Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. November 2015, Teil 7

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ein ganz eigener Film, der einem eine ganz eigene Filmerfahrung vermittelt. Ein Film, der in Istanbul anfängt, sich ständig in Istanbul bewegt, dabei aber in den Bildern die Stadt zum Verschwinden bringt und wir verlieren uns in den nächtlichen Schatten der Stadt dann auch. Fast.

 

Denn davor sei die Geschwätzigkeit der Welt, die alles, obwohl doch die Leinwand beredt schweigt, noch einmal mit Worten kommentieren muß, als ob man den Bildern nicht trauen könnte. Trauen? Ein gutes Wort, wie Vertrauen auch. Oder noch sinnvoller: das Vertraute. Genau um das geht es, wie es vor unseren Augen auseinanderfällt und die Bestandteile des Vertrauten neue Verbindungen eingehen, wo uns Sehen und Hören vergeht und wir nicht mehr wissen, wo wir sind, noch wer wir sind.

 

Wer sich also Unwägbarkeiten aussetzen kann, der ist hier richtig, denn dieses kleine Meisterwerk von Ben Hopkins sollte nur anschauen, wer den Mut und den Langmut hat, in Ruhe hinzuhören, sozusagen alle Fühler auszustrecken und abzuwarten, was passiert: da vorne auf der Leinwand, da in einem selbst.

 

Man kann das auch herkömmlicher ausdrücken. Der Regisseur Ben Hopkins will mit seiner kleinen Filmmannschaft in Istanbul einen Film über die türkische Hauptstadt drehen. Was er will, ist eine Dokumentation zu erstellen, in der filmisch das pulsierende Leben der Metropole eingefangen wird. Was tut man außer die Häuser, Häuserschluchten, Cafés, Märkte, Plätze zu filmen? Die Menschen, natürlich die Menschen. Die aber einfach aufzunehmen, ist zu wenig. Ein herkömmliches Mittel im Film ist das Interview. Erst nach und nach merken wir, daß der Regisseur dabei an ganz merkwürdige Zeitgenossen geraten ist. Und wir merken, daß die Interviews und seine Streifzüge durch die Stadt mehr und mehr in der Nacht stattfinden, wo Istanbul nicht ruht, aber einen anderen schwermütigeren und dringlicheren Charakter annimmt.

 

Und wir sind auf einmal im Film wieder am Anfang. Da nämlich kommen die paar, die Hopkins zum Drehen braucht, in einem Container an Land, mehr Geld, als dort zu überleben, gibt es für den Film nicht. Natürlich denkt jeder derzeit bei solchen Aufnahmen an Flüchtlinge. Aber um den sozialen Aspekt geht es hier nicht. Sondern eher um den poetisch auf die Leinwand gezauberten, daß wir alle Gast auf Erden sind. Sehr seltsam, aber im Verlauf des Films drängte sich mir immer stärker dieser Aphorismus von Johann Gottfried Herder (1744-1803) auf, ein Kulturphilosoph, der heute viel zu wenig in unserem Blick ist.

 

Da heißt es:

 

Ein Traum, ein Traum ist unser Leben auf Erden hier.

Wie Schatten auf den Wogen schweben und schwinden wir,

und messen uns're trägen Tritt nach Raum und Zeit;

und sind – und wissen's nicht – inmitten der Ewigkeit.