Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 28. Januar 2016, Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Tarantino. Ein neuer Tarantino! Der achte Tarantino. Wo doch die letzten so überzeugend waren. Wir auf jeden Fall gehören zu den Anhängern, denn Tarantino scheint die Filmkritiker zu spalten, wobei unerheblich ist, wo die Mehrheit liegt. Man mag ihn oder mag ihn nicht. Und schon nach den ersten Minuten von THE HATEFULL 8, steht einem bald der Mund offen.

 

So opulent, so rauschhaft, so sinnlich, hat man schon lange keine – oder noch nie eine - Kutschenfahrt fast wie in Zeitlupe durch reines Weiß gleiten sehen. Das Bild der Totalen verengt sich auf ein immer wieder auftauchendes Kreuz– ein echtes Marterl, an dessen Kanten sich der Schnee sammelt, Schnee, der sowohl verhüllend schützt, wie auch das Heilige verbirgt, so als ob der mit dem Marterl angeflehte Gott besser nicht sehen soll, was noch alles passieren wird.

 

Während wir bequem im Sessel den Klängen des legendären Ennio Morricone – richtig, SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD und viele Italowestern, insgesamt Musik für 500 Filme - lauschen, die mit dem Weiß dieser riesengroßen Leinwand - gedreht auf 65 mm-Film im Format Ultra- Panavision, wobei seine Objektive, die seit 1966 nicht mehr benutzt wurden, ein Bild mit den Seitenverhältnissenvon 2.761:1 bewirken, also ein extrem weites Bildformat, Supercinemascope, was wir aus den 50er und 60er Jahren von Filmen wie BEN HUR kennen - eine Symbiose eingehen, merken wir schlicht nicht, wie uns Tarantino verführt, uns mit Ton und Bild einhüllt, ja regelrecht einlullt.

 

Das funktioniert. Das funktioniert sehr lange. Und dann...doch dieses später. Wir müssen erst noch einmal auf das Marterl zu sprechen kommen, dessen Funktion wir nirgends besprochen fanden und das uns doch den Weg durch den Film wie ein Wegweiser zeigt. Marterl sagt man ja nur im Süddeutschen und in Österreich zu diesem 'religiösem Kleindenkmal', wie es einordnend heißt. Das ist ein sogenannter Bildstock, in Hessen Heiligenstock genannt, ein Wegkreuz, ein Kreuz, das unterwegs auf einem freien Feld, der Straße oder am Waldesrand den Vorbeikommenden gemahnt, an Jesus am Kreuz zu denken, der für die Menschheit gestorben ist, wo nach gutem (katholischem) Brauch nun folgendes passiert, nämlich daß man sich in Gedanken den Stein vor die Brust schlägt, denn man sündigt ja ständig und ob seiner Sünden den Herrgott um Vergebung anfleht. Mit dieser symbolischen Selbstgeißelung übernimmt man einen kleinen Teil der Schmerzen des ans Kreuz geschlagenen Jesus, was noch im Mittelalter von den Gläubigen mit einem Stein ganz realistisch als gegen sich selbst gerichteter Bußvorgang ausgeführt wurde. Das wurde dann wiederum in der Kunst seit dem Mittelalter mit dem Heiligen Hieronymus vor einem Marterl dargestellt. Richtig. Da gibt es zwei Arten von Bildern. Die einen zeigen den Heiligen und Kirchenvater weltlich als Kardinal mit rotem Hut, meist als Gelehrten, die anderen Bilder lassen ihn entblößt, mit dem Stein in der Hand vor einem Marterl knien und sich mit dem Stein an die Brust schlagen. Und um solche Bilder geht es hier.

 

Ob Tarantino dies zeigen wollte. Ja! Denn wir wissen einfach nicht, was das sonst im Bild sollte, das Zuschneien dieses Wegkreuzes, denn daß es uns nur anzeigen sollte, wie deftig das Schneetreiben ist, das wäre uns zu wenig für ein so auffälliges ins Bild Setzen. Genug. Aber von vorne, warum dessen Bedeutung so immens ist. Mit dem Einschneien des Materls beginnt unser Blick in den Film, schweift ab zur Kutsche und zur Weite des weißern Raums – Achtung, Musik! - und Achtung, schon wieder steht der Christus turmhoch vor uns und wird allmählich eingeschneit. Wir wiederholen diese doppelte Funktion. Schnee schützt und verhüllt diesen Christusgott, aber Schnee macht die göttliche Gnade auch unsichtbar für die Menschen und verhüllt das Haupt Gottes, macht ihn also selbst blind für deren schreckliche Taten.

 

Und um die geht es jetzt. Fortsetzung folgt.

 

Foto:

Die ersten drei Reisenden, John Ruth (Kurt Russell) rechts, Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh) Mitte, Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson) links.