Serie: DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER, ab 1. Oktober in deutschen Kinos, Teil 3
Irmtrud Wojak
München (Weltexpresso) - Nach „Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht“ nun also: „Der Jude ist schwul!“ Überraschend ist das nicht, nachdem der Fritz-Bauer-Institut-Gastwissenschaftler Ronen Steinke im vorletzten Jahr mit seiner Enthüllungsstory über die angeblichen weißen Flecken in der Biographie des bedeutenden Juristen herauskam. (Steinke 2013) Das nach Bauer benannte Institut zog 2014 mit einer Ausstellung unter dem Titel „Fritz Bauer. Der Staatsanwalt“ (Backhaus/Boll/Gross 2014) nach.
Doch fangen wir vorn an. Der Plot des Films ist spektakulär und politisch brisant. In „Der Staat gegen Fritz Bauer“ geht es darum, dass im Nachkriegs- oder besser gesagt im Deutschland der Adenauer-Ära die Ahndung von Nazi-Verbrechen niemanden interessiert hat außer die Betroffenen selber – das ist Handlungsstrang Nr. 1. Und es geht darum, dass die Hauptfigur in dem Film all das verkörpern soll, worauf sich der Hass und der Ausrottungswille der Nazis konzentrierten. Bauer war Sozialdemokrat und wurde als politischer Gegner verfolgt; er stammte aus einer jüdischen Familie und wurde aufgrund der nationalsozialistischen Rassegesetze verfolgt; er war ein politischer Flüchtling, dem die dänische Fremdenpolizei, die mit den Nationalsozialsten kollaborierte, erfolglos versuchte Homosexualität zu unterstellen. Die Auslieferung an das NS-Regime hätte Bauers Todesurteil bedeutet. Daraus entwickelt der Film Handlungsplot Nr. 2.
1| Der Sozialdemokrat – ein „Landesverräter“
Zunächst zu Plot 1, der damit beginnt, dass der leicht dicklich wirkende Generalstaatsanwalt Dr. Bauer nackt in seiner Badewanne liegt. Eben rutscht er schon fast unter Wasser, da schwenkt die Kamera auf das Tablettenröllchen und fast leere Weinglas. Der Generalstaatsanwalt, das ist die Botschaft, hat einen Alkohol- und Tablettencocktail zu sich genommen. In letzter Sekunde wird er gerettet und aus dem Wasser gezogen, doch die Gerüchte lassen sich jetzt nicht mehr aufhalten. Der „General“ habe eine „unglückliche Mischung“ zu sich genommen, man könnte denken, er wollte sich umbringen oder sei überfordert gewesen, eine „Art Selbstmordversuch“, so heißt es hier gleich zu Beginn des Films. Der Protagonist selber will darüber natürlich nicht sprechen. Seinen besorgten Dienstherrn und Ministerpräsidenten Georg August Zinn klärt Bauer mürrisch auf, „ohne Chemie“ könne er schon lange nicht mehr schlafen, aber er habe eine Pistole, und wenn er sich umbringen wolle, dann werde es bestimmt keine Gerüchte mehr geben.
Held oder Verlierer der Nachkriegsgeschichte, schnell wird der Hauptkonflikt des Films als Plot erkennbar: Dr. Bauer gegen die Übermacht der ehemaligen Nazis, die in der Ära-Adenauer rasch wieder zu Ansehen und Wohlstand gekommen sind. „Meine eigene Behörde ist Feindesland“, sagt Bauer, es gehe überhaupt nichts voran auf der Suche nach Bormann, Mengele und Eichmann. Zutiefst misstrauisch beäugt er seine Umgebung. Als die Akte eines NS-Täters von seinem Schreibtisch „verschwindet“, während er noch im Krankenhaus liegt, stellt der deprimierte Nazi-Jäger alle möglichen Verdächtigungen an. Schließlich stellt sich heraus, dass einer der Staatsanwälte die Akte für den Dienstgebrauch von seinem Schreibtisch genommen hat. Stimmt also nicht mit dem „Feindesland“? Bauer ist blamiert.
So hustet, raucht, schnauft, schimpft und schwäbelt Bauer sich gekünstelt als merkwürdig zahnlos wirkender, weißhaariger Greis durch den Film. Ein höchst unglücklicher, verzweifelter, zum Selbstmordkandidaten erklärter „General“, der mit der Welt, in der er lebt, und mit sich selbst nicht zurechtkommen kann.
Nur wenn es um die Nazis geht, dann lebt Dr. Bauer auf. Stets und ständig ist er fanatisch auf der Suche nach alten Nazis und vor allem nach dem einen, dessen Name für die „Endlösung der Judenfrage“ steht: Adolf Eichmann. Ob er nicht gern auf die Jagd gehe, wird er gefragt, „Ja, aber nicht auf Tiere!“, schnaubt Bauer zurück. Und dann folgt schon bald wieder einer dieser grotesken Dialoge mit seinem Dienstherrn Zinn, Sozialdemokrat wie Bauer, von dem wir erfahren, er habe das Bild von Rosa Luxemburg in seinem Büro abhängen lassen. Ein linker Sozialdemokrat wie Fritz Bauer, das ist die Botschaft, sieht so etwas natürlich sofort. Wird auch Ministerpräsident Zinn ihn im Stich lassen? Der Staat gegen Fritz Bauer und der Genossen-Verrat stehen im Raum.
Bauer berichtet Zinn von seiner heimlichen Jagd auf Eichmann, dass er den israelischen Geheimdienst Mossad einschalten wird, usw., usf. Die ganze Eichmann-Story nimmt ihren Lauf, nur damit Bauer schließlich zerknirscht und ebenso naiv wie pathetisch feststellen kann: „Mein Zorn ist begleitet von Ohnmacht und die macht mich alt.“ Nach 1945 habe er gedacht, „wir hätten das Böse besiegt“, aber die Leute hätten keine Visionen gewollt, sondern bloß „Adenauers verfluchte Versöhnung, die Restauration hat die Revolution besiegt.“ Platter geht es kaum, der Sozialdemokrat Bauer, der das Böse besiegen wollte, war angeblich gegen die Versöhnung mit Israel. Suggeriert wird, Bauer habe seiner eigenen jüdischen Familiengeschichte abgeschworen, er sei ein Verräter seiner Leidensgefährten. Was für eine groteske historische Fehlinterpretation.
Der Film geht der nationalsozialistischen Rassegesetzgebung auf den Leim, der Rückgängigmachung der rechtlichen Gleichstellung der Juden. Ja, es stimmt: Bauer war assimiliert, er gehörte keiner Religionsgemeinschaft an. Wer aber Bauer vorwirft, sich nicht den Nürnberger Rassegesetzen unterworfen zu haben, positiviert den nationalsozialistischen Unrechtsstaat und begibt sich auf ein gefährlich populistisches Glatteis. Wie Fritz-Bauer-Institut-Gastwissenschaftler Ronen Steinke, der Bauer vorhält, dieser habe auf die „unschuldige Frage“ eines „jungen Freundes“: „Sind Sie eigentlich Jude?“, angeblich „nur kühl“ geantwortet: „Im Sinne der Nürnberger Gesetze: Ja.“ Der Autor fügt hinzu, deutlicher hätte Bauer nicht sagen können, dass er „darin eine ärgerliche Fremdzuschreibung sieht“. (Steinke 2014: 32) Was denn sonst, fragt man sich, sollte er darin sehen? Und wieso „nur kühl“, warum diese Distanzierung von Bauer? Wieso meint Steinke, er müsse Bauers Großvater, der für die rechtliche Gleichstellung der Juden kämpfte, gegen dessen Enkel ausspielen? (ebd.) Schließlich trat Bauer in die Fußstapfen seines Großvaters und praktizierte eben jene Religionsfreiheit, die uns unser Recht garantiert. Traut der Autor etwa seiner eigenen Interpretation nicht?
Diesen Eindruck von Selbstzweifel vermittelt auch der Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“. Die Fußspuren, in die der Hauptdarsteller treten soll, sie sind den Autoren der Story zu groß. Sie trauen sich nicht, sich auf den Weg eines Fritz Bauer zu begeben und wiederholen lieber die alte Leier von der Vergeblichkeit menschlichen Handelns, als sich „Im Kampf um des Menschen Rechte“ auf die Seite des mutigen Generalstaatsanwalts zu stellen. So gerät ihnen ausgerechnet eine der wenigen wegweisenden Persönlichkeiten in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts zu einer jämmerlichen Karikatur seiner selbst.
Wie um dies zu untermauern, wird ihre Story immer irrationaler. „Eichmann“, sagt Bauer zu Zinn, das wäre „ein Schlag“. „Weißt Du, wie viel Leute in Frankfurt nicht mehr schlafen können, wenn wir ihn auf die Anklagebank setzen?“ Und schon ist er wieder da, der sich rächende Jude, den nur die Jagd auf Eichmann noch am ihm sinnlos scheinenden Leben hält. Er solle sich nicht selbst Leid tun, ermahnt Film-Ministerpräsident Zinn dementsprechend seinen „General“. Und Israel einzuschalten in die Suche nach Eichmann: „Das ist Landesverrat!“ Zinn hält das für keine kluge Entscheidung, aber er lässt Bauer gewähren. Immer noch empört verlässt dieser das Ministerium, nicht ohne Zinn noch mitgeteilt zu haben: „An meinem Patriotismus sollte es wohl keinen Zweifel geben.“
2| „Der Jude ist schwul!“
Plot 1 läuft auf seinen Höhepunkt zu. Das Bundeskriminalamt kommt Bauer auf die Spur seiner heimlichen Suche nach Eichmann und will, gerade noch rechtzeitig, um einzuschreiten und Bauer unter besondere Beobachtung zu stellen, entdeckt haben: „Der Jude ist schwul!“, wie Oberstaatsanwalt Kreidler vielsagend feststellt. Es kommt zum höhnischen Schwure: „Wenn wir ihn mit irgendeinem Kerl erwischen, dann ist er erledigt. ... Selbst ein Mönch muss irgendwann mal bumsen.“ Als Beglaubigung von Bauers Homosexualität wird im Film die Fremdenpolizeiakte aus Dänemark eingeführt, dabei beweist sie, wie eingangs gesagt, nichts außer die Verdächtigungen, mit denen die Polizei den politischen Flüchtling unter Druck setzte.
Von da an steuert der Film vor dem Hintergrund der sattsam bekannten Eichmann-Story, in der auch die angebliche Liebesgeschichte des Eichmann-Sohnes Nick mit der Tochter eines KZ-Überlebenden nicht fehlt (obwohl sie nicht stimmt, das Mädchen war in Wirklichkeit zwölf Jahre alt), auf das Ende und gleichzeitig wieder auf den Anfang der Story zu.
Plot 2 bestimmt von jetzt an die Story: Der Jude Bauer, er war heimlich schwul. Auf seiner fanatischen und ebenso heimlichen Suche nach Eichmann vertraut er sich seinem gut aussehenden jungen Lieblingsstaatsanwalt Angermann an, der wiederum gerade seine eigene Homosexualität entdeckt. Bauer erkennt dies im Film noch vor Angermann selbst, wozu ihm ein Blick auf dessen karierte Socken genügt, als er den jungen Mann – vertraulich, versteht sich – zum Gespräch über Adolf Eichmann in seine Privatwohnung einlädt. Im Hintergrund läuft Tschaikowskys „Symphonie Pathétique“. Die Weichen sind gestellt oder besser gesagt, die Sex and Nazi-Crime Story nimmt ihren Lauf. Ein aller Lust entsagender Jude und „Nazi-Jäger“ verführt einen unsicheren jungen Staatsanwalt, sich vom Pfad der Tugend weg mit ihm auf die Nazi-Jagd zu begeben.
Im Film zeigt sich Angermann zunächst jedoch zurückhaltend: „Wir begehen Landesverrat“, sagt auch er. Bauer ist empört: „Wollen Sie etwas für unser Land tun oder eine neue Küche? Wenn wir etwas für unser Land tun wollen, dann müssen wir es in diesem Fall verraten.“ Die Dolchstoßlegende lässt grüßen. Ein linker Sozialdemokrat verrät die ehemaligen Nazis an Israel. Angermann wirft Bauer seine Rachsucht vor: „Sie klingen immer mehr wie Ihre Gegner...“ Woraufhin Bauer auch noch selber der Schlüsselsatz in den Mund gelegt wird: „Sie meinen wie ein rachsüchtiger Jude!“
Angermann erbittet Zeit zum Nachdenken und es kommt, wie es (dramaturgisch gesehen) kommen muss. Es gelingt Bauer, den unsicheren jungen Mann, der kurz vor seinem coming out steht, auf seine Seite zu ziehen. Bald schon offenbart ihm Angermann seine sexuellen Neigungen, woraufhin Bauer sich ebenfalls erklärt: „Ich habe schon seit einiger Zeit das Gefühl, dass wir ähnliche Interessen haben. ... Meine Frau Anna-Maria und ich leben schon seit vielen Jahren getrennt, sie in Kopenhagen und ich hier. Ich denke, dass das eine der glücklichsten Ehen überhaupt ist. Wenn ihre Frau ein guter Kamerad ist, dann brauchen Sie keine Angst zu haben, Kinder groß zu ziehen. Ich denke, dass Sie ein phantastischer Vater sind.i Staatsanwalt Angermann ist nämlich wie Dr. Bauer verheiratet und ausgerechnet am Tag nach seinem coming out offenbart ihm seine Frau, dass sie schwanger ist, natürlich. Bauer ermahnt Angermann, dass er seinen Liebhaber nicht mehr sehen darf, sie beide müssten entsagen. Ihre Freundschaft wird schon bald auf die Probe gestellt.
3| Der „Nazi-Jäger“, ein linker Antisemit?
Zunächst aber passiert, was in Plot 1 noch passieren muss. „Ich muss die lebenden Juden von Israel verteidigen, nicht die Toten. ... Ich muss meine Leute gegen unsere arabischen Feinde einsetzen“, hat Israels Geheimdienstchef Isser Harel, der jiddisch mit Bauer spricht, den auf die Verhaftung Eichmanns drängenden Dr. Bauer eben erst im Film aufgeklärt. Und dem israelischen Generalstaatsanwalt Haim Cohn hat der „Nazi-Jäger“ bei einer seiner Reisen nach Jerusalem, die der Ergreifung Eichmanns dienten (tatsächlich fanden diese Treffen übrigens in Tel Aviv statt), eben noch zugerufen: „Wenn Sie Eichmann haben, werde ich einen Auslieferungsantrag an Israel stellen. ... Eichmann muss in Frankfurt vor Gericht. Wir müssen die Deutschen mit ihrer Vergangenheit konfrontieren.”
Doch in derselben Sekunde, in der Bauer die Nachricht vom Erfolg der Eichmann-Entführung bekommt, sieht er im Fernsehnen den israelischen Ministerpräsidenten Ben Gurion zusammen mit Bundeskanzler Adenauer, wie sie sich zur (eingangs im Film von Bauer kritisierten) deutsch-israelischen Versöhnung gratulieren. Adenauer: „Das deutsche Volk empfindet tiefe Genugtuung, dass durch die Wiedergutmachung für Opfer des Nazismus ein Beitrag für den Aufbauprozess Israels geleistet wird.“ Ben Gurion: „Ich sagte in der Knesset, das Deutschland von heute ist nicht mehr das Deutschland von gestern. Ich wünsche dem Kanzler Erfolg bei seinem Bemühen, Deutschland auf dem Weg zur Demokratie und internationalen Zusammenarbeit zu führen.“ii Bauer schaltet entnervt den Fernseher ab. Dies ist, abgesehen von einer kurzen Rede Bauers über Eichmann als Intro zum Film, die einzige längere historische Filmeinspielung in „Der Staat gegen Fritz Bauer“. Suggeriert wird, dem „Nazi-Jäger“, Sozialdemokrat und „schwulen Juden“, der sich angeblich nicht zur jüdischen Geschichte bekennen will, seien die politischen Entwicklungen und der Staat Israel gleichgültig gewesen, er habe immer bloß seine „Nazi-Jagd“ im Kopf gehabt. Ausgerechnet Fritz Bauer, der Kämpfer für die Menschenrechte und Gleichheit vor dem Recht, der trotz aller Widerstände den von den Nazis verübten Genozid, Verbrechen der Wehrmacht und die NS-„Euthanasie“ vor Gericht brachte, der gegen die Spitzen der eigenen Zunft ermitteln ließ (der Einstellungsbeschluss erfolgte bald nach seinem Tod) – ein „linker Antisemit“?
Immer verworrener und irrationaler, vor allem nationalistischer wird das Geschichtsbild. Der staatliche Geheimdienst Israels jagt keine Nazis, weil er seine Leute braucht, um die arabischen Feinde zu vernichten, und die verantwortlichen staatlichen Stellen in Deutschland jagen keine Nazis, weil die ehemaligen Judenverfolger wieder in ihren Ämtern sitzen und mit Israel Geschäfte machen. Das rentiert sich nämlich besser, wie auch Dr. Bauer nun im Film bald erfährt. Als hätte es keine Alternativen gegeben, wird die Geschichte entsorgt und sitzen Israel und Deutschland selbstvergessen in einem Boot: Die einen wollen die Nazi-Vergangenheit auslöschen, um wieder ein „normaler“ demokratischer Staat zu werden, die anderen die Araber, um den Aufbauprozess Israels zu verteidigen. Simpler geht es wohl nicht.
4| Das letzte „Geheimnis“ Fritz Bauers wird gelüftet
Zur gänzlichen Auflösung der filmischen Handlung kommt es, als die Entführung Eichmanns dem „Nazi-Jäger“ angeblich die Zunge löst. Ist es Alkohol (wie ja eingangs des Films bereits suggeriert) oder Siegestrunkenheit, die Bauer wieder einmal zur Selbstentblößung treibt? Er feiert mit Staatsanwalt Angermann, seinem einzigen Vertrauten, den Eichmann-Erfolg in einer Kneipe bei Äppelwoi und, in vino veritas, nun lüftet er das letzte seiner drei „Geheimnisse“: Er selbst hat seine Genossen verraten und sich den Nazis unterworfen.
Auf dem Heimweg aus der Kneipe erzählt er die Story dem entgeisterten Angermann, wie er mit dem Stuttgarter Reichstagsabgeordneten Kurt Schumacher ins KZ gesperrt wurde und dessen Standhaftigkeit bewunderte, während er selbst kleinmütig gewesen sei: „Aber ich, ich habe mich in einem offenen Brief den Nationalsozialisten unterworfen“, sagt der müde „General“, „den druckten die in der Zeitung, der Sozialist Bauer unterwirft sich, so kam ich raus, ich hab’ mir das niemals verziehen, Schumacher unterwarf sich nicht, man darf sich der Tyrannei niemals beugen, Karl, niemals. Ich muss jetzt hoch, vertrag nix mehr.” Und damit verschwindet Dr. Bauer in seiner Wohnung.
Ist es Naivität oder Absicht, schon wieder folgt die Handlung der Logik des Nazi-Regimes, das seine Gegner gegeneinander ausspielte. Weder das Unterwerfungs- noch Bauers angebliches Reuebekenntnis existiert, und diejenigen, die das glauben machen wollen, haben bis heute kein einziges Original präsentiert, sondern immer nur Bauers Leben und Werk beschädigt. Es gibt ein von den Nazis in ihrer Parteizeitung gedrucktes (also kein handschriftliches!) angebliches Treuebekenntnis, unter dem neben anderen Namen „Hauer“ und nicht „Bauer“ steht. Eine handschriftliche Unterschrift von einem der angeblichen SPD-Verräter gibt es überhaupt nicht.
5| Der unbelehrbare „Nazi-Jäger“ – selber ein Nazi?
Was der geplagte Generalstaatsanwalt zu dem Zeitpunkt im Film noch nicht weiß ist, dass sein junger Freund Angermann aufgeflogen ist. Dieser geht zur Feier des Tages zu seinem transsexuellen Liebhaber, der vom BKA gekauft war, der wiederum Bauer und Angermann die ganze Zeit hat beobachten lassen. Der BKA-Mann hält dem jungen Staatsanwalt die inkriminierenden Fotos vor die Nase, genüsslich eins nach dem anderen, und erpresst ihn damit: Angermann soll Dr. Bauer des Landesverrats beschuldigen wegen seines Hinweises auf Eichmanns Aufenthaltsort an den Mossad. Als Alternative bleibe ihm selbst nur, wegen Vergehens gegen § 175 ins Gefängnis zu gehen.
Es kommt zum Showdown: Zunächst informiert Ministerpräsident Zinn den zutiefst enttäuschten „Nazi-Jäger“ Dr. Bauer, dass die Bundesregierung keinen Auslieferungsantrag für Eichmann stellen wird. „Weißt Du nicht, warum sich Ben Gurion und Adenauer getroffen haben? Israel will deutsche Waffen kaufen, … die Israelis brauchen deutsche Waffen.” Eine Anspielung auf die Geheimdiplomatie und Verabredungen zwischen Ben Gurion und Adenauer in New York, die zu deutschen Waffenlieferungen an Israel führte, was gerne schon mal sowohl aus deutscher, als auch israelischer Staatsraison mit der „Wiedergutmachung“ (ein verharmlosender Begriff) vermischt wird. Doch Dr. Bauer soll ja ohnehin beides gleichgültig gewesen sein: „Mein Erfolg wäre es gewesen, wenn Eichmann vor einem Gericht in Deutschland all die Nazis benannt hätte, die heute als Kriegsgewinnler diese Republik anführen.“ Zinn: „Es werden andere Chancen kommen.“ Bauer: „Aber nicht mehr für mich.” Er ist deprimiert.
Auf der Rückfahrt im Auto bekennt er seinem jungen Staatsanwalt, dass er sein Amt niederlegen will. Er dürfe das nicht, sagt Angermann, doch Bauer sinniert weiter, die beiden Staatsanwälte Vogel und Kügler seien da an etwas dran: „Wir könnten Auschwitz vor Gericht bringen, ein Querschnitt durch das ganze Lager, aber ich glaube nicht mehr daran, sie finden immer einen Weg, uns zu stoppen.” Damit endet Handlungsplot 1, Bauer ist der Verlierer, alles was sich zu Beginn bereits angekündigt hat, ist wahr geworden: Die Restauration hat gewonnen.
Doch auf den Generalstaatsanwalt wartet noch eine weitere bittere Stunde. Angermann nämlich steigt plötzlich aus dem Dienstwagen und übergibt Bauer gleichzeitig die inkriminierenden Fotos, die das BKA von ihm und seinem Liebhaber gemacht hat. Er stellt sich der Polizei und wird zum Entsetzen Bauers abgeführt, dem im selben Augenblick klar wird, dass sein Freund erpresst wurde, ihn aber nicht verraten hat.
Mit geballter Faust kehrt Bauer am nächsten Tag zurück in sein Büro, wo ihn bereits Oberstaatsanwalt Kreidler (der Mann mit dem BKA-Kontakt) erwartet. Ob er in der Sache des Staatsanwalts Angermann befangen sei, wird Bauer gefragt. Er verneint. Einmal Verräter, immer Verräter, lautet die Botschaft. Ebenso wie Bauer sich angeblich den Nazis unterworfen hat, unterwirft er sich jetzt den Bestimmungen des § 175. Sein letzter Satz, der den Film beschließt, lautet: „Tun Sie Ihre Arbeit. Aber seien Sie sicher, ich werde meine tun. Solange ich lebe hält mich niemand mehr davon ab.“
Damit schließt sich der Kreis: Fritz Bauer, der angebliche Verräter der Juden und Sozialdemokraten, er soll auch noch zum Verräter an den Homosexuellen geworden sein. Das ist die missratene und gewiss nicht unschuldige Botschaft dieses Films. All das, wogegen Bauer sein Leben lang gekämpft hat, soll er selbst gewesen sein. Er, der Ungehorsam und Widerstand gegen staatlich usurpierte Gewalt zur Pflicht erklärte, der gegen die Nazis kämpfte und dabei sein Leben riskierte, der KZ-Haft und Exil durchlitt, soll selbst einer jener gesetzeshörigen Pflichtenmenschen und Juristen gewesen sein, als Ungehorsam und Widerstand notwendig waren. Die Opfer und Überlebenden werden mit den Tätern über einen Kamm geschoren, als hätte es keinen Widerstand und keine Hilfe gegeben und vor allem, als seien nach 1945 alle Opfer und Überlebende gewesen – auch die Millionen überzeugten Nazis, aus denen wie durch Wunder von einem Tag auf den anderen überzeugte Demokraten wurden.
Wer die Geschichte Bauers kennt, dem kommt dieser Film wie ein Spuk vor, doch das ist er leider nicht. Wieso wird, anstatt Fritz Bauers beispielhafte und mutige Geschichte zu erzählen, die wahrhaftig genügend spannenden Stoff für ein Filmepos bietet, die Privatsphäre und Honorigkeit eines Menschen derartig angezweifelt, ja verletzt? Er kann sich schließlich nicht mehr wehren! Wieso wird mit Unterstützung des nach Bauer benannten Instituts (Werner Renz und Raphael Gross, der dort bis vor kurzem Direktor war, sind als Berater genannt) und von seinem Gastwissenschaftler Ronen Steinke, an denen sich der ganze Film orientiert, ein derartig selbstvergessenes Geschichtsbild in die Welt gesetzt, als hätte es Widerstand und den Überlebenskampf der Verfolgten und Opfer während der NS-Herrschaft nicht gegeben? Sollte all das wirklich schon vergessen sein?
PD Dr. Irmtrud Wojak, Historikerin und Ausstellungskuratorin, ist Biographin von Generalsstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer. Sie ist Geschäftsführerin der gemeinnützigen BUXUS STIFTUNG GmbH (München).
Anmerkungen
1 Fritz Bauers Neffe Rolf Tiefenthal sagte über Fritz Bauer und seine Frau Anna Maria, sie seien „gute Kameraden“ gewesen.
2 Erklärung über den Sender Rias II, Berlin, am 14.3. 1960. Nach der ersen Begegnung Konrad Adenauers mit dem israelischen Ministerpräsidenten David Ben Gurion im Hotel Waldorf Asotira in New York am selben Tag.
Literatur
Backhaus, Fritz/Boll, Monika/Gross, Raphael (Hg.) 2014: Fritz Bauer. Der Staatsanwalt. Frankfurt am Main, New York: Campus.
Steinke, Ronen 2013: Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht. München, Zürich: Piper.
Info:
Der Staat gegen Fritz Bauer, Regie und Drehbuch: Lars Kraume; Produzent, Thomas Kufus, in den Hauptrollen als Fritz Bauer: Burghart Klaußner und als Staatsanwalt Karl Angermann: Ronald Zehrfeld, 105 Minuten, Deutschland 2015.