Serie: DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER, ab 1. Oktober in deutschen Kinos, Teil 2

 

Kurt Nelhiebel

 

Bremen (Weltexpresso) - Die Rechnung ist nicht aufgegangen. Da haben einige Leute doch tatsächlich gemeint, sie könnten am Ansehen des hessischen Generalstaatsanwalts kratzen, indem sie 45 Jahre nach seinem Tod das Gerücht streuen, Fritz Bauer sei schwul gewesen.

 

Das zieht heute nicht mehr, egal ob das mit der Homosexualität stimmt oder nicht. Fairer Weise sollte man jedenfalls nur dann öffentlich über die sexuelle Orientierung eines Menschen sprechen, wenn er sich selbst dazu geäußert hat. Ohne dieses Coming-out hält man sich zurück. Das gebietet sowohl die gute Kinderstube als auch die gesetzlich geschützte Privatsphäre.

 

Werner Renz zum Beispiel, der das Archiv des Fritz-Bauer-Instituts verwaltet, ist in diesem Punkt sehr empfindlich. Von dem weiß man nichts, außer dass er Germanistik und Philosophie studiert hat. Dabei wäre es doch interessant, zu erfahren, aus welcher Familie er kommt, schließlich arbeitet er in einem Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust. Aber da hält sich der Mann bedeckt, was sein gutes Recht ist. Mit dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer geht er nicht so behutsam um.

 

2015 veröffentlichte er einen Artikel mit der Überschrift: „Der Frankfurter Auschwitz-Prozess: ‚Rechtsstaatliches Verfahren’ oder ’Strafrechtstheater’? – Kann mithilfe der Strafjustiz politische Aufklärung geleistet werden?“   Im Mittelpunkt steht der von Werner Renz als „leidenschaftlicher Volkserzieher“ apostrophierte Fritz Bauer. Über ihn schreibt er: „Seine mit NS-Verfahren verbundenen volkspädagogischen Absichten erwiesen sich mit Blick auf den Adressaten, das westdeutsche Volk, als illusionär.“ Das Rechtsgefühl vieler sei durch die unaufgeklärt gebliebenen NS-Verbrechen keineswegs verletzt gewesen. „Die Wiederherstellung der durch die Untaten verletzten Rechtsordnung war mithin nur einer Minderheit ein Bedürfnis.“ Es falle schwer, „Bauers Rede vom Sinn und Zweck der NS-Prozesse nicht als bloßes Wunschdenken“ zu bewerten. Seine „außerrechtliche Zwecksetzung“ sei wirklichkeitsfremd gewesen. Von einer „nachhaltigen Wirkung des Auschwitz-Prozesses auf die öffentliche Bewusstseinsbildung“ könne gleichfalls nur schwerlich gesprochen werden. Der Gerichtssaal sei nicht zum „Klassenzimmer der Nation“ geworden. „Strafrechtstheater wollten und konnten die Prozessbeteiligten nicht inszenieren“. (Hrsg. Wolfgang Form, Theo Schiller, Lothar Seitz: NS-Justiz in Hessen, Marburg 2015, S.439-451).

In diesem Aufsatz spinnt Werner Renz den Faden weiter, den er 2011 mit seinen Anmerkungen zur Entmythologisierung des Auschwitz-Prozesses aufgenommen hatte. Diesmal schlägt er sich allerdings unverkennbar auf die Seite Gerd Roellekes, der Fritz Bauer vorgeworfen hat, mit dem Auschwitz-Prozess „Volksaufklärung durch Strafrechtstheater“ betrieben zu haben, eine im doppelten Sinne diskriminierende Behauptung: Die Wortwahl spielt auf das von Joseph Goebbels geleitete „Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ an, und sie unterstellt dem hessischen Generalstaatsanwalt, er habe der Öffentlichkeit mit dem Auschwitz-Prozess etwas vorspielen wollen, was mit einem rechtsstaatlichen Verfahren nicht zu vereinbaren ist.

 

Wieder einmal lässt Werner Renz den Namensgeber der Einrichtung, bei der er tätig ist,  als einen auf der ganzen Linie Gescheiterten erscheinen, der sich mit seiner „außerrechtlichen Zwecksetzung“ außerhalb des vorgegebenen rechtlichen Rahmens bewegt hat. Anderswo zieht so etwas die fristlose Entlassung wegen geschäftsschädigenden Verhaltens nach sich.

 

Was die Spekulationen über Bauers angebliche Homosexualität angeht, so ist Werner Renz, vermutlich aus wohl erwogenen Gründen, damit nicht selbst an die Öffentlichkeit gegangen, sondern hat das dem Dr.jur.Ronen Steinke überlassen, der sich dann in einem Buch ausführlich dazu verbreitet hat, für die Filmbranche ein gefundenes Fressen. So kam es zu dem Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“, in dem der hessische Generalstaatsanwalt nach dem Urteil seiner Biografin Irmtrud Wojak als Karikatur seiner selbst erscheint. Als wissenschaftlicher Berater firmierte neben Werner Renz auch der Direktor des Fritz-Bauer-Instituts, Raphael Gross, der inzwischen seinen Hut genommen hat.

 

Dem Darsteller des Generalstaatsanwalts, Burghart Klaußner, wurde in einem Interview die Frage gestellt: „Warum wird Bauers Homosexualität überhaupt thematisiert? Ist das nicht ein Stück weit denunziatorisch, da Bauers Homosexualität nicht bewiesen ist.“ Darauf antwortete Klaußner: „Es war uns wichtig zu zeigen, dass die extreme Strafandrohung . . . des Schwulenparagraphen durchaus über Bauers Haupt schwebte. Das ist alles andere als denunziatorisch, sondern die Darstellung orientierte sich vielmehr so eng wie möglich an der historischen Wahrheit.“ (Weser-Kurier 24. September 2015, S. 22).

 

Dazu kann ich aus eigenem Erleben nur sagen, dass das falsch ist. Die Darstellung Fritz Bauers und der damaligen Verhältnisse hat nichts mit der historischen Wahrheit zu tun. Über dem von den Nazis aus politischen Gründen verfolgten Sozialdemokraten Fritz Bauer schwebte nach seiner Heimkehr aus dem Exil nicht das Damoklesschwert des Schwulenparagrafen, sondern der allgegenwärtige Hass der zu neuem Einfluss gelangten alten Nazis. Aber selbst die haben niemals die Keule der Homosexualität gegen ihn geschwungen; sie haben Bauer aus politischen Gründen angefeindet, weil er sich als Generalstaatsanwalt auf die falsche Seite gestellt und die neuen alten Stützen der Gesellschaft bekämpft hat.

 

Die Zeitung „der Freitag“ vom 23. September schreibt, Lars Kraumes Film schlage aus der „offenen Frage nach Bauers Homosexualität indirekt inszenatorisch Suspens“, das heißt, er versucht mit den geringsten Mitteln Spannung zu erzeugen. Praktisch sei das leider so dürftig, „dass es als Beitrag zu einer Debatte nicht taugt, sondern auf dem Niveau von leicht schmierigem Gossip bleibt“, also auf dem Niveau von Klatsch. „Für eine Geschichtsstunde ist dieser Film ungeeignet“, urteilt Dietrich Kuhlbrodt in der Zeitschrift „konkret“ (Nr. 10, 2015). Damit hat er recht. Und zwar auch deswegen, weil der Film Fritz Bauer als einen Mann zeigt, der „im KZ seinen sozialistischen Idealen in einem Brief öffentlich abgeschworen“ habe; nachzulesen in der Filmzeitung „Sissy“ Nr. 27 / 2015.

 

Was es damit auf sich hat, ist an dieser Stelle wiederholt dargelegt worden. Kommentarlos veröffentlichte der vom Fritz-Bauer-Institut mit verantwortete Katalog zu der Ausstellung „Fritz Bauer.Der Staatsanwalt“ ein von den Nazis fabriziertes „Treuebekenntnis“ inhaftierter Sozialdemokraten, das auch Fritz Bauer unterzeichnet haben soll. Dass Schutzhäftlingen derartige Bekenntnisse abverlangt wurden, ist bekannt und diskriminiert die Betroffenen in keiner Weise; viele retteten damit ihr Leben. Zu kritisieren ist, dass dieses Produkt der Nazipropaganda ohne jedes Wort der Erläuterung veröffentlicht wurde und dass es auch in der Ausstellung trotz laut gewordener Kritik immer noch gezeigt wird. So etwas geschieht nicht ohne Absicht. Die Urheber des Films wussten um die Kontroversen, ohne ihnen auf den Grund zu gehen. Auch wenn es paradox klingt: Fritz Bauer wird auch das überleben.

Fortsetzung folgt

 

 

Info:

Der Staat gegen Fritz Bauer, Regie und Drehbuch: Lars Kraume; Produzent, Thomas Kufus, in den Hauptrollen als Fritz Bauer: Burghart Klaußner und als Staatsanwalt Karl Angermann: Ronald Zehrfeld, 105 Minuten, Deutschland 2015.