsehen kann am Blühen und Grün der Landschaft. Insofern versteht man auch gleich am Anfang, warum der Film AUF DER SUCHE NACH DER VERLORENEN LANDSCHAFT, der in der Folge vom Leben und Vertreiben der Juden aus Breslau erzählt, so heißen muß, denn die schier überbordende Kraft der Natur dortzulande, die taucht in den 40 Filmminuten immer wieder auf, als Tröstung gewissermaßen, daß der Mensch zwar sich selbst zerstört, das Wachsen und Gedeihen der Natur aber immerwährend weitergeht.

 

Das mußten wir einfach sagen, denn es sind hinreißende Filmbilder, die man auch nach dem Film im Gedächtnis behält. Ansonsten erfaßt einen bei der Darstellung des regelrechten Exodus der gerade heimisch gewordenen neuen jüdischen Gemeinde von Breslau und darum herum tiefe Trauer. Wir können die ganzen Zahlen, sowohl der angesiedelten wie der ermordeten Juden über die Jahrhunderte hinweg, nicht wiedergeben, haben in Erinnerung, daß seit dem Mittelalter sich in Breslau – womit die Umgebung immer mitgemeint ist – Juden ansiedelten, wobei es 1453 zum ersten Pogrom kam, weil der verdammenswerte Johannes Capistrono die Juden der „Hostienschändung“ bezichtigte. Das kennen wir aus der Kunstgeschichte, weil so etwas in der spätmittelalterlichen Malerei ein beliebtes Thema war.

 

Später gab es im 19. und 20. Jahrhundert eine blühende jüdische Gemeinde in Breslau, die einheitlich blieb, obwohl auch dort neben dem konservativen Teil längst das Reformjudentum Wurzeln schlug, wofür der auch hier bekannte Abraham Geiger steht. In einem Rundumschlag zeigte der Film Persönlichkeiten, die wir alle kennen, aber nicht immer wissen, daß sie aus Breslau stammen und Juden sind - kaum ein Sozialdemokrat weiß, daß ihr Parteigründer Ferdinand Lassalle dazu gehört - unter ihnen viele Nobelpreisträger: Paul Ehrlich, Medizin 1908, Fritz Haber, Chemie 1918, Otto Stern, Physik 1943, Max Born, Physik 1954, Reinhard Selten, Wirtschaftswissenschaften 1994.

 

Das haben wir uns alles merken können, aber die Fülle der Information überrollt einen schon. Die Verdienste der 100 000 jüdischen Soldaten im Ersten Weltkrieg, von denen 10 000 starben, das alles wurde mit Füßen getreten, als die Nationalsozialisten antraten, über Wahlen in die deutschen Rathäuser einzuziehen. In Breslau erreichten sie auf Anhieb 43, 5 Prozent - und die Synagoge brannte. Seit 1938 wurden 170 000 Juden aus dem Bereich Schlesien deportiert und dann ermordet. Fortsetzung folgt.

 

 

Info:

 

IN SEARCH OF LOST LANDSCAPE

Dokumentarfilm; 40 Minuten

Regisseur: Leo Kantor

Kamera: Jacek Knopp, Arthur Lukaszewicz

Schnitt: Grzegorz Mazur

Musik : Przemyslaw Ksiazek

Produzent: Andrzej Stachecki V-Film & Kulturforum, Schweden