Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 21. Januar 2016, Teil 4
Kirsten Liese
Berlin (Weltexpresso) - David ist in jeder Hinsicht ein Original. Er redet wie ein Wasserfall, sucht vertrauensselig Körperkontakt zu fremden Menschen und stibitzt, wo immer sich eine Gelegenheit bietet, Teebeutel. Seine schizoaffektive Störung ist der hyperaktive Australier demnach bis heute nicht ganz losgeworden.
Vor allem aber strahlt er eine große Lebensfreude aus. Dass es ihm vergönnt war, nach langer Zwangspause als Pianist ins Konzertleben zurückzukehren, erfüllt den Musiker mit großer Dankbarkeit.
„Hello I Am David“ ist bereits der zweite Film über den Ausnahmekünstler David Helfgott, der 1947 als Sohn polnisch-jüdischer Eltern in Melbourne geboren wurde, im Alter von 20 Jahren einen schweren Zusammenbruch erlitt und nach einem elfjährigen Aufenthalt in psychiatrischen Kliniken dank der großen Liebe einer Frau wieder ins Leben zurückfand.
Die beiden Produktionen ergänzen sich trefflich, denn anders als Scott Hicks, der sich in seinem Spielfilm „Shine“ auf die schicksalhaften Jahre konzentrierte, begleitet Cosima Lange den realen, mittlerweile 68-jährigen David Helfgott mit ihrer Kamera auf einer Europatournee mit den Stuttgarter Symphonikern. Die traumatische Vergangenheit streift Lange nur am Rande, und es hat etwas Sympathisches, dass der einzige in Interviews zu Wort kommende Psychiater David als einen originellen, frechen Außenseiter beschreibt, der die Gesellschaft mit seinem Anderssein bereichert.
David ist nicht eitel. Er hat es zugelassen, dass Lange ihn aus der Nähe zeigt, so wie er ist, mit all seinen guten und weniger guten Eigenschaften, als einen selbstbewussten, liebenswerten, optimistischen, spleenigen Lausbub, aber auch als einen Quälgeist, der mit seinem schier unersättlichen Bedürfnis nach Kommunikation und Nähe mitunter schwer auszuhalten ist.
In der Musik allerdings ist David grandios, erhaben über jedwede technische Klippen und wie entrückt in eine ferne Welt. Wie ein Besessener interpretiert er Stücke von Bach und Beethoven und natürlich auch das dritte Klavierkonzert von Rachmaninow, das ihn schicksalhaft seit seinem ersten triumphalen Konzert in London kurz vor seiner Erkrankung sein ganzes Leben begleitet. Fast könnte man meinen, er würde improvisieren, so schlafwandlerisch sicher rasen seine Finger über die Tastatur. „Klavierspielen ist ein riskantes Geschäft“, sagt er selbst dazu, „aber man muss etwas riskieren, denn das Leben ist ein sehr kurzes Zauberstück“. Dazu passt es, dass David an Flüsse und Bäume, an den Himmel und die Vögel denkt, wenn er spielt - nie an die Noten. „Als er sich ans Klavier setzte, gab es diese Verwandlung, ich hörte das unglaublichste, leidenschaftlichste und spontanste Spiel“, so treffend beschreibt Ehefrau Gillian seine Kunst.
Wenn es gegen Helfgotts Wiedergaben etwas einzuwenden gibt, dann allenfalls seine Neigung zu überzogenen, allzu schnellen Tempi, die jedoch nie zum virtuosen Selbstzweck werden.
Dass der Musiker gleichwohl so viele Zuschauer elektrisiert, mag aber auch damit zu tun haben, dass er so positiv ist und in allem das Gute sieht, wie der Dirigent Matthias Foremny sagt: „Sein großes Glück, zu spielen und zu überleben, überträgt David auf jeden im Saal.“