Zu OPERATION ZUCKER. JAGDGESELLSCHAFT in der ARD gestern, Teil 3
Elke Eich
Berlin (Weltexpresso) – Nadja Uhl (Foto) trägt ein schwarzes T-Shirt mit weißer Aufschrift: „Je suis Frauen von Köln, Bielefeld, Hamburg, Berlin, etc…“ - es kommt frisch aus dem Copy-Shop. „Ich habe mich gefragt, wo bei diesem Thema der sonst übliche Aufschrei in der Gesellschaft bleibt?“ erklärt sie. Das Zitat hat sie angesichts des Schweigens gewählt, das herrscht.
„Es geht um unsere freiheitlichen Werte, um die uneingeschränkte Solidarität mit den Frauen. Alle in unserem Land, egal welcher Hautfarbe und Herkunft, egal ob Männer oder Frauen müssen Haltung zeigen, die Sprachlosigkeit überwinden, denn die Freiheit der Frau ist unantastbar.“
Auch wenn es um die organisierte Kinderprostitution geht, die bis in die höchste Kreise der Gesellschaft praktiziert wird, herrscht weitgehend betretenes Schweigen. Nadja Uhl spielt zum zweiten Mal die Kriminalbeamtin Karin Wegemann, die sich bereits im ersten Teil von “Operation Zucker“ vehement für Aufklärung einsetzt und an konspirativen Strukturen, in denen Kinder routinemäßig missbraucht werden, aufgrund ihrer perfiden Machtgeflechts fast zerbrochen wäre.
“Operation Zucker“ wurde nach drei Jahren fortgesetzt. Wie war damals für Dich der Einstieg in dieses trostlose Thema der Kinderprostitution, bevor Du für den ersten Teil zugesagt hast?
Ich bin lange vor dem Thema davongelaufen. Zunächst habe ich wie die meisten darauf reagiert, die sagen, dass das Randerscheinungen sind. Was man nicht für möglich hält, das darf - in einem Erstreflex – wohl auch nicht sein. Ich dachte, das sind Auswüchse irgendwelcher Fantasien, die es zu allen Zeiten gab, mit denen man sich im Rahmen menschlichen Seins auseinandersetzen muss, aber nicht im Rahmen eines Massenphänomens.
Nach dem Motto, es gibt da vereinzelt ein paar Kranke, die das machen…
Und so ist es eben nicht! Es handelt sich nicht um Einzelerscheinungen in unserer Gesellschaft, sondern wir müssen von organisierter Kriminalität und einem breiten Netzwerk ausgehen. Und es ist, gerade durch das Internet, ausufernd, also alles andere als eine Randerscheinung. Während der Arbeit an Operation Zucker, Teil 1, als BKA-Chef Ziercke noch im Amt war, sagte er damals, in einer Pressekonferenz der UNICEF „Ich bitte die Bundesregierung um Mithilfe. Wir werden der Lage nicht Herr!“ Seitdem hat sich nicht genug getan. Deshalb habe ich mich erneut auf das Thema eingelassen: Scheinbar stellen wirtschaftliche Interessen noch alles andere in den Schatten.
Nun bist du ja eine Frau, die kämpferisch ist, auch im Leben…
Ne, bin ich gar nicht. Eigentlich will ich meine Ruhe haben, wie jeder normale Mensch auch. (lacht)
Ich denke schon, weil Du sagst, was Sache ist und mit deiner Meinung nicht hinterm Berg hältst.
Nur, wenn ich wirklich finde, es ist auch mal Schluss mit den Dingen. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich zu allem meinen Senf dazu geben muss.
Was hat Dich an der Rolle der Karin Wegemann besonders gereizt?
Zum einen, dass sie eine starke Frau ist. Und das Thema natürlich. Gabriela Sperl, die Produzentin, schilderte mir in einem Gespräch, wie die Situation ist; alles auf der Basis von Recherchen. Dann habe ich mit Leuten gesprochen, die in diesen Bereichen tätig sind, wie z.B. Kripobeamte und Mitarbeiter von Sondereinheiten. Und von allen Seiten wurde bestätigt, dass es so ist und dass es in der Realität eigentlich sogar noch viel schlimmer ist als das, was wir im Film benennen.
Dadurch hatte ich dann schon ein gewisses Vertrauen in den Stoff und seine Brisanz. Vor allem hatte ich großes Vertrauen in meine Produzentin, weil sie sich natürlich auch nicht ihr Leben schwer machen will. Alle, die mit diesem Thema umgehen, machen sich ihr Leben ja nicht einfacher. Kinderprostitution, gegen die wir Filmemacher ankämpfen, ist ein großer Wirtschaftszweig. Hier geht es nicht nur um emotionale Aspekte, sondern vor allem um eine finanzielle Komponente.
Wenn wir jetzt einmal von denen absehen, die direkt in diesen Prostitutionszirkeln verdienen: Wer profitiert noch davon?
Da verweise ich auf Sachkundige, wie z.B. den ehemaligen Kripo-Beamten Herrn Paulus. Wie das im einzelnen in den Strukturen läuft, d.h. wie die Kinder beschafft werden, wie sie untergebracht werden, was mit ihnen geschieht, wer wie viel wofür bezahlt, das können diese Leute alle besser sagen.
Als Schauspielerin reicht es, das zu wissen und zu zeigen. Den Rest müssen endlich Verantwortliche übernehmen.
Wir reden lange nicht mehr davon, ob es das gibt, sondern wir reden davon, in welcher Form und in welchem Ausmaß es das gibt und ob endlich jemand auf politisch höherer Ebene bereit ist, das Thema ernsthaft anzupacken und die Kinder zu schützen.
Im ersten Teil von “Operation Zucker“ geht es um Kinderhandel aus Rumänien nach Deutschland. Wie waren damals Deine Eindrücke bei der Vorbereitungsreise mit Unicef in Rumänien?
Die Not erschließt sich nicht sofort, wenn man durch Rumänien reist. Die Armut verbirgt sich hinter dem Eindruck eines urbanisierten Landes, in den ärmeren Dörfern und in den Sinti- und Roma-Siedlungen. Da herrscht eine für uns Deutsche schon sehr ungewöhnliche Not.
Und Fakt ist, dass es in Rumänien keine Geburtenregistrierung gibt. Das habe ich nicht gewusst. Es werden so viele Kinder geboren, die es offiziell in der Welt gar nicht gibt! Das bedeutet, dass es ganz leicht ist, Kinder aus dem Land heraus zu schleusen und die Maschinerie des Menschenhandels anzuleiern.
Das, was jetzt der zweite Teil Operation Zucker- Jagdgesellschaft zeigt, ist das Thema in Deutschland mit deutschen Kindern das z.T. tief in bürgerliche Milieus hineinreicht. Es geht um weggelaufene Kinder und um Geld, das man mit ihnen machen kann.
Die Auseinandersetzung mit den Realitäten waren sicher schwer zu verkraften.
Bevor die Dreharbeiten zum ersten Teil begannen, war ich manchmal erschöpft, angesichts der Bilder und aufgrund der Informationen, die ich im Vorfeld bekam. Aus der Traurigkeit und Erschöpfung wird aber Wut und aus der Wut wird Mut. Mit Beginn des ersten Drehtages fühlte ich mich kraftvoll und motiviert.
Für manche Menschen, mit denen Du im Kontakt warst, gehört diese Auseinandersetzung zum beruflichen Alltag.
Ich weiß bis heute nicht, wie Kripobeamte es schaffen, sich dem täglich auszusetzen. Ich weiß auch nicht, wie z.B. Katrin Schauer von KARO e.V., es an der tschechischen Grenze aushält, wo sie sich um die Mädchen kümmert. Eine bewundernswerte Frau. Ich bin ganz froh, dass ich mich dann irgendwann wieder zurückziehen kann.
Wir als Filmemacher können das nach dem Film hinter uns lassen. Im Gegensatz eben zu all diesen Personen, die sich damit hauptberuflich beschäftigen. Wir können aber punktuell auf einen großen Mißstand hinweisen. Aus dem Bewusstsein habe ich dann große Motivation gezogen.
Wie unterscheidest Du die besonderen Qualitäten dieser beiden Teile von “Operation Zucker“?
Im ersten Teil war es noch sehr heikel, dieses Thema zu etablieren. Aber wir hatten zumindest die Rückendeckung des BR und der anderen Partner. Wir haben dann insgesamt wirklich sehr, sehr positive Erfahrungen gemacht. Auch in der Reaktion der Zuschauer und der Presse.
Das war großartig, denn Diskussionen zu solchen Themen kippen ja schnell in Scheindiskussionen. Man diskutiert dann plötzlich ganz schnell über 1000 andere Dinge und nicht mehr darüber, was Kindern tatsächlich angetan wird und dass sich keiner für sie interessiert.
Den zweiten Teil konnte die Regisseurin Sherry Hormann verschärfen. Er scheint mir eine notwendige Zuspitzung zu sein, um auch hier endlich dieses merkwürdige Schweigen von politischer Seite zu beenden. Die ARD macht nach der Ausstrahlung einen Themenabend mit Sandra Maischberger dazu.
Warum war ein zweiter Teil von “Operation Zucker“ wichtig?
Ein Argument kam damals häufig: „Ach, das sind ja nur die Kinder aus osteuropäischen Ländern.“ Und jemand sagte:„Das sind doch nur ein paar Zigeuner-Kinder an der tschechischen Grenze!“ Das sind Reaktionen, die zeigen, wie wenig man das Thema zulassen will.
Was uns alle sehr stark motiviert hat, war, dass wir an das Thema noch mal ran müssen, weil sich grundlegend zum Schutz der Kinder nichts geändert hat. Auch im Internet passiert zu wenig.
Wir war für Dich das Erarbeiten des Stoffs?
Nach der Entscheidung für das Projekt stellte sich am Anfang, wie schon gesagt, eine große Erschöpfung in der ganz konkreten Auseinandersetzung mit der Thematik ein: im Hören der Geschichten, im Aufnehmen von Schicksalen, von Bildern, im Begreifen von für mich wirklich fremden Welten. Aber ich selbst bin nicht mit Opfern oder Tätern in Berührung gekommen. Da haben die Drehbuchautoren Ina Jung und Friedrich Ani einfach den größten Teil geleistet und sich von uns allen wohl am meisten mit dem Thema auseinander gesetzt. Für mich war es so wichtig, den Menschen zu vertrauen, die mit den Quellen direkt zu tun haben.
Die Dreharbeiten haben Dich zu Hause nicht noch beschäftigt? Deinem Kollegen Mišel Matičevič ging es da ganz anders.
Manche Drehtage haben mich schon besonders bewegt. Aber am meisten mitgenommen haben mich die realen Geschichten, die ich vorher gehört habe, und die Fakten, mit denen ich konfrontiert wurde; die Bilder, die ich in Rumänien gesehen habe, die Aussagen der Menschen, die mit Opfern Kontakt haben.
Beim Dreh sind wir irgendwie konstruktiv, da ist man auf die Umsetzung und auf das Spiel konzentriert. Dann ist ja auch alles fiktional und es gibt Schutzmechanismen, Abstand durch das Spiel zu erzeugen. Deshalb war ich nach einem Drehtag auch nicht so fertig oder traurig, wenn ich wieder zu Hause war.
Bei so einer schwierigen Arbeit, ist es wichtig, dass man sich im Team aufgehoben fühlt. Für mich waren der Regisseur Rainer Kaufmann im ersten Teil und die Regisseurin Sherry Horman im zweiten Teil maßgebend. Sherry hat das Ganze klar geführt und uns allen Struktur und Halt gegeben. Dabei war sie jederzeit locker und offen für Ideen. Mit solchen Regisseuren kann man so einen Weg gehen.
Aber, was die Frage betrifft, ist es so: Ich glaube einfach, dass es viel mehr Gutes und Positives auf der Welt gibt, und die Beschäftigung mit solchen dunklen Themen einen speziellen Bereich betrifft. Aber das macht nicht mein Menschenbild aus. Sonst würde ich es nicht machen.
Außer Dir spielt kein anderer Schauspieler des ersten Teils mit. Wie war für Dich die Zusammenarbeit mit Mišel Matičevič, den Du im zweiten Teil neu an Deiner Seite hast?
Die Anderen haben mir gefehlt, aber Wegemann wurde halt versetzt.
Mišel kann sehr lustig sein, aber auch sehr ernst, nahbar und verletzbar. Teilweise war er beim Umgang mit der Thematik auch sehr stark betroffen, was ich sehr sympathisch fand.
Die Regisseure Rainer Kaufmann im ersten Teil und jetzt Sherry Horman haben sehr verschiedene Handschriften. Mišel Matičevič sprach jetzt von einem im positiven Sinne „unangenehmen“ Film.
Sherry lag es, glaube ich, am Herzen, in Fortsetzung der Arbeit von Rainer Dinge noch einmal zuzuspitzen. Das war ihr Ansatz, den wir diskutiert haben. Sie hat dann auch im Schnitt noch manche Dinge verschärft, und das ist ihre Handschrift als Regisseurin. Ich finde, es ist gelungen, aber ich finde auch, dass es in der Konkretheit manchmal schwierig ist. Diese Zuspitzung durch das Zeigen und das konkrete Benennen muss man aushalten. Diese Zuspitzung muss jetzt auch etwas erreichen. Mehr, so sehe ich das für mich, kann man als Künstler auch nicht tun.
Würdest Du sagen, die Figur der Karin Wegemann ist von der Art, wie sie handelt, stark an Deiner Persönlichkeit ausgerichtet?
Als Karin Wegemann habe ich in der Rolle Ausbrüche und Zusammenbrüche, die ich mir persönlich in so einem Umfeld nicht erlauben würde. In dem Job würde ich immer versuchen, mich mehr zusammenzureißen. Ich würde auch analytisch herangehen, egal wie man hinten herum verzweifelt ist. Da ist Wegemann aus dramaturgischen Kunstgriffen impulsiv und explosiv, was ich aber liebe. Es sind ja teilweise auch Ideen, die von mir kommen, als kleines Ventil für den Zuschauer.
Für eine Kripo-Beamtin ist Karin Wegemann beeindruckend ungewöhnlich.
Sie sollte nicht so eine ganz überlegene, ruhige Kommissarin sein. Beim Lesen der Rolle entstand bei mir der Wunsch, einfach mal Dinge geradeheraus zu sagen, wie es die Wegemann eben tut, selbst wenn sie am Morgen einen Kater hat und danach in den Papierkorb brechen muss. Das fand ich so herrlich inkorrekt, und das hat mich sehr an der Rolle interessiert.
Teil Zwei beginnt damit, dass Karin Wegemann nach einer Auszeit vom Fahnden im Kinderprostitutionsmilieu wieder neu einsteigt, nachdem sie am Ende des ersten Teils komplett zerstört war.
Da waren Rainer Kaufmann und wir alle uns einig, dass es nicht so ein Krimi-Ende mit Happy End geben darf. Im Verlauf der Dreharbeiten wurde uns allen klar, wie es ausgehen soll, damit wir auch authentisch bleiben. Die Täter werden fast nie gefasst. Das in aller Deutlichkeit zu zeigen, fand ich super. Ich fand es auch total stark, nicht so eine siegreiche Figur zu sein.
Diese Art der Arbeit hatte für dich als Mutter sicher eine besondere Note.
Das ganze Projekt hat ’ne besondere Note, für alle! Das ist doch ganz klar. Aber ich habe irgendwann die Entscheidung gefällt, meinen Beitrag zu leisten. Ich akzeptiere aber auch meine Grenzen und würde nie die Heldin spielen. Das heißt, nicht mehr unterscheiden zu können, wo die Grenzen für mich als Schauspielerin sind und mich in Bereiche zu begeben, die für alle gefährlich werden könnten. Da unterschätze ich die Thematik in keiner Sekunde.
Foto: (c) Kay Bockhold
Info:
ARD: 19. Januar – Wiederholung von “Operation Zucker“ - 22:45 Uhr
Regie : Rainer Kaufmann
ARD: 20. Januar – “Operation Zucker. Jagdgesellschaft“ - 20:15 Uhr
Regie : Sherry Hormann
Während der Sendung : Live-Chat mit Experten und dem “Operation-Zucker“-Team vgl. nächster Artikel
20. Januar ab 21:45 Uhr: Diskussion zum Thema bei “Maischberger“