Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 10. Dezember 2015, Teil 2

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Schon verrückt, daß man sich in New York so gut auskennt. Zumindest dann, wenn man die frühen Filme von Woody Allen kennt und eben auch die von Noah Baumbach, der sich sogar auf Allen beruft und seine eigene Erfahrung beisteuern kann, denn er stammt aus genau der New Yorker Intellektuellenfamilie, die filmisch gerne für die Neurosen herhalten, aber auch für die Lebenskräfte und Seinsgestaltungen stehen, die das Abgehobensein ganz ohne Drogen ausmachen.

 

Alles dreht sich um Brooke, eine Dreißigjährige aus New York, der Greta Gerwig wieder den Schwung verleiht, den wir erwarten, wozu ja die Überschlagungen gehören, die zu viel Schwung verursachen. Ihr geht es toll, denkt man, wenn man sie reden hört und an ihrer Figur, der Mistress America, kann man die Ideologie der angeblich freien Welt und vom tollen New York so richtig nachvollziehen, miterleben, mitbedauern. Diese Brooke träumt dauernd vom großen Erfolg, der großen Wohnung, dem großen Geld, dem großen Mann und organisiert doch jeden Tag und jede Stunde das Scheitern ihrer Vorhaben mit.

 

Dies erkennt mit kundigen Augen diejenige, die erst einmal als flügge und ohne Orientierung in New York studierende 18 jährige Tracy (Lola Kirke) eingeführt wird, die in einem zukünftigen familiären Zusammenhalt mit Brooke steht: ihre Mutter und Brookes Vater wollen heiraten. Sie werden also zu Stiefschwestern. Brooke nimmt die Rolle der Älteren, Erfahreneren gar zu gerne an und entfaltet ihr großzügiges Wesen, das sie wirklich hat, das sie aber auch braucht, um vor sich selber und der Welt als solche zu erscheinen.

 

Sie hat Großes vor, der nächste Hammer wird ein von ihr als Innenarchitektin eingerichtetes ideales Restaurant als Künslterklause, wo alles ganz individuell ist, kein Teller dem anderen gleicht, und der Wohlfühlfaktor schon mit eingerichtet ist. Dafür hat sie viel Geld aufgenommen und hatte Investoren. Doch die springen ab und auch der ihr gewogene Ex-Freund, der reich geworden, das Geld hätte, weiß, daß sie nicht wirtschaften kann, daß ihre Sehnsucht, Großes zu bewirken, größer ist als ihre Fähigkeit, dies auch zu tun.

 

Das ist die eine Sache, die andere ist das, was grundsätzlich zwischen ganz jungen Frauen und den schon arrivierten abläuft. Denn Brooke sieht sich als solche, die nun der naiven Tracy die Welt zeigt und dafür auch weder Mühe noch Kosten scheut. Auch dies braucht sie zu ihrem Gefühl, die Gebende zu sein. Genau das ist es. Sie fühlt sich als Gebende, sie ist es auch, aber gerade diese Erkenntnis, daß Brooke dieses Gefühl braucht, entwertet im Zuschauer, auch in Tracy das Handeln von Brooke. Letzten Endes tut sie, die immer alles für andere tut, dies zur Stabilisierung und Vergrößerung ihres Ichs. Eigentlich hatte Freud dazu schon alles gesagt, aber es in New York mitzuerleben, schließt dann gleichzeitig eine Psychoanalyse dieser Stadt mit ein. Auf jeden Fall kann man sich diese Brooke weder im Mittleren Westen noch im Schwarzwald oder der Nordseeküste vorstellen.

 

Zurück zu den zwei Frauen. Die junge Literaturstudentin lernt und lernt, das meiste von und über Brooke. Das wollte diese ja, als ihre weibliche Mentorin. Allerdings bringt das Resultat, Tracys Kurzgeschichte, die sogar veröffentlicht wird, nicht den gewünschten Erfolg. Nicht bei Brooke. Denn in der Geschichte geht es um sie selbst und ihre sich selbst belügende Lebensweise Spätestens hier hat der Zuschauer schon lange verstanden, daß die Verhältnisse genau umgekehrt liegen. Daß die junge Tracy genau diejenige ist, die realistisch die Welt .und ihre Mechanismen durchschauen lernt und die sich so welterfahren und realistisch gebende Brooke die Träumerin ist, die im Selbstwahn von Erfolgen träumt, die sie selbst kaputt macht.

 

Konnte man sich den ganzen Film über aufregen über so eine überdrehte und selbstbezogene Person, ergreift einen am Schluß dann doch noch Mitgefühl, weil so offensichtlich ist, daß ihre vielen Ideen, die sie ungefragt allen mitteilt, für diese dann, wenn sie Brooks Ideen durchziehen, Geld und Ansehen bringen. Sie aber bleibt die Schwätzerin und Schwärmerin von sich selbst.

 

Doch, der Film hat etwas. Nur hat Noah Baumbach mit seiner Muse Greta Gerwig, die in Frances Ha, so umwerfend die unkonventionelle, ja antibürgerliche Musikerin gibt, eine Erwartungshaltung an weitere Filme und weitere Frauenfiguren geweckt, die MISTRESS AMERICA nicht erfüllen kann, vielleicht gar nicht will. Aber wir wollen so gerne die Herzenswärme der unbürgerlichen Frances Ha auch in weiteren Rollen spüren. Das Problem liegt vielleicht bei uns?!