VERSO SUD 21, Festival des italienischen Films im Deutschen Filmmuseum Frankfurt, vom Samstag, 28. November, bis Freitag, 11. Dezember, Teil 6
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Unter den aus dem Konzentrationslager Auschwitz - von den Russen am 27. Januar 1945 befreit - strömenden Gefangenen sehen wir Primo Levi (John Turturro), der etwas streng und mit Brille glaubwürdig den zurückhaltenden Naturwissenschaftler gibt, aus dessen Perspektive wir nun wie in einer Versuchsanordnung das Chaos erleben, das die Befreiung durch die Russen erst einmal mit sich bringt.
Italiener sind nämlich durchaus noch die alten Feinde der Russen und gleichzeitig schon die neuen Freunde, die sich rechtzeitig von den Deutschen abgesetzt haben, denen man aber als Russe nicht so ganz traut. Die zweischneidigen Gefühle werden in herrlich komponierten Soldaten- und Kasernierungsszenen lebendig, wie der ganze Film die Bandbreite menschlicher Empfindungen, auch deren Hin und Her sinnlich erleben läßt.
Neben der Kameradschaft, der Freundschaft, die einige der Italiener in der Not untereinander geschlossen haben – wir verfolgen die von Primo und Daniele, der am Schluß wieder zur Gruppe der heimwärtsstrebenden Italiener stößt –, setzt die von mir postulierte Heiterkeit erst einmal mit dem Griechen (Rade Šerbedžija) ein, der als geborener Überlebenskünstler diesen leicht weltfremd- intellektuellen Levi für sich einspannt, ihm dafür Essen und Sicherheit gibt, und ein überzeugender Zurechtkommer ist, der sich als erstes einen Harem von Frauen zulegt, die alle für ihn anschaffen gehen. Das Bordell als Zuflucht, denn frei sein, bedeutet auch, wieder Mann sein zu dürfen. Und verdienen kann man auch daran.
Damit ist die Funktion des Griechen noch lange nicht erschöpft. Er ist im Gegensatz zu den Italienern, die er alle für Romantiker hält, weil sie an die Liebe glauben, so diesseitig, daß er für viele Wiedersehen im Film gut ist. Rosi hat seinen Film nach dem Buch so sinnenfroh gestaltet, wie es überhaupt nur möglich ist. Der Kampf ums Brot und wie sich einzelne aus der Gruppe der Italiener, die so individuell dargestellt sind, daß es eine Freude ist, wie sich einzelne großmütig oder egoistisch verhalten, sagt viel über die menschliche Natur aus und dadurch auch etwas darüber, daß man im Leben immer eine Wahl hat, wer man sein will. Der Film ist von daher auch – ohne Zeigefinger! - ein Lernen über die Welt und die Natur des Menschen.
Wenn man es im Nachhinein bedenkt, ist dieser doch aus traurigen Umständen entstandene Film derart lebensbejahend, ja lebensverliebt und erweckt in einem beim Zuschauen ob der skurrilen Erlebnisse eine tiefe Freude, wie einfach das Leben sein kann: wenn das Überleben von Auschwitz einen die Sonne am Himmel strahlen lassen sieht und jeder Sonnenstrahl ein Gedicht ist, wenn man die aufbrechende Natur im Frühling erlebt, wenn die Welt so lebendig dargestellt ist, wie sie sein kann, wenn Menschen sich nicht in Korsetts stecken, sondern experimentieren, wie sie ihren Weg in die Heimat am besten erreichen. Für Levi bedeutet das, Rollen zu spielen, den Arzt zu mimen und vieles mehr.
Irgendwie ist das ein schön einfacher Film, der die Liebe zum Leben zeigt und eben auch wie Grauen und Freude so dicht aufeinander folgen können. Daß einen später – nach dem Überleben – das Lager wieder einholen kann, auch dafür ist der Autor und die Hauptperson des Films ein Beispiel. Der Film aber spricht erst einmal nur von der Freude, am Leben zu sein und die Widrigkeiten einer elfmonatigen Rückkehr als Panoptikum des Lebens zu erfahren und diese Erfahrung darstellen zu können. Das bewirkt beim Zuschauer eben auch, daß er sich seiner heutigen privilegierten Situation erst recht bewußt wird und sich fragt, ob er denn dieser Lebenslust genug frönt, ob er aus den einfachen Dingen des Lebens genug schöpft, d.h. diese überhaupt wahrnimmt.
Damit hat VERSO SUD einen wunderbaren Auftakt, der am 22. Dezember wiederholt wird.
Foto: John Turturro links als Primo Levi, Rade Šerbedžija als Der Grieche