Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 22. Oktober 2015, Teil 2

 

Kirsten Liese

 

Berlin (Weltexpresso) - Mücken flirren in den Wäldern, Vogelschwärme ziehen über das Land, ein junges Paar streift durch die Felder. Es sieht beinahe romantisch aus in einem kleinen polnischen Dorf irgendwo in Ostpolen an der Bahnstrecke zwischen Warschau und Treblinka, Man könnte meinen, das mörderische Kriegstreiben im Sommer 1943 wäre weit weg.

 

Aber näher betrachtet, sieht man Spuren des Grauens, geplünderte Koffer und Kleidungsstücke neben den Gleisen. Die Züge, die hier durchkommen, fahren nach Auschwitz. Jeder weiß das, aber niemand verliert darüber ein Wort.

 

Unser letzter Sommer“, inspiriert von den Erzählungen der Großeltern des Regisseurs, hebt sich von Dutzenden anderer Holocaust-Filmen in bemerkenswerter Weise ab. Das liegt daran, dass Michal Rogalski ohne die bekannten Bilder der Gräueltaten auskommt und seine Figuren sehr differenziert zeichnet.

 

Die deutschen Soldaten, allen voran der Protagonist Guido (Jonas Nay), erscheinen keineswegs allesamt als gefühllose Nazischergen. Brutal wird der junge Mann, der in den Militärposten am Ort strafversetzt wurde, weil er „entartete“ Jazzmusik hörte, von der Realität eingeholt. Er gerät in Konflikte mit seinen Kameraden und Vorgesetzten (schaurig perfide: Steffen Schaumann als Oberleutnant), weil er nicht mit der geforderten Härte die Befehle ausführt.

 

Die Begegnung mit der schönen Bauerstochter Franka (Uszula Bogucka) ist ein seltener Lichtblick. Aber auch für sie und den polnischen Dorfjungen Romek (Filip Piotrowicz), der als Heizer auf einer Rangierlok arbeitet, wird die Bedrohung durch die deutsche Besatzung spürbar. Im Wald begegnet er einer jungen Jüdin (Maria Semotiuk), die ihm hilfesuchend hartnäckig folgt. Romek übernimmt Verantwortung, kommt aber nicht umhin zu erkennen, dass er gegen bewaffnete Männer nichts ausrichten kann.

 

Zu einem sehenswerten Debüt wird „Unser letzter Sommer“ maßgeblich durch das treffliche Ensemble. Neben einem so etablierten Schauspieler wie André Hennicke, hier als ein nicht nur schroffer Feldwebel in einer seiner besten Rollen, empfiehlt sich besonders Jonas Nay als grandioser Nachwuchsdarsteller. Mit subtilen Blicken zeigt er, wie seine unbeschwerte Zuversicht immer mehr Risse bekommt.