Zu OPERATION ZUCKER. JAGDGESELLSCHAFT in der ARD gestern, Teil 4

 

Elke Eich

 

Berlin (Weltexpresso) – Mišel Mati?evi?, Berliner mit kroatischen Wurzeln, ist einer der charismatischsten und in seiner Darstellung authentischsten deutschen Schauspieler seiner Generation. Er ist prädestiniert für Rollen kerniger Männer mit Sensibilitätsnischen und Verletzbarkeitspotential. Eine gefährliche Suchtmischung für Frauen und ein großes Potential für unterschiedliche Rollen!

 

In “Operation Zucker. Jagdgesellschaft“, der Fortsetzung des sensationell erfolgreichen TV-Films aus dem Jahr 2013, ist er Ronald Krug, der anfangs recht schroffe Kollege von Nadja Uhl. Doch im Zuge der Geschehnisse öffnet er sich der eklatanten Tragweite des Themenkomplexes Kinderprostitution und Kinderpornografie. So manche Bilder gehen auch dem Schauspieler seit dem Dreh nicht mehr aus dem Kopf...

 

 

Sie sagen ja sehr viele Angebote ab. Was hat Sie an der Rolle des Ronald Krug besonders gereizt? 

 

Das  war schon mal ein gut geschriebenes Drehbuch, was für mich erst mal am wichtigsten ist. Dann ist die Rolle des Ronald Krug interessant und ich hab einfach etwas für mich entdeckt bei ihm, was mich gereizt hat. Selbstverständlich war auch noch ausschlaggebend, dass ich eine tolle Regisseurin hatte - weil ich Sherry Hormann sehr schätze - und mit Nadja Uhl eine tolle Kollegin. Auch die weitere Besetzung ist herausragend!  Von daher war mir schnell klar, dass ich das machen würde.

 

 

Was genau an dieser Figur des Ronald Krug hat Sie gereizt?

 

Dieses anfänglich Abweisende zur Karin Wegemann. Dass er eher so ein Eigenbrötler und auch erst mal recht ruppig ist und sich erst Stück für Stück in der Geschichte öffnet, ihr und dem Thema gegenüber. Dass er für das ganze Thema sensibler wird. Das ist eine schöne Entwicklung. 

 

 

Krug hat ja sehr typisch männliche Eigenschaften...

 

Das kann man unterschiedlich spielen oder interpretieren: Das war meine Art es zu tun. Ein anderer Kollege hätte es anders gemacht. Er ist recht viril beschrieben im Drehbuch - so habe ich es zumindest gelesen. 

 

 

Finden Sie ihn auch ein wenig mackerhaft?

 

Macker fände ich zu einfach. Er ist ein Kerl. Aber eben nicht so dümmlich. Er merkt ja in der Geschichte irgendwann, was alles falsch läuft und ist dann offen.

 

 

Nun kommt die Kollegin Wegemann ja auch mit einer Vorgeschichte da an, mit einer Altlast sozusagen und einem Burnout. Und die Vermutung ist ja auch, dass sie Opfer eigener Hirngespinste sein könnte. Haben Sie sich im Vorfeld für die Rolle mit Kindesmissbrauch und Kinderprostitution bzw. Kinderpornografie (KiPo) vertieft auseinandersetzt und auch Fakten recherchiert?

 

Eher nicht. Es wäre gar nicht von Vorteil gewesen, so viel darüber zu wissen. Weil sie, die Kollegin, ja wirklich mit diesem Überwissen ankommt, um an diesem Fall zu arbeiten. Ich dagegen bin in der Rolle am Anfang nicht so im Thema gewesen - in der Rolle wohl gemerkt! Ein gewisses Maß an Nichtwissen war für meine Rolle da von Vorteil. Andererseits gibt es so viel über dieses Thema! Es wurde und wird viel darüber geredet und geschrieben. Da fällt es mir schwer, Einzelheiten herauszuheben. 

 

 

Hat Sie diese Arbeit in irgendeiner Form auch aufgewühlt?

 

Absolut! Auch schon beim Lesen. Und dann, als ich den Film gesehen habe, ist mein Eindruck, dass wir einen unangenehmen Film gemacht haben. Also, unangenehm anzugucken. Was ich positiv bewerte, weil es ein Zeichen dafür ist, dass er mich nicht kalt lässt. Aber wen kann diese Thematik schon kalt lassen?

 

 

Wie wirkt denn der Film aus Ihrer Sicht und was löst er an besonders unangenehmen Gefühlen aus? 

 

Möglicherweise ertappt man sich dabei, es nicht zu nah an sich heranzulassen. Weil es, glaube ich, sehr schmerzhaft ist. Es ist ja auch für jeden Menschen unterschiedlich, je nachdem wo jemand herkommt und was der erlebt hat - möglicherweise auch als Kind. Mir ist es auch unangenehm wegen des Wissens darum, wie viel vertuscht ist und wird. Wie viel davon, das weiß ich nicht. Darin hat keiner von uns einen wirklichen Einblick. Aber es wird zumindest klar, dass wir möglicherweise nur einen Bruchteil von allem wissen und man uns möglicherweise in vielerlei Hinsicht auch anlügt. Das zu überprüfen ist schwer. 

 

Da es ja offensichtlich um ein kriminelles Netzwerk geht, das Verflechtungen in allerhöchste Machtebenen hat, kann einem ganz schön übel werden. 

 

Dem kann ich nichts hinzufügen: Mir ist auch übel geworden. Es gibt wirklich eine harte Szene, in der sich der Krug abends oder in der Nacht Fotos am Laptop anguckt. Und da gibt es ein Bild, auf dem Kinderbeinchen und Männerbeine zu sehen sind. Und dieses grauenvolle Bild geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Das ist für mich so ein Horrorbild, das mich noch immer verfolgt.

 

 

Können Sie sich vorstellen, sich gegen Kinderprostitution aktiv zu engagieren?  

 

Es gibt ganz viele Themen und Dinge in der Welt, für die man sich einsetzen kann, sollte und muss. Das muss dann jeder für sich selbst entscheiden. Und es hat möglicherweise auch etwas mit dem Namen zu tun, den man trägt, was jetzt nicht kokett gemeint ist. Wie prominent ist man wirklich?  Welchen Sinn macht es dementsprechend dann auch? Kann es was helfen, kann es nichts helfen? Von daher kann ich diese Frage nicht beantworten.

 

 

Mindestens 60% der sexuellen Gewalttaten gegen Kinder werden nicht von Pädophilen begangen. Das heißt, dass das Männer sind (denn es sind ja größtenteils Männer), die eigentlich nicht grundsätzlich pädophil sind, sondern da geht es um Macht, um Missbrauch und Unterwerfung. Es scheint ja so, dass dies unter bestimmten Bedingungen ein männliches Verhalten sein könnte. Vor allem steigt die Verbrechenszahl auch sehr schnell. Vor allem Kinder unter sechs Jahren werden auch immer mehr missbraucht. Über 35% mehr als noch vor einigen Jahren.

 

Ich kann mir das nicht vorstellen, und ich kann mir das auch nicht erklären, woher das kommt. Weil mir diese Gedankengänge so fremd sind und weil mir das so fern liegt, Kindern in welcher Form auch immer, weh zu tun… Würde man mich fragen,  ob ich einen Pädophilen spielen will, wüsste ich auch nicht, ob ich das kann. Für mich ist wichtig, dass die Rolle, die ich übernehme, für mich auch Recht hat. Ein Beispiel aus der Weltliteratur: Jemanden wie Jago (Anmerkung: aus Shakespeares Othello) würde ich liebend gerne spielen, weil der auch recht hat mit dem, was er tut. Der ist nicht böse.

 

 

Ich denke schon, dass Jago böse und intrigant ist. 

 

Das kann man so sehen, und natürlich ist es nicht nett, was er so macht. Aber er macht es nicht aus Bösartigkeit oder weil er bösartig auf die Welt gekommen ist. Er hat erst einmal einfach recht mit dem, was er tut. Er wird verschmäht und er wird ignoriert. Da kann ich für mich diese menschliche Reaktion seinerseits nachvollziehen. Das kann ich dann auch spielen. Aber bei einem Pädophilen weiß ich nicht, ob ich das könnte. Kann ich mich da reinversetzen? Wo wäre da der Punkt, an dem ich sagen könnte: Ja, der hat recht! ? Damit ich ihn verteidige. Ich müsste ihn ja in der Rolle verteidigen können. 

 

 

Einen Richard III würden Sie auch spielen?

Klar, aber da liegt es ein bisschen anders als bei Jago…. 

 

 

Ihr Kollege Robert Schupp hat den Winfried Sudhoff gespielt, einen soften Pädophilen, der das Mädchen scheinbar liebt. 

 

Ich weiß nicht, ob man das in Schubladen einteilen kann. Hut ab vor den Kollegen, die das gespielt haben. Auch Christian Kuchenbruch: Wahnsinn! Ich weiß ganz ehrlich nicht, ob ich das könnte. Es ist großartig, dass die Kollegen die Täter dargestellt haben und vor allem, wie sie das gemacht haben. Mir fällt es bis heute schwer, mir vorzustellen, wie ich eine solche Rolle verteidigen könnte. Nur, um noch mal deutlich zu machen, dass ich es nicht nachvollziehen kann, aus welchen Beweggründen das Männer machen - oder möglicherweise eben auch Frauen. 

 

 

Wie war denn der Dreh an sich? 

 

Der Dreh war großartig! Weil, wie gesagt, wir waren ein tolles Team. Die Arbeit war sehr intensiv, was aber eben auch natürlich war in dem Prozess.…

 

 

War es denn auch schwer, wenn Sie abends nach Hause gekommen sind, die Arbeit hinter sich zu lassen?

 

Ja! Das ist generell schwer - für mich. Natürlich gibt es bei einem solchen Thema noch eine extra “Schwierigkeit“. Mich lässt das nicht los. Bis zum letzten Drehtag und noch darüber hinaus hat mich das  beschäftigt. Das musste erst mal dann wieder aus mir weichen. Ich erinnere mich an Tage, an denen ich wirklich noch sehr aufgedreht war nach dem Dreh. Meistens arbeite ich sowieso nach einem Drehtag noch weiter zu Hause, bereite mich vor, gucke mir das Drehbuch noch mal an, denke über gewisse Sachen nach, überlege, ob mir noch was Spezielles einfällt. Und bei diesem Dreh war das halt noch extremer, weil ich so aufgedreht war und auch teilweise dann nicht schlafen konnte.

 

 

Mit Nadja Uhl hatten Sie ja eine sehr kraftvolle Kollegin als Counterpart an der Seite. Wie war die Zusammenarbeit mit ihr? 

 

Es war toll mit ihr, weil sie sehr intensiv ist und auch sehr genau. Aber ich kannte sie ja schon vom Dreh zu “Dornröschen erwacht“ - übrigens alles andere als ein Märchenfilm. 

 

 

Welche besondere Note bringt Nadja Uhl durch ihre Persönlichkeit in ihre Rolle mit ein? 

 

Sie bringt wirklich ihr hohes Maß an Intensität mit ein. So ist Nadja in all ihren Rollen. Sehr kraftvoll, wie Sie schon sagten.

 

 

Mir kam Ihre Rolle des Berliner Zuhälters Hotte in den Sinn, die Sie unter Dominik Graf gespielt haben. Konnten Sie jetzt hier beim Kinderprostitutionsthema aus diesen Dreherfahrungen von damals schöpfen?

 

Nein. Jede Rolle ist neu und hat nichts mit dem anderen, was man schon mal gemacht hat zu tun. Die Arbeit fängt immer bei Null von vorne an.

 

 

Welche Wirkung wünschen Sie dem Film?

 

Das muss jeder für sich selbst entscheiden, was er daraus zieht. Der Film spricht für sich und das Thema spricht für sich. 

 

 

Wären Sie beim dritten Teil von “Operation Zucker“ gerne wieder dabei?

 

Wenn das Drehbuch entsprechend interessant ist, gerne. Aber da wissen Sie bzgl. einer Fortsetzung scheinbar mehr als ich. 

 

 

Laut den Aussagen der BR-Redakteurin stehen die Zeichen tatsächlich auf Fortsetzung, weil das Thema ja so wichtig ist. Am Ende des zweiten Teils erhält die Kommissarin ja auch noch einen USB-Stick mit Angaben zu Tätern.

 

Die Thematik ist weiter präsent. Es gibt derzeit auch eine ganze Reihe von Filmen und Beiträgen, die sich damit beschäftigen. Ich lese jedenfalls immer wieder davon. Selbst wenn es keinen dritten Teil gäbe, hat sich das Thema ja nicht erledigt.

 

 

Der zweite Teil trägt ja eine ganz andere Handschrift als der erste. Das Mädchen Fee aus dem ersten Teil taucht nicht wieder auf. D.h. sie ging auch wirklich “verloren“. Und es wird im zweiten Teil - wie im ersten - ja auch immer noch niemand aus dem Täterkreis dingfest gemacht. 

 

Es bleibt offen und es ist noch nichts gelöst, das stimmt. 

 

 

Das ist auch wahrscheinlich die Botschaft: Dass das Problem auch in Deutschland in höchsten Schichten omnipräsent ist und sich nicht einfach lösen lässt.

 

Das Thema und das Problem bleiben. Die Wurzel ist noch nicht rausgerissen.

 

 

Biografisches über Mišel Matičević

 

Mišel Matičević wird unmittelbar nach Abschluss seines Studiums (an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg) ans Berliner Ensemble und Deutsche Theater in Berlin engagiert. Währenddessen werden auch Regisseure wie Caroline Link, Dominik Graf, Oskar Roehler, Peter Kegelevic, Rainer Kaufman, Stephan Wagner und Thomas Arslan auf seine intensiven und virilen Darstellungen innerhalb einer großen Bandbreite aufmerksam. Sie besetzen ihn in ihren anspruchsvollen Film- und Fernsehproduktionen wie 'Blackout’, ‘Das Gelübde’, ’Die Brücke am Ibar’, ‘Hotte im Paradies’, ‘Im Angesicht des Verbrechens’, ‘Im Schatten’, ‘Lost Killers’, ‘Todesautomatik’ und ’Und Morgen leben wir wieder’. 

 

Einem internationalen Publikum wird er bekannt durch die Rolle des ‘Arpad Zelk’ in Ridley Scotts emmynominierter Serie ‘The Company’. Die besondere körperliche und sensible Art, mit welcher der Schauspieler die unterschiedlichsten Rollen im Film zum Leben erweckt, zeigt eine überdurchschnittliche Wandlungsfähigkeit und Intuition für das Wesen der Figuren. Sein besonderes Spiel ist mehrfach ausgezeichnet worden, darunter mit dem Adolf-Grimme-Preis und mehrfach mit dem Deutschen Fernsehpreis. Mišel Matičević ist Botschafter der Deutschlandstiftung Integration (www.deutschlandstiftung.net).

Foto: Szenenfoto Nadja Uhl und Mišel Matičević

 

Info:

 

 

ARD: 19. Januar – Wiederholung von “Operation Zucker“ - 22:45 Uhr
Regie : Rainer Kaufmann

ARD: 20. Januar – “Operation Zucker. Jagdgesellschaft“ - 20:15 Uhr
Regie : Sherry Hormann


Während der Sendung :
Live-Chat mit Experten und dem “Operation-Zucker“-Team vgl. nächster Artikel


20. Januar ab 21:45 Uhr: Diskussion zum Thema bei “Maischberger“