Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 21. Mai 2015, Teil 7

 

Uli Weissbrod

 

Berlin(Weltexpresso) – Tatsächlich gibt es über den Film MEIN HERZ TANZT noch sehr viel mehr zu sagen, als es eine Filmkritik kann. Schimon Peres, ehemaliger israelischer Staatspräsident sprach vom Recht auf Vielfalt und: „Nachdem ich diesen Film gesehen habe, bin ich voller Hoffnung, daß dieses Land noch schöner werden kann....“. Ein guter Hintergrund, um beim Regisseur nachzufragen. Die Redaktion

 

 

Eran Riklis, um Ihre Absicht hinter MEIN HERZ TANZT zu ergründen, möchte ich gerne wissen, wie viel Prozent Ihres Films ist echte Politik, wie viel ist Melancholie, wie viel ist Resignation und wie viel ist Hoffnung?

 

Zu allererst einmal sind da 100% Hoffnung! Das Gerüst des Films soll humorvoll rüberkommen, beinahe schon wie bei einer Komödie. Er startet witzig, wird dann traurig, dann kompliziert und schließlich melancholisch, aber auch die Politik ist immer da, im Hintergrund. Ich will die Tatsache nicht leugnen, dass wir in einer politischen Welt leben, aber der Film handelt in erster Linie von Menschen und wie deren Leben durch die schwierige politische Situation beeinflusst wird. Wenn man als Filmemacher das Leben von Menschen im Fokus hat, dann spielen Melancholie, Hoffnung und auch Resignation immer eine Rolle.

 

 

Wann haben Sie die Buchvorlage das erste Mal gelesen?

 

Tatsächlich habe ich das Drehbuch zuerst gelesen. Ich hatte von dem Bucherfolg gehört, als die Produzenten mit dem Script auf mich zukamen, kannte aber das Buch selbst nicht. Aber das Drehbuch gefiel mir, das übrigens nicht nur auf "Dancing Arabs" aufbaut, sondern auch Inhalte aus einem weiteren Buch von Sayed Kashua, nämlich „Second Person“, mit einschließt. Um den Film aber „aus einem Guss“ hinzubekommen haben der Autor und ich selbst ungefähr einen Monat lang am Drehbuch gefeilt, bis die Geschichte wirklich homogen war.

 

 

Wie viel an der Geschichte ist dem Autor wirklich passiert und wie viel ist künstlerische Freiheit?

 

Spontan 40:60. Ganz viel aus der Kindheit des Autors ist so passiert. Speziell die Familie, Vater, Mutter, Großmutter, aber auch der Lehrer waren Teil von Sayeds Leben. Wenn er die jüdische Welt betritt, mischt sich das Ganze. Wirklichkeit, das sind die jüdische Freundin, der behinderte Junge, mit dem er sich anfreundet, die Mutter des Freundes. Wenn die Geschichte sich dann aber stärker ins Dramatische entwickelt, weicht die Erinnerung kreativer, künstlerischer Freiheit. Es ist spannend zu sehen, wie ein Stoff erst autobiografisch ist, dann zu einer Biografie wird und schließlich ein Eigenleben als Spielfilm entwickelt.

 

 

Sayed Kashua ist 2014 mit seiner Familie von Israel in die USA ausgewandert. Ist das nicht ein starkes Signal dafür, dass die Integration der arabischen Israelis in die Mitte der israelischen Gesellschaft gescheitert ist?

 

Die Vorstellung eines harmonischen Zusammenlebens wird aktuell leider stark strapaziert. Die anhaltenden Konflikte z.B. um den Gazastreifen lassen Emotionen in beiden Bevölkerungsgruppen hochkochen. Daraus resultiert dann wieder das alte Schwarz-Weiß-Denken. Sayed stand immer dazwischen, ein arabischer Junge, der auf ein jüdisches Gymnasium ging und schließlich in Israel als Autor mit arabischen Wurzeln Karriere machte. Er kam letztes Jahr an den Punkt, an dem er sagte, das Integrations-Experiment haut nicht hin. Allerdings hatte er ohnehin ein Sabbatjahr an einer amerikanischen Universität eingeplant. Ob er Israel endgültig den Rücken gekehrt hat, wird sich erst nach dem Sabbatjahr zeigen.

 

 

Schon lange werfen Sie als Künstler einen speziellen Blick auf den lange schwelenden Konflikt zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn. Was lässt Sie nach einer Reihe von realistischen, lustigen und melancholischen Filmen immer noch glauben, dass Kunst, insbesondere der Kinofilm Einfluss auf die Situation nehmen kann?

 

Wahrscheinlich Naivität. Ich denke, es bleibt ein langer Prozess. Immer dann, wenn in unserer Region die Staatenlenker keine wirkliche Vision haben, liegt es an Künstlern und Kreativen, mit Inspirationen und Visionen von einer positiveren Zukunft Verantwortung zu übernehmen. Aber ich bin kein Prediger und kein Lehrer. Ich mische in meinen Filmen Realität und Fiktion, und es liegt an den Menschen, ihre eigenen Schlüsse daraus zu ziehen.

 

 

Findet zwischen israelischen und arabischen Regisseuren, Autoren und Produzenten ein regelmäßiger künstlerischer Austausch statt?

 

Leider nein. Der einzige Kontakt mit arabischen Schauspielern oder Regisseuren findet nur innerhalb Israels statt. All die Schauspieler, die in meinen Filmen Araber oder Palästinenser spielen, sind Araber.

 

 

Bedeutet das auch, dass selbst Ihre Filme, die sich ja witzig, ironisch und traurig mit der Situation im Nahen Osten auseinander setzen, in den Nachbarländern von Israel nicht in die Kinos kommen?

 

Ich träume schon lange von einer starken Movie-Community in unserer Region, aber die großen arabischen Filmfestivals z.B. in Dubai, Doha oder Abu Dhabi laden niemals einen israelischen Film ein, nicht mal meine. Keine Chance. Es gibt Raubkopien meiner Filme als DVDs in Beirut zu kaufen, das weiß ich von Kollegen, die ich auf Festivals im Westen, Toronto, Berlin o.ä. treffe. Aber das ist es dann auch schon.

 

 

Eyad, die Hauptfigur des Films, ist hin- und hergerissen zwischen seinen arabischen Wurzeln und der erfolgversprechenden Zukunft durch die Ausbildung an einer jüdischen Eliteschule. Letztlich verleugnet er seine Herkunft und nimmt die Identität eines anderen an. Hat Sayed Kashua, der Autor, letztlich gefunden, wonach er gesucht hat?

 

Ich glaube, Sayed ist immer noch auf der Suche. Er hat die Entscheidung getroffen, am Leben in der jüdischen Welt teilzunehmen, aber das hat halt seinen Preis. Er sagte einmal enttäuscht zu mir, „meine Kinder sprechen kein Arabisch mehr, sie sprechen hebräisch“. Er muss einfach versuchen, einen Weg zu finden, in beiden Welten zu leben. Die Geschichte im Film lässt ja offen, wohin er sich in 5, 10 oder 15 Jahren bewegt und entwickelt. Ich muss wahrscheinlich MEIN HERZ TANZT Teil 2 drehen, um zu sehen, was passiert…

 

 

Die Liebesgeschichte zwischen einem jüdischen Mädchen und einem arabisch-stämmigen Jungen im Film ist sehr berührend. Wie viele jüdische Eltern würden es heutzutage akzeptieren, wenn ihre Tochter einen arabischen Freund mit nach Hause bringt?

 

Nicht viele. Israel ist da nicht anders als jede andere Gesellschaft, wenn es um enge familiäre Beziehungen trotz unterschiedlicher Abstammung geht. Das ist auch heute ganz klar noch ein Streitpunkt. Juden und Araber, Juden und Christen, Weiße und Schwarze – das ist unglaublich schwierig. Manchmal gewinnt die Liebe, weil es Beziehungen und Ehen zwischen Menschen unterschiedlicher Abstammung und Religion gibt. Diese funktionieren aber leider nur sehr selten. Neun von zehn jüdischen Müttern jedenfalls würden einen arabischen Partner der eigenen Kinder ablehnen. Sehr traurig, aber so sieht es aus.

 

 

Wie würden Sie sich als Vater verhalten, wenn Ihre Tochter oder Ihr Sohn einen arabischen Lebens-Partner wählten?

 

Ich bin schon als Kind viel herum gekommen, USA, Kanada, Brasilien … Ich hatte das Privileg einer relativ offenen Erziehung. Sowohl durch meine Eltern, als auch durch meine Lehrer. Die Tatsache, dass ich meine Filme so mache, wie ich sie mache, hat mit dieser Erziehung – Gedanken sind frei, Emotionen sind frei – zu tun. Wenn nun meine Tochter käme und sagt, ich habe da diesen neuen Freund, einen Moslem, nun – das wäre zwar nicht mein Herzenswunsch, aber ich könnte damit leben. Es geht nicht um Herkunft oder Religion. Es geht darum, wer du bist! Und wenn du ein guter Mensch bist, dann ist das wichtiger als alles andere.

 

 

Ist die Beerdigung am Ende des Films symbolisch gemeint? Müssen Araber ihre Identität begraben, wenn sie sich erfolgreich in die jüdische Gesellschaft integrieren möchten?

 

Ich mache keine Filme als Blaupause, wie andere ihr Leben führen sollten. Ich gebe keine Empfehlungen ab und sage nie „so sollte es geschehen, damit es funktioniert“. Eyad kämpft um seine Identität, sucht seinen eigenen Weg und kommt dabei mit seiner Herkunft und seiner Umgebung in Konflikt. Er tut, was er für richtig hält – im Film!

 

 

Hatte der Autor Einfluss darauf, wer ihn selbst im Film darstellen sollte. Hat er dazu Vorschläge gemacht?

 

Nein, wir arbeiteten zusammen am Drehbuch und haben uns dazu viel ausgetauscht, aber er hat sich sonst nicht eingemischt. Dazu ist er nicht der Typ. Er kam zum Beispiel auch nicht zu den Dreharbeiten. Ich zeigte ihm später den Jungen, der ihn als Kind spielt, und er sagte nur ok, der sieht ja besser aus als ich damals, das war‘s. Er mag den Film sehr und spätestens, als er mitbekam, dass der Film beim Publikum sehr gut ankommt, hat er mit der Situation, dass auf der Leinwand ein Großteil seines persönlichen Lebens gezeigt wird, seinen Frieden gemacht.

 

 

Ihr Sohn Yonatan ist für die Musik in MEIN HERZ TANZT verantwortlich. Ist es einfacher oder schwieriger mit dem eigenen Sohn anstelle von anderen, fremden Filmmusikern zusammen zu arbeiten?

 

Wir hatten eine große Auseinandersetzung, das war’s. Normalerweise habe ich mit Filmkomponisten mehr Stress. Yonatan ist mein Sohn, aber für mich war wichtig, dass er ein talentierter Jazzmusiker, ein talentierter Pianist und Komponist ist. Als ich noch dazu erkannte, dass er ein guter Arrangeur ist, war die Zusammenarbeit besiegelt. Ich wollte nämlich keinesfalls die üblichen arabischen Folkloreklänge als musikalische Untermalung. Ich wünschte mir von Anfang an einen jazzy touch, eine Fusion aus westlich geprägtem und orientalischem Sound. Und so prägen elektrische Gitarre, Piano und orientalische Instrumente den Soundtrack.