Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 20. August 2015, Teil 7

 

Roman Herzig

 

Köln(Weltexpresso) – Das muß man innerhalb der Redaktion schon begründen und dann beschließen, warum die Filmredaktion so viele Artikel zu einem einzigen Film veröffentlicht. Es liegt nicht an der Qualität des Films, der innerhalb der Kollegen ganz unterschiedlich eingeschätzt wird. Es liegt daran, daß mit Roman und Film Kulturgeschichte geschrieben wird.

 

Korrekterweise müßte man sagen, daß der Roman Kulturgeschichte beschreibt, was der Film mit seinen Mitteln zu zeigen versucht. Denn blickt man zurück in die Zeit vor über 30 Jahren, so konstatiert man heute, daß es das letzte Jahrzehnt war, wo so etwas wie Stil die Ästhetik der Zeit bestimmte. Jeder halbwegs Informierte und Interessierte, weiß, welche Mode man sich vorstellen kann, wenn es um die Fünfziger Jahre geht. Das gilt auch für die nächsten Jahrzehnte. Wir wollen die Achtziger im Bild an ihrer favorisierten Frisur vorstellen. Aber auch in Kleidern und anderem wäre dies möglich, weil noch ein Gesamtverständnis in der Gesellschaft für das, was 'modern', gerade modern nämlich ist, gewesen war. Weil dies so ist, veröffentlichen wir auch gerne die Ausführungen im Presseheft zum Kino der Achtziger Jahre.

 

 

TAXI – NACH DEM ROMAN VON KAREN DUVE ist nicht nur ein spannender Selbsterfahrungstrip durch die Hamburger Nachtszene, sondern auch eine vielschichtige Hommage an das Kino der 80er Jahre: Eine aufregende Dekade mit ganz eigener Filmästhetik – und Helden, die höhere Ziele hatten als die Suche nach dem Traumpartner mit eingebauter Kuschelgarantie.

 

Taxifahrerin Alex, die im Großstadtdschungel nach ihrem Lebensweg sucht und dabei eher beiläufig mit verschiedenen Männern im Bett landet: Eine derartige Heldin wirkt im aktuellen Kino, dessen Moral an die Zeit unserer Großeltern erinnert, wohltuend anders. Denn seit einigen Jahren idealisiert das internationale und vor allem das deutsche Kino fast nur noch den Rückzug in die Innerlichkeit. In die vermeintliche Komfort- und Wohlfühlzone der eigenen vier Wände, selbstverständlich zu zweit. Dazu vielleicht ein Baby zum ultimativen Glück.

 

Da lohnt es sich, einen Blick zurück zu werfen aufs pralle Leben der 80er Jahre, als das Kino noch einen ganz anderen Zeitgeist transportierte. Zum Beispiel „Solo Sunny“ (1980): Der vielleicht beste Film aus der ehemaligen DDR erzählt die Geschichte einer Berlinerin (Renate Krößner), die versucht, behindert von Spießern des real existierenden Sozialismus, sich als Sängerin durchzuschlagen. Als sie mal einen Kerl mit nach Hause nimmt und der Sex schlecht ist, verabschiedet sie ihn am nächsten Morgen mit der lakonischen Bemerkung „Ist ohne Frühstück“. Und als der aufmucken will, unterbricht sie ihn mit „Ist auch ohne Diskussion“.

 

Das Zeitalter der sexy Häschen, die vor lauter Beziehungsglück alle Launen ihrer Männer ertrugen, schien vorbei zu sein. Es folgten neue Heldinnen wie Jennifer Beals in „Flashdance“ (1983), die als Fabrikarbeiterin ihren Traum von einer Karriere als Tänzerin lebt. Wie Rosanna Arquette in „Susan, verzweifelt gesucht“ (1985), die ihren langweiligen Film-Ehemann verlässt, um im Laufe eines abenteuerlichen Trips durch die New Yorker Clubszene in ein neues Leben zu finden. Wie Ulrike Kriener in „Männer“ (1985), die, betrogen vom Ehemann, sich kurzerhand auch einen Liebhaber nimmt.

 

Es war an der Zeit für die Frauen, nach den Emanzipationskämpfen im Jahrzehnt zuvor einen neuen Platz in der Gesellschaft zu finden – am besten unabhängig von den Männern. Denn die beschäftigten sich derweil mit den ganz großen Themen. Der Science-Fiction „Blade Runner“ (1982) behandelt mit Fragen wie „Woher komme ich?“ und „Wohin gehe ich?“ nichts Geringeres als den Sinn des Lebens. Im Gangsterfilm „Es war einmal in Amerika“ (1984), ein weiterer Meilenstein, geht es um Loyalität und Verrat. Man kann deren Hauptdarstellern Harrison Ford und Robert De Niro, die größten Stars der Achtziger, jedenfalls nicht nachsagen, sie hätten in erster Linie um ihr Glück in der Zweisamkeit gekämpft. Stattdessen waren sie in einer Welt unterwegs, in der Gut und Böse so nah beieinander liegen, dass sie manchmal gar nicht unterscheidbar sind.

 

Auch diese Erkenntnis ist in TAXI – NACH DEM ROMAN VON KAREN DUVE unterschwellig vorhanden, während man sie sonst im aktuellen Kino mitunter schmerzlich vermißt.

 

Es waren die Ghostbusters, die New York vor bösen Mächten retteten. Es war der Schatzsucher Indiana Jones, der die Mythen der Menschheit erklärte und nebenbei die Nazis austrickste. Es waren die Sternenkrieger, die ein gnadenlos undemokratisches Imperium in die Knie zwangen. Sie alle zeigten, daß man die Welt ein bißchen besser machen kann, wenn man nur will, und wurden damit zu wahren Kinohelden.

 

Mit diesem Geist gab das Kino der 80er den Ton an. Und das Licht! Neue Regisseure wie Alan Parker („Fame“, 1980) oder Tony Scott („Top Gun“, 1986) hatten zahllose Werbefilme gedreht, bevor sie nach Hollywood gingen. Dank dieser Erfahrung experimentierten sie auch in ihren Spielfilmen mit grellen Farben, die sie mit dem fahlen Neonlicht der Nacht kontrastierten.

 

Dazu kam die Ästhetik der Musikclips, die durch Sender wie MTV in den achtziger Jahren ihre Blütezeit erlebten: In die Tiefe ausgeleuchtete Bilder, die mehr erzählen als die gesungenen oder gesprochenen Texte. All das formte den typischen Look, der auch in TAXI – NACH DEM ROMAN VON KAREN DUVE wiederzufinden ist. TAXI-Kamerafrau Sonja Rom arbeitete mit satten warmen Farben für die Szenen bei Tag, die sich in rascher Folge mit dem kaltem Blau und Weiß der Nacht abwechseln. Was die Stadt Hamburg in einen fast mythischen Lebensraum verwandelt. Der wiederum, wie das ganze Kino der 80er, bevölkert ist von undurchsichtigen Gestalten. Die einen auf der Suche nach Liebe, die anderen nach Opfern. Nur weiß man nie so genau, wer in welches Lager gehört.

 

Das Kino jener Jahre zeigte, daß die Welt rau ist und voller Widersprüche. Aber auch, daß es Gerechtigkeit geben kann, wenn man sich nur dafür einsetzt. Für mindestens eine Sache musste man in jener Dekade aber noch nicht kämpfen, wie TAXI – NACH DEM ROMAN VON KAREN DUVE nahezu dokumentarisch zeigt: Als Alex eine neue Bleibe sucht, findet sie mühelos eine hübsche Loft-Wohnung mitten in der Stadt. Für sagenhafte 300 Mark im Monat. Zumindest in puncto Mietspiegel gab es noch soziale Gerechtigkeit.Unsere 150 Quadratmeterwohnung kostete 275 DM. Aber daß Alex pro Nacht auf 200 DM durchs Taxifahren kommt, halten wir für sehr hoch, zu hoch.

 

Foto:

Ein gestylter Lockenkopf für Frauen, ein Kopf der auf überdimensionierten Schulterpolstern ruht, die schrankartig Frauen Gewicht in der Öffentlichkeit gaben und in amerikanischen Serien (Denverclan) vorexerziert wurden.

 

Info:

TAXI, der Film

Regie    Kerstin Ahlrichs
Darsteller    Peter Dinklage, Rosalie Thomass, Antoine Monot Jr., Robert Stadlober, Stipe Erceg, Armin R..
Genre    Komödie
FSK    6
Land    Deutschland
Jahr    2014
Verleih    farbfilm verleih
Webseite    http://taxi-film.de/

 

TAXI, der Roman von Karen Duve im Goldmann Verlag, 2015

Goldmann hat den damaligen Spiegel-Bestseller jetzt als Sonderausgabe zum Film neu herausgebracht. Die Erstausgabe war 2003 erschienen und zwar im Eichborn Verlag, der seine Eigenständigkeit leider eingebüßt hat, was man hier wieder einmal bedauernd zur Kenntnis nimmt.