DAS DUNKLE GEN

Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 11.Juni 2015, Teil 4

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Zuerst weiß man gar nicht, was das soll: Das dunkle Gen? Dann sieht man auf dem Filmplakat das längliche Glas, das zur Hälfte gefüllt ist. Mit Sekt? Nein, eher mit Weißwein oder Wasser. Sofort weiß man, aha, ist das Glas halbvoll oder halbleer, diese ewige Frage, die über die eigene Psyche Auskunft geben soll.

 

Das vermutet man erst recht, wenn man im Hintergrund ein junges und ein älteres Männergesicht mit den Blicken forschend auf das Glas gerichtet sieht. Ein bißchen mit dem Holzhammer, meinen wir, und ein Holzhammer würde das Glas kaputt schlagen und damit ginge auch der Inhalt verloren. Aber während wir noch denken, zumal bei Alkohol ist dieses Glas schon ganz gefüllt, denn es gilt als schlecht erzogen, sich ein Weinglas ganz voll zu schütten und bei Wasser macht man das auch nicht, erkennen wir auf einmal über der Flüssigkeit schwebend einen Buchstabensalat. Sollten hier schon die Gene in flüssiger Form eingefangen werden? Tatsächlich setzen sich diese dann im Glas ab.

 

Ein bißchen Poesie und Phantasie tut dem Ganzen gut, denn der Filminhalt ist schon schwer genug. Hier ist die Frage nach den Genen die Frage nach dem Ausweg aus auswegloser Situation für Frank Schauder, der in diesem Film von Miriam Jakobs und Gerhard Schick den Protagonisten eines Depressiven nicht nur spielt, sondern ist. Zwei Dinge muß man vorausschicken. Die Regisseure und der Darsteller kennen sich seit zwei Jahrzehnten, was notwendiges Vertrauen voraussetzen darf, und Frank Schauder ist nicht nur depressiv, sondern auch Arzt, sogar Nervenarzt, also Neurologe. Und so kommt es, daß er sich als Naturwissenschaftler an seinen eigenen Haaren aus dem Sumpf der Depression zu ziehen versucht, in dem er seinen Genen auf den Grund geht – und es schafft, was wir mitverfolgen können!

 

Motiv, sich mit seinen Genen genauer zu beschäftigen, ist erst einmal seine Angst, daß er die in seiner Familie immer wieder auftretende Disposition zur Depression an seinen mittlerweile flügge gewordenen Sohn vererbt hat. Auf diese Spurensuche nimmt der Film die Zuschauer mit und uns hat das gut gefallen, was man da an moderner Kunst auf der Leinwand sieht, denn die wissenschaftliche Forschung der Gene und ihrer Strukturen sind in Bildern vor unseren Augen, wo einen Formen und Farben geradezu einwickeln, wo man doch strenge Formeln und mathematische Ableitungen und Wissenschaftlich-Unverständliches erwartet.

 

Eingebettet ist das alles in eine Erzählform, wo uns der Kranke mit auf seine Reise nimmt. Der Film ist völlig von seiner Hauptperson bestimmt, die nicht larmoyant über sein Schicksal klagt, sondern einfach traurig ist und erst einmal nicht weiter weiß. Ohne den Sympathieträger Frank Schauder wäre dieser Filmverlauf nicht möglich gewesen. Denn die unaufdringliche Art, in der wir durch Zuschauen und dann durch Verfolgen der märchenhaften Reise in seinen und anderer Gene und Hirne ans Thema gefesselt werden, ist mehr als die halbe Miete beim Zuschauen.

 

Hinzu kommt, daß der Arzt in zwei großen Schüben in seine Depressionen hineinrutschte, die beide Male mit dem Verlust zu tun hatten, wenn eine Frau einen Mann verläßt. Das läßt mitleiden. Das erste Mal geht seine Frau mit dem gemeinsamen, wohl sechsjährigen Sohn. Das zweite Mal ist es wieder eine Frau, die sich von ihm verabschiedet, rund zehn Jahre später, was ihn endgültig in die Schwärze schickt, arbeitsunfähig und eigentlich lebensunfähig macht. Eigentlich spricht diese Symptomatik des Auslösers durch Verlassenwerden eher für eine psychosomatische Disposition denn eine Depression. Denn die 'echten' Depressionen treten ja vor allem dann in Erscheinung, wenn es gar keinen äußeren Grund für das Grundgefühl von Traurigkeit und von Lebensüberdruß gibt.

 

Aber da wollen wir nicht rechten, für Frank Schauder war das so und er beantwortet die anfänglichen Fragen einer Anamnese ganz klar, wenn er seinen Selbstmordversuch als das benennt, was es war: nicht mehr leben zu wollen. Und nun will er wissen: „Lebe ich mein Leben, oder lebt es mich?“, was angesichts von der Einnahme so vieler Medikamente nicht nur der Depression gilt, sondern auch den Mitteln, die sie verhindern sollen, auszubrechen.

 

Er auf jeden Fall nimmt das Angebot einer amerikanischen Firma auf, die mittels Speichelprobe den DNA-Code des Betreffenden analysiert, womit einhergeht, daß die genetischen Dispositionen sowohl positiver wie negativer Natur aufgedeckt werden. Positiv ist alles, was nicht negativ ist, könnte man sagen, denn hier geht es auch um Krankheiten, die bei seiner Genstruktur nahe liegen oder eben nicht. Die Depression übrigens nicht, wie wir die filmischen Aussagen interpretierten.Aber, daß er noch von den Neandertalern abstammt, wenn auch ganz geringfügig, ist dann schon unheimlich.

 

Das Ergebnis aus den USA ist für Frank Schauder insgesamt Anlaß, sich mit der Materie gründlicher zu beschäftigen, vor allem, sich mit den Menschen zu treffen, die im Bereich der Genom-Sequenzierung arbeiten. Viel zu kurz kommt bei uns Deirdre Gribbin, die die DNA als Noten in Kompositionen toben läßt. Auch Tony Cragg, dessen mäandernde und menschenähnelnden Skulpturen wir aus Wien kennen und der übrigens sieben Jahre lang Rektor der Düsseldorfer Kunstakademie war, kommt zu Wort und schildert seinen künstlerischen Prozeß mit dem Material, das auf der einen Seite seinen eigenen Weg geht, wobei der Künstler die dem Material innewohnenden Kräfte je nach Situation zu zähmen versuchen kann und gestalterische Freiheit immer mit dem Materialeigensinn ringt. Tolle Sätze sagt er im Film. Unheimlich dann, was einem George Church, Professor in Harvard über synthetische Biologie erzählt und wie wir dereinst das Alter einfach durch Verjüngung unserer Gene 'alt' aussehen lassen können – und wieder jung werden oder gleich bleiben.

 

Für Frank Schauder auf jeden Fall machte seine Recherche, auf der er interessante Menschen und Verfahren erlebte, nicht nur einen Weg zurück ins Leben möglich, sondern schuf eine Nähe zu seinem Sohn Leonhard, dem er tröstlich erklärte: „Die DNA gibt Dir die Karte fürs Leben. Was Du daraus machst, ist eine andere Geschichte.“

 

Foto:

Das Bild aus dem Film macht es dem Betrachter leicht. Doch das in Schwarzweiß gehaltene Filmplakat macht nicht die abgesetzten Flüssigkeiten sichtbar, sondern zeigt nur die Flüssigkeit in einem Glas, daher unsere oben erwähnten Assoziationen.