Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 25. Juni 2015, Teil 1
Margarete Frühling
München (Weltexpresso) - Im Sommer 1968 wird der 14-jährige Wolfgang (Louis Hofmann) gegen den Willen seiner Mutter (Katharina Lorenz) von seinem Stiefvater (Uwe Blohm) von Osnabrück in ein Heim für schwer erziehbare Jungen nach Freistatt (Kreis Diepholz) geschickt - einer Außenstelle der v. Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel (jetzt ein Stadtteil von Bielefeld).
Dort müssen die Jungen unter der Aufsicht von pädagogisch unausgebildeten Diakonen beim Torfstechen arbeiten.
Wolfgang wird dort mit der gesamten Härte der Züchtigungs-Pädagogik konfrontiert. Dabei geht es um körperliche Züchtigung, sexuellen Missbrauch und knochenharte Zwangsarbeit im Moor, nicht aber um eine gründliche Ausbildung der jungen Insassen. Der überhebliche Anstaltsleiter (Alexander Held) und seine unausgebildeten, brutalen Helfer (Stephan Grossmann, Max Riemelt) versuchen alles, um den Willen der ihnen anvertrauten Schützlinge zu brechen. Auch der örtliche Pfarrer (Hans Peter Korff), der regelmäßig den Gottesdienst leitet, schaut weg. Wolfgang versucht mehrmals, aus dem Heim zu fliehen, wird aber immer wieder - auch aufgrund der unberechenbaren Moorlandschaft - eingefangen und drakonisch bestraft.
Selbst als er es bis zum Haus seiner Eltern schafft, wird er von seinem Stiefvater - unter nur leisem Protest seiner Mutter - wieder ins Heim zurück gebracht. Sein Leben ändert sich erst 1970 nach dem plötzlichen Tod seines Stiefvaters. Da vertraut er seiner Familie aber längst nicht mehr.
Freistatt wurde an Originalschauplätzen im Moor in der Nähe von Diepholz gedreht. Der Film wurde inspiriert durch wahre Schicksale wie z.B. der Lebensgeschichte von Wolfgang Rosenkötter, der in Freistatt als "Zögling" war oder dem Buch von Matthias Benad, Hans-Walter Schmuhl, Kerstin Stockhecke (Hg.): "Endstation Freistatt – Fürsorgeerziehung in den v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel bis in die 1970er Jahre" - erschienen im Bethel Verlag, Bielefeld 2009.
Obwohl der Film teilweise bis an die Schmerzgrenze geht, findet Kamerafrau Judith Kaufmann zusammen mit Regisseur Marc Brummund wunderschöne Bilder der norddeutschen Moorlandschaft. Die starken Darsteller, vor allem Louis Hofmann und seine Gegenspieler Alexander Held und Stephan Grossmann, zeigen deutlich auf, dass Freistatt für die Jugendlichen der Vorhof zur Hölle war. Auch die Hierarchie in solchen Heimen - auch unter den Jugendlichen - wird hervorragend herausgearbeitet.
Beim Soundtrack schafft Marc Brummund den Spagat zwischen Lieder der 60iger und 70er Jahre und heute, indem er Remixes z.B. von "Scarborough Fair" und "The House of the Rising Sun" in seinen Film integriert. Allerdings wäre es verwunderlich, wenn es den Jungen beim Marsch ins Moor erlaubt gewesen wäre, die "Moorsoldaten" von Wolfgang Langhoff, Johann Esser und Rudi Goguel zu singen.
Das Drehbuch des Filmes erhielt 2013 den Deutschen Drehbuchpreis. Der Film wurde beim Filmfestival in Saarbrücken mit dem Publikumspreis und dem Preis der Jugendjury ausgezeichnet. Daneben erhielt auch Louis Hofmann den Bayerischen Filmpreis 2014 als bester Nachwuchsschauspieler.
Insgesamt ist Freistatt ein beklemmendes Drama, das hoffentlich auch im Kino sein Publikum findet und später im Fernsehen nicht nur zu Nachtzeiten gesendet werden wird.
Info:
Freistatt (Deutschland, 2014)
Genre: Drama
Filmlänge: 104 Min.
Regie: Marc Brummund
Drehbuch: Nicole Armbruster, Marc Brummund
Darsteller: Louis Hofmann, Alexander Held, Stephan Grossmann, Uwe Blohm, Max Riemelt u.a.
Verleih: Edition Salzgeber
FSK: ab 12 Jahren
Kinostart: 25.06.2015
Bild: Mittagspause beim Torfstechen, © Edition Salzgeber