Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 31. Dezember 2015, Teil 2

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Also, ich weiß gar nicht was die Leute haben, damit meine ich die Kollegen Filmkritiker, die diesen Film vom kanadischen Regisseur Atom Egoyan nicht mögen, ihn trocken und langweilig finden. Ich habe gespannt zugeschaut, ob der Auschwitzüberlebende Zev in Nordamerika seinen Peiniger aus dem Lager findet und ihn zur Rede stellen, bzw. zum Schweigen bringen kann.

 

Alles läuft also auf das Ende zu und das ist dann von einer Art, daß einem die Luft wegbleibt und sich alle Gewißheiten auflösen zugunsten einer Welt, in der man niemanden nichts mehr glauben kann. Aber, natürlich, darf dieses Ende nicht verraten werden. In unseren Augen machte dieses Ende aber den ganzen Film besonders sehenswert, weshalb wir den Kritiken, die bei der Aufführung von REMEMBER in Cannes 2015 lauthals den Schluß für verheerend hielten und forderten, daß für den Film fünf Minuten vor dem bisherigen Ende Schluß sein soll, einfach nicht folgen können,. Auf keinen Fall. Auf keinen Fall!

 

Und damit Sie endlich Bescheid wissen, erst einmal der deutsche Untertitel, der lautet: Vergiß nicht, Dich zu erinnern. Denn genau davor, sich nicht mehr erinnern zu können, hat Zev Guttman – eindrucksvoll verkörpert von Christopher Plummer – Angst. Er lebt in einem Altersheim und sein Gedächtnis verläßt ihn, sozusagen stündlich wird es weniger, er gleitet in die Demenz, muß vorher aber noch ein Lebensziel erreichen: den KZ Aufseher, der vor mehr als 70 Jahren seine Familie ermordete, aufspüren. Sein Freund und Mitbewohner Max – auch sehr glaubhaft Max Zucker – der geistig hellwach aber im Rollstuhl sitzt - hat nämlich die neue Identität des alten deutschen Feindes, des KZ-Blockwarts, also dessen neuen amerikanischen Namen endlich herausbekommen. Den soll der altersschwache Zev nun suchen, bzw. ihn finden. Das will der auch, damit er aber unterwegs nicht vergißt, auf welchem Weg und zu wem er unterwegs ist, hat Max seinem Freund fein säuberlich alles aufgeschrieben. Schließlich geht es nicht nur ums Finden, sondern ums Erledigen, also das Töten des Täters von Auschwitz.

 

Der Name, den Max eruiert hat, ist Rudy Kurlander. So heißt dieser Täter heute. Von denen gibt es aber in Nordamerika so einige. Wir erleben nun mit, wie der von Max instruierte Zev einen Kurlander nach dem anderen aufsucht. Das steht alles genau in seinem Brief, wie er vorgehen soll und Zev hält sich dran und hat auch noch genug Wut in sich, jeden potentiellen Täter namens Kurlander – da sind hintereinander die amerikaerprobten deutschsprachigen Schauspieler Bruno Ganz, Heinz Lieven, Jürgen Prochnow und als hinreißender Ausrutscher Dean Norris als typisches amerikanisches Vorurteil John Kurlander zu sehen – vor seine Flinte zu bekommen, die er vorsorglich eingepackt hat. Denn es geht um Abrechnung.

 

Wie aber den falschen Kurlander von dem richtigen scheiden. Darin liegt die Spannung des Films und auch der Witz der Geschichte, die natürlich eine rabenschwarze ist, weil man mit KZs einfach keine rein lustigen Geschichten erzählen kann. Wir fanden nun diese Episoden eindrucksvoll, die vor allem die USA als Panoptikum zeigen. Dabei geht es immer darum, wie dieser alterssenile Zev herausbekommen kann, ob er den Mörder von Auschwitz und von seiner gesamten Familie vor sich hat. Wir erleben mit Zev die Erschütterungen von damals mit. Das Leid und das Ausmaß von Trauer.

 

Und da wir über den Schluß nichts schreiben dürfen, soll noch einmal der Regisseur zu Wort kommen, der als Autorenfilmer gestartet ist und nun mit seinem Film die ganze Welt erreichen will, was bei uns hingehauen hat, aber bei vielen eben nicht. Klar, daß wir auch empfehlen, den Film anzuschauen.

 

Es ist außerdem noch wichtig, darauf hinzuweisen, daß die Generation der Täter ausstirbt, auch die deutschsprachigen Schauspieler sind wesentlich jünger als die Figuren, die sie spielen, aber die Alten, die ganz Alten, die gibt es auch noch. Nicht nur in Deutschland und Italien sind Nazi-Prozesse wieder angesagt, weil man heute erst Täter identifiziert. Jüngst ist das auch in den USA geschehen, weshalb die hier erzählte Geschichte besonders glaubwürdig ist. Dort wurde der 89jährige Johann Breyer in Philadelphia im Sommer 2014, während der Dreharbeiten an diesem Film, als KZ-Aufseher wiedererkannt. Er starb im US-Gewahrsam, bevor das deutsche Auslieferungsgesuch in den USA bearbeitet war.