Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 19. November 2015, Teil 3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es gibt Filme, die berühren einen sofort, was sich bis zum Ende fortsetzen kann, was sich wiederum in der Erinnerung an diesen Film spiegelt. MIA MADRE von Nani Moretti ist so ein Film, der von den Zwischentönen erzählt, für das das pulsierende Leben kaum Platz läßt, was aber zum eigentlich Leben wird, wenn zum Beispiel die Mutter stirbt.
Genau so geht es der Filmregisseurin Margherita (Margherita Buy), die eine erfolgreich Filmfrau ist, weil sie die alten gesellschaftlichen Grabenkämpfe in ihren Filmen lebendig hält und damit auch ins neoliberale und für so toll erklärte Leben von heute bringt, was lange gut geht, was ihr aber bei der gegenwärtigen Produktion zum ersten Mal auf die Nerven geht, voll ins Bewußtsein dringt, daß sie mit Mitteln des Films etwas Vergangenes am Leben hält, während sie selbst gar nicht lebt, sondern in ihrer Arbeit als Regisseurin aufgeht, dadurch aber Lebendiges ausspart. So richtig bewußt wird ihr das bei den Besuchen der todkranken Mutter im Krankenhaus, die sie liebt und deren Tod sie fürchtet.
Genau diese Situation hat Regisseur Nani Moretti, der im Film auch den Bruder Giovanni spielt, in einer wunderbaren Szene im Film lebendig werden lassen. Margherita, die dauernd bei den Dreharbeiten abgelenkt ist, durch das Denken an die Mutter oder die Gespräche mit dem Krankenhaus, Bruder, Freunden über das kommende Sterben der Mutter, verläßt das Set früher, was ihr auch zusätzlich ein schlechtes Gewissen macht, nachdem sie schon ein schlechtes Gewissen hat, daß sie nicht früher zur Mutter kommt. Sie eilt ins Krankenhaus, kauft unterwegs der Mutter etwas Frisches zum Abendessen in den bekannten viereckigen Aluminiumschachteln, was sie auspackt – als ihr Bruder das Zimmer betritt und für die Mutter das selbstgekochtes Essen ausbreitet – liebevoll bereitet, liebevoll serviert.
Nein, der Bruder ist nicht konkurrent, der Bruder denkt einfach mit und wie wir mitbekommen, hat er sich deshalb vom Streß seines Arbeitslebens verabschiedet, ist früh zum Rentner geworden, damit er für die Mutter sorgen kann und lebt gemütlich, was ja gemütvoll meint. Warum einem selbst diese kleine Szene eine ganze Welt bedeutet, hat natürlich damit zu tun, daß einem das selbst unaufhörlich so geht, daß man sich andere, menschlichere Zusammentreffen mit den Menschen, die man liebt, zumindest mag, wünscht, aber immer wieder in der Hektik des Alltag sich selber verdammt, weil wieder einmal der Mensch zurückstecken mußte und die Arbeit vorging. Also auch der Mensch in einem selber. Schlicht geht es hier um das schlechte Gewissen, das Margherita sofort empfindet, und das wir aus eigener Erfahrung mitempfinden, weil wir die Situationen kennen. Der Bruder aber ist es erst, der Margherita die eigene Erkenntnis ermöglicht, daß sie selber etwas falsch macht, was sie vorher vielleicht nur im Hinterkopf ahnte.
Das nun ist ausdrücklich Frauensache und deshalb finden wir diesen Film von einem männlichen Regisseur so ausdrücklich gut, weil er sich als Frauenversteher als jemand zeigt, der vielen erst die Augen öffnen kann: über den falschen Ehrgeiz, immer zuverlässig zu sein, über die falsche Erwartung, immer die Erwartungen der Welt erfüllen zu wollen. Denn daraus bestand das erfolgreiche Filmemachen dieser Regisseurin, die mit einem Schlag vor den Trümmern ihres Lebens steht. Und sich befreit. Wenigstens zum Teil.
Das würde für einen Film nicht reichen, zumindest nicht für einen Film, in dem man dauernd lachen muß, denn das Schwere der Situation – das Sterben der Mutter und der Zusammenbruch von Margheritas Leben – wird durch so urkomische Szenen aufgehoben, leicht gemacht, daß man erst nach dem befreienden Lachen merkt, daß da doch etwas im Hals stecken geblieben ist. Ist schon wahr, der aus den USA eingeflogene Hauptdarsteller für Margheritas Film, Barry Huggins, wird durch John Turturro so einprägsam, daß dieser immer leicht an der Karikatur entlangschrammt, aber eben immer noch Linie hält.
Auf jeden Fall ist ein neues Thema, ein neues Faß aufmacht, das heißt: der Star in der Provinz. Denn das ist Italien für den Hollywoodstar, der kaum die Aussprache richtig hinbekommt, noch sich die Texte merken kann, was selbstverständlich nicht an ihm, sondern den Italienern liebt. Mit leichter Hand hat Moretti das inszeniert, was man sich sogleich als Klamotte vorstellen kann, was aber keine ist.
Menschliche Komödie ist auch so ein Begriff, der hier taugt, schließlich geht es nicht um Margherita allein. Oder wenn es um sie geht, nicht nur um den Film und den drohenden Tod der Mutter. Der Film beginnt damit, daß sie sich von ihrem Ehemann getrennt hat, also schon da Trauerarbeit leisten muß, was die Situation der Mutter verschärft. Eine Tochter gibt es auch, die störrisch doch nur eines will: eine intakte Familie.
Interessant die Information, daß nämliches, der Tod der Mutter während Dreharbeiten, Nanni Moretti beim Dreh von HABEMUS PAPAM im Jahr 2011 ereilte. Man kann gar nicht anders, als die Regisseurin als das weibliche Alter ego des Regisseurs zu begreifen. Dazu taugen auch die Szenen mit den Dreharbeiten. Denn wir erleben eine ganz schön brüske, manchmal direkt unsympathische, verletzende Regisseurin. Aber wir erleben auch die warmherzige, mitfühlende Margherita. Und daß in einem Menschen so verschiedene Teile Platz finden und wir zwischen allen Ansprüchen uns den eigenen Weg suchen müssen, ihn finden müssen, daß ist so eine Konsequenz, die der Film nahelegt.
Nie wieder mit einem schlechten Gewissen der Welt gegenübertreten und sich für alles schon vorher entschuldigen!! Denn das lernt Margherita, daß man aushalten muß, was zusammenfällt, auch wenn es nicht zusammengehört: Liebe, Arbeit, Tod, Familie, Kino, Freunde, Essen, Trinken, Leben. Und in einem höheren Sinn gehört es dann doch wieder zusammen: denn das alles ist das normale Leben.