Serie: DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER, ab 1. Oktober in deutschen Kinos, Teil 4

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wie freuten wir uns, als wir hörten, daß Lars Kraume einen Film über Fritz Bauer dreht. Denn seine Vorgänger LABYRINTH DES SCHWEIGENS im letzten Jahr, der erstmals seit dem Dokumentarfilm von Ilona Ziok FRITZ BAUER -TOD AUF RATEN 2010, der den politischen Juristen und Kämpfer für eine substantielle Demokratie wieder ins Gedächtnis rief, der brachte gleich den Hessischen Generalstaatsanwalt um seine Lebensleistung: die Initiierung des Auschwitzprozesses in Frankfurt.

 

Eigentlich wundern wir uns noch heute, daß es damals keinen Aufschrei gab. Der Mann ist noch keine 50 Jahre tot, aber statt seiner wird ein junger Staatsanwalt erfunden, der Auschwitz vor Gericht bringt, was der filmische Bauer in Person des hier statuarischen Gert Voß – in seiner letzten Rolle - väterlich begleitet. Da der Film zudem eine 50er Jahre Ausstattungsoper wurde, wo sozusagen unter jedem Nierentisch ein Nazivater hervorspringt und alles Mögliche an Dramatik noch hineingesteckt wurde, war es irgendwie schade um das schöne Thema. Denn Deutschland hätte nach den 50 Jahren Auschwitzprozessen eine gelungene Rückerinnerung für die Bundesrepublik im Film gut getan, schon deshalb, weil man zeigen kann, wo wir heute sind, wo wir aber nicht wären, hätte es solche Menschen wie Fritz Bauer nicht gegeben.

 

Aber der Regisseur vom LABYRINTH war ein Debütant. Da half auch nichts, daß er sich von Werner Renz vom Fritz Bauer Institut beraten ließ. Oder machte es wahrscheinlich sogar schlimmer. Schwamm drüber. Der Film war zudem erstaunlich erfolglos.

 

Lars Kraume dagegen ist ein versierter Filmregisseur und auch gesellschaftlichen und brisanten zukunftsbezogenen Fragen zugetan. Dann doch auch der Vergangenheit, zu der der echte, nicht der Bauer im Film, gesagt hat: „Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen. Alles ist Gegenwart und kann wieder Zukunft werden.“

 

Und wenn man dann auch noch das Aufspüren und die Entführung von Adolf Eichmann zum Thema hat, ist man Bauer besonders nahe. Daß Kraume diese ungewöhnliche Geschichte als Thriller aufzieht, ist nicht falsch. Es war einer. Nur ist dieser Film gar kein Thriller, sondern eine überzeichnete Situation der Bundesrepublik des Jahres 1957. Das fängt schon mit dem Beginn an. Da wird die Situation vorweggenommen, in der elf Jahre später, nämlich 1968 Fritz Bauer tot in seiner Badewanne aufgefunden wurde. Überarbeitet, enttäuscht. Rotwein und Tabletten im Blut, aber so geringe Mengen, daß diese nicht tödlich gewesen sein können. Also bringt der Film das Gegenteil von einem deja vu, er behandelt den späteren Tod als eines. Das geht gar nicht.

 

Denn 1957 war Bauer gerade ein Jahr im Amt des Hessischen Generalstaatsanwaltes. Landesvater Georg August Zinn (SPD) hatte den Sozialdemokraten Bauer aus guten Gründen nach Hessen geholt, denn es galt ein neues Land aufzubauen, wo Recht und Gesetz gelten sollten,mit denen man auch die Verbrechen der Nazizeit aufklären und aburteilen kann. Wie unbeliebt Bauer bei den Behörden von BKA und BND und seiner eigenen Behörde war, wird im Film mit voller Schärfe dargestellt. Die überwachen Bauer, die lassen kein gutes Haar an ihm, weil die da, die anderen, die alten Nazis sind, die noch immer mit jungen Gesichtern ihre Spiel weitertreiben. Das ist schablonenhaft und es kann einem keiner erklären, weshalb dieser fiese Möp, dieser BKA-Mitarbeiter Paul Gebhardt (Jörg Schüttauf) ein Protokoll der dänischen Polizei in der Hand hat, demnach sich Bauer, nachdem er zwei Wochen im Land im Asyl ist, sich nächtlich mit einem Mann getroffen hat und deshalb zum Schwulen gemacht wird. Hätten diese Kreise gegen Bauer etwas Derartiges in der Hand gehabt, der Mann wäre innerhalb von Stunden im Mief der BRD abgesetzt worden. Das hat man doch in anderen Fällen erlebt.

 

Aber es kommt ja noch schlimmer: Ja, meine Güte, weiß denn keiner, daß die dänischen Behörden mit den Nazis kooperierten und später zwar Juden nach Deutschland ausgeliefert wurden, nicht aber Schwule? Und wenn nun dieser zweite Mann sogar ein Politischer war? Sollte dann Bauer den genauso verraten, wie er es schon einmal mit Kurt Schumacher und den Sozialdemokraten 1933 gemacht hat. Sagt der Film. Und diese beiden „Tatbestände“, die hat im Auftrag des Fritz Bauer Instituts Ronen Steinke in seinem Buch FRITZ BAUER ODER AUSCHWITZ VOR GERICHT als Geschichtslegenden 2013 implantiert, in der das Jüdische Museum Frankfurt im Folgejahr in einer Ausstellung Kapitel für Kapitel bebildert wurde. Und trotzdem nicht wahr wird. Denn dort gibt es zwar ein Polizeiprotokoll, aber das ist auch das einzige, durchsichtige Indiz. Und die Gerüchte in Frankfurt, über eine angebliche Homosexualität, wie es der Film suggeriert, die gab es überhaupt nicht. Alles erstunken und erlogen. Nein, es ist nicht ehrenrührig, homosexuell zu sein, aber es ist ehrenrührig, dies zu behaupten, wenn es nicht stimmt. Und für den Vorwurf des Verrats gibt es keinen Beleg, denn ein „gez. Bauer“ ist auf der als Beweis angeführten Zeitungsseite überhaupt nicht zu identifizieren, abgesehen davon glaube ich ohne eine persönliche Unterschrift eh nichts, oder sind heutzutage Nazi-Zeitungen Beweise?

 

Um was es überhaupt im Film geht? Um das Schlitzohr Fritz Bauer und den pragmatisch handelnden Moralisten, der er auch war. Er erfährt vom Aufenthalt des Nazi-Massenmörders Adolf Eichmann in Argentinien, weiß, daß dieser, würden westdeutsche Verfolgungsbehörden eingeschaltet, den Mann warnen würden, gibt seine Kenntnis an die Israelis weiter, wo dann – es war gar nicht der Mossad, aber Nebensache – der israelische Geheimdienst von ihm zum Jagen getragen wird, Eichmann dingfest macht und den öffentlichen Prozeß in Israel führt. Gegen die Absprache. Bauer nämlich wollte Eichmann in Deutschland den Prozeß machen, damit die Bevölkerung lerne.

 

Eine völlig sinnfreie Sittengeschichte spielt dann auch eine Rolle, wo Roland Zehrfeldt, ein so begabter Schauspieler, wie ein Massiv hilflos im Film herumsteht. Schade drum. Man spürt aber, das soll einem etwas sagen. Der junge Staatsanwalt lebt aus, was der Filmbauer nicht darf? Die insinuierten homoerotischen Schwingungen zwischen ihm und Bauer wurden u.a. dadurch augenfällig, daß unversehens beide in gleichen Socken, herrlich kleinkariert, gezeigt werden.

 

Kommen wir endlich zum Filmbauer und da haben sich Regisseur und Darsteller Burkhardt Klaußner viel ausgedacht, um eine äußerlich glaubwürdige Figur zu gestalten. Man erschrickt manchmal, wenn man die Silhouette sieht und Bauer erkennt. Aber wie gut, kaum macht er den Mund auf, wird er zum Burkhardt Klaußner, der den Bauer bäuerisch zu spielen versucht. Und damit sind wir beim Eigentlichen. Hier wird eine in der Geschichte lebendige Figur benutzt, um daraus einen konstruierten Menschen zu machen, einen zurechtgestutzten und zurechtgeschnittenen Bauer, der den Filmemachern gut ins Konzept paßt, als Antithese zum guten Biedermeierbürger der Nachkriegszeit gewissermaßen.

 

Wer ist dafür verantwortlich, für die Darstellung dieses 54jährigen Tattergreises Bauer, der dann, als er Widerstand spürt, noch einmal so richtig auflebt: der so überzeugend als knorriger, in Einsamkeit vegetierender, alkohol- und tabackkonsumierender, verbitterter Menschenfreund, insgeheim schwul dazu, als Charakterstudie von Burghart Klaußner dargestellt wird. Liebe Leute. Ihr habt den Bauer alle nicht gekannt. Der war gegen 1968 hin ausgelaugt, weil sein wichtigster Prozeß, der die Euthanasieverbrechen der Nazis aufarbeiten wollte, nicht zustandekam. Das ist richtig. Aber 1957, da war er Anfang 50, voller Elan, voller Hoffnung, bei aller historischer Erfahrung doch sicher, etwas bewirken zu können. Er war ein kulturell Interessierter, der Stammgast in der Oper Frankfurt war, der die Theater besuchte, die neuesten Bücher gelesen hatte und mit jedem sofort darüber diskutierte, also rundherum einfach ein anderer Mensch, als ihn der hier als erschöpfter alter Mann verkleidete und sich selbst diese Maske auferlegende Klaußner ihn spielt.

 

Und dann noch etwas. Das Verhältnis zu seinem Ministerpräsidenten, der hier merkwürdig zahm und potentiell wankelmütig erscheint und Rosa Luxemburg aus seinem Amtszimmer entfernt, will sagen: ihr Porträt. Mit keinem Wort wird hier auf HESSEN VORN eingegangen, eine Parole, die sich dieser Mann als Landesvater erworben hat. Mit keinem Wort wird darauf eingegangen, daß es hier nicht nur um Männerfreundschaft und um sozialdemokratische Kumpels geht, sondern daß Zinn auch als damals amtierender Justizminister Bauers unmittelbarer Vorgesetzter war. Und der sagt solchen Schwachsinn wie: „Fritz, das ist Landesverrat!“

 

Das alles ist einfach ärgerlich und wir bedauern Lars Kraume, daß er so aufs Kreuz gelegt wurde, denn ein Filmregisseur ist kein Zeithistoriker, muß es auch nicht sein, aber er braucht Leute, denen er vertrauen kann, die ihn nicht aufs Glatteis führen, wie hier geschehen. Und das sagen wir auch dann, wenn er diesen Leuten persönlich so dankbar ist für deren Fehlinformation. Er weiß es nicht anders.

 

Wie schade, wie schade, wir behaupten immer noch, daß Kraume eigentlich ein guter Regisseur ist. Man sollte ihn nur nie wieder mit den Vorsagern vom Fritz Bauer Institut zusammenarbeiten lassen. Nie wieder. Ansonsten fallen uns noch so viele schöne Themen zu Fritz Bauer ein. Warum kommt eigentlich bisher niemand auf die Idee, diesen Remerprozeß von 1952 zum Thema zu machen, wo Fritz Bauer als Ankläger die Braunschweiger Richter davon überzeugte, daß die bis dahin als feige Meuchelmörder und Deutschlandverräter vom 20. Juli 1944 Bezeichneten posthum zu Widerständlern erklärt wurden, die ihr Vaterland vom Tyrannen befreien wollten, was spätestens seit der Antike rechtskonform ist. Aber auch hier müssen wir warnen: auf keinen Fall vom FBI beraten lassen!

 

 

 

P.S. Übrigens fragen wir uns, warum keiner der beiden Filme über Bauer und auch nicht der unter die Haut gehende von Christian Petzold, PHOENIX, der im Nachspann seinen Film Fritz Bauer widmet, Bezug nimmt auf den Dokumentarfilm von Ilona Ziok FRITZ BAUER – TOD AUF RATEN. Wir haben in Berlin nachgefragt und nur gehört, das wisse man dort auch nicht, es sei nur belegt, daß alle Regisseure den Ziokfilm bestellt, gesehen und auch gelobt hätten. Dann könnten die Nachfolger im Thema Bauer das doch auch offen sagen.

 

 

 

Info:

 

Der Staat gegen Fritz Bauer, Regie und Drehbuch: Lars Kraume; Produzent, Thomas Kufus, in den Hauptrollen als Fritz Bauer: Burghart Klaußner und als Staatsanwalt Karl Angermann: Ronald Zehrfeld, 105 Minuten, Deutschland 2015.

 

 

P.S.: Bitte geben Sie auf unserer Titelseite den Namen Fritz Bauer ein, um die Vielzahl der Artikel über ihn und seine Filme zu sichten. Zum Film von Lars Kraume hatten wir am 23. November angesichts der Hessischen Filmförderung das erste Mal geschrieben:

http://weltexpresso.tj87.de/index.php?option=com_content&view=article&id=3898:lars-kraumes-film-ueber-fritz-bauer-ist-auch-dabei&catid=79:kino&Itemid=471