Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. Dezember 2015, Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ich kann ja nicht die einzige sein, die das seit 2006 an die fünf Millionen Mal verkaufte Buch von Harpe Kerkeling, das auf Platz 1 der Spiegelbestsellerliste mindestens 100 Wochen überwinterte, die dieses Buch nicht gelesen hat. Aber das gibt ja nun einen durchaus unvoreingenommenen Blick. Am besten gefielen mir die Rückblenden, die im Film sozusagen psychoanalytisch den Darstellungsdrang des Unterhaltungsküstnlers erklären.

 

Sicher liegt die Freude an diesen Filmsequenzen auch in dem Ambiente der frühen Jahre der Bundesrepublik, zu der das direkte, mehr als burschikose Verhalten der „Omma“ aus dem Ruhrgebiet - wieder eine Rolle, der Katharina Thalbach auf den Leib geschrieben - genauso gehört, wie die Bedeutung von Rundfunk, aber vor allem die Erkenntnis: aha, die Mutter ist früh gestorben, darum also, der armer Harpe... Und während wir noch damit beschäftigt sind, diese Szenen zu goutieren, hören wir: Im Buch gibt es diese Szenen gar nicht !

 

Schade, dabei fand ich die Rückgriffe in die Kinderzeit das Beste am Film. Denn den Jakobsweg, den kenne ich selber und zwar nicht von einem Mal, sondern mehreren Malen. Das Wandern war nicht das Ziel, aber die Kunstgeschichte am Rande des Weges bis Santiago (herrlich die romanischen Klöster und Kirchen, unvergeßlich die Kathedrale von Leon). Und darum fand ich es ungeheuerlich, daß vom Gefühl der Landschaft nur das Gefühl übrig blieb, aber all das Spanische, das dazu gehört, im Film völlig fehlt. Also ehrlich, dieser Filmweg hätte auch auf anderen Kontinenten liegen können.

 

Diese Filmemacher sind niemals den echten Weg vor sich hin gewandert. Da lernt man nämlich die schrägsten Typen kennen, hört Schicksale, die glaubt man nicht, und erfährt so viel über Menschen, wenn man die fragt, warum sie den Weg gehen. Die 22jährige aus Kanada, die einem ins Gesicht strahlt und sagt, daß sie nach ihrer Ausbildung zur Lehrerin jetzt bei der Hälfte ihres Lebens angekommen sei und deshalb Bilanz ziehen wolle oder das französische Ehepaar, wo er in Rente ging, nun aber die ganze Zeit im Zuhause in Südfrankreich weilt, wo er dreißig Jahre doch nur am Wochenende da war, weil sein Job und sein Leben in Paris stattfand. Seine Frau meinte, der Jakobsweg sei für sie die Probe, ob sie mit diesem Mann überhaupt leben wolle, ob sie sich was zu sagen hätten. Das war der Fall und sie strahlte nun auch, denn sie fühlte sich neu verliebt in ihren alten Mann.

 

Nein, nein, keine Geschichten mehr. Sie sollen ja nur andeuten, was dort auf dem Jakobsweg los ist, was dieser Film durch Belangloses ersetzt. Das tut weh. Und da wir den Film mit dem Buch von Kerkeling nicht begründen können und deshalb auch nicht wissen, ob der Film das Buch verrät, muß sich unsere Filmkritik auf das Geschaute beschränken.

 

Jetzt aber das Schöne. Devid Striesow ist ein begnadeter Harpe Kerkeling. Am Anfang glaubt man das nicht, dieser aufgedunsene Typ mit Doppelkinn und Wampe, das ist Striesow? Man fragt sich auch technisch, wie die Maske so was macht, oder ob er sich wie amerikanische Schauspieler 20-30 Kilo anfressen mußte. Auf jeden Fall ist er in seiner Rolle genau der Mensch, den man ob seiner freundichen Geduld gerne zum Freund haben möchte, aber auf keinen Fall zum Mann.

 

Nur aus Interesse an Striesow schaut man sich die Episoden an, die den Film etwas statisch von einer Station zur anderen bringen. Da funkelt etwas auf, als Martina Gedeck als Stella der Stern der Männer wird, aber ihre Rolle ist so dämlich und durch den Krebstod der Tochter, die mit ihr hier wanderte, so gewollt rührselig, daß einem die Tränen aus Ärger kommen, wie hier eine so gute Schauspielerin verheizt wird und daß diese vorgeplante Rührseligkeit einen gleich daran erinnern, daß aus dem gleichen Grund der Film zu Weihnachten anläuft. Eigentlich ist das so durchsichtig wie peinlich und auf der selben Ebene, wie im Film über Gott oder Gläubige gesprochen wird. Oberflächlich, absichtvoll, steril.

 

Aber gut verständlich, wenn nun ab heute Tausende in die Kinos drängen, denen das Buch viel bedeutet hat. Nur uns, uns läßt der Film ratlos zurück und mit der Gewißheit, das Buch jetzt auf keinen Fall anrühren, geschweige den lesen zu wollen..

 

P.S. Statt des Films oder auf jeden Fall zusätzlich sollten Sie den herrlichen Bildband erwerben, den wir neulich schon einmal ausführlich besprochen hatten:

Gioia und Nando Lanzi, DER JAKOBSWEG. Geschichte und Kultur, Primus Verlag