Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 28. Januar 2016, Teil 6

 

Claudia Schulmerich

 

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Zwar war die Frankfurter Premiere im CINEMA schon letzte Woche, aber wir wollten erst ausführlich den heute anlaufenden Film besprechen, bevor wir – nach dem zweiten Schauen – auch auf die Fragen aus dem Publikum eingehen und die Antworten des anwesenden, äußerst gutgelaunten und auch deutlich gelobten Regisseurs weitergeben.

 

Es ist jedesmal so spannend, einen gerade gesehen Film ein zweites Mal zu sehen. Bitte lesen Sie unbedingt unseren ersten Filmbericht. Tatsächlich liegt es einem nach einem zweiten Anschauen näher, den Film gleich ein drittes Mal sehen zu wollen, denn beim zweiten Mal fallen einem so viel Feinheiten auf, die man beim ersten Mal vielleicht sah, aber nicht weiter wahrnahm, daß man sich fragt, was man denn jetzt beim zweiten Mal vielleicht übersehen habe, was das dritte Mal erst entschleiern kann.

 

 

Also, die Geschichte kennen wir ja (vergleiche vorheriger Artikel), aber mit dem Wissen um die Ehefrau und Mutter im zweiten Teil des Films, sieht man beim zweiten Schauen auch den ersten Teil anders, der von dem Weggehen der jungen Elena aus Griechenland handelt ins Land, wo man Geld verdienen kann und wo sich das Germanistikstudium durch die Sprachbeherrschung auch lohnt: hierhin nach Frankfurt. Von der Stadt kriegt man aber leider nicht viel mit. Nur, daß wir in Bornheim uns aufhalten und nach Nordend sieht es auch aus. Schon deshalb, weil das das ideologische Zuhause solcher jungen Ehepaare ist, von denen der Ehemann in diesem Film beim zweiten Anblick schlechter wegkommt als beim ersten Mal, weil wir jetzt dessen Hilflosigkeit, ja sein Versagen nach dem Verschwinden des Kindes noch stärker wahrnehmen.

 

 

Es findet also beim zweiten Schauen wirklich eine Verlagerung der Interpretation statt und – leider – auch eine Abwertung der Rolle der Elena. Während uns diese beim ersten Mal, schon durch ihre Aktivität die Rolle der Nichtstuerin zu verlassen – stimmt nicht ganz, denn sie war beim städtischen Tourismus beschäftigt, wurde aber entlassen - , ihr Leben in die Hand zu nehmen und ohne den etwas transusigen Verlobten nach Frankfurt zu gehen, gefiel, finden wir sie beim zweiten Schauen seltsam blaß und können uns nicht recht entscheiden, ob das an der Rolle oder der Darstellerin liegt.

 

 

Auf jeden Fall ist dies im Falle der zweiten Protagonisten Tessa sonnenklar: hier sind es Rolle und Darstellerin, die einer erst mal als oberflächlich und an bestimmte Moden angepaßten Person auf einmal Tiefe verleiht, so daß man als Zuschauer plötzlich sich für diese Frau interessiert, die nichts Vorgegebenes akzeptiert, sondern selber erforschen will, was mit ihrem Kind passiert ist. Wirklich eine Verschmelzung der Darstellerin Jördis Triebel mit ihrer Rolle. Perfekt.

 

 

Der neue Besitzer des Frankfurter Cinemas (und der Harmonie in Sachsenhausen) – das nehmen wir wenigstens an, ihn wollen wir ein andermal vorstellen - begrüßte das Premierenpublikum, Ursula Vossen von der Hessischen Filmförderung, den Darsteller Benjamin Sadler (starker Applaus) und natürlich den Regisseur Christian Zübert, der eine Diskussion nach der Vorstellung versprach. Die kam dann auch schnell zustande und Zübert legte vor, was Frankfurter gerne hören, was aber glaubwürdig klang: das Team habe eine gute Zeit in Frankfurt gehabt, es lohnte sich, in Frankfurt zu drehen, weil die Orte nicht so oft abgefilmt seien wie beispielsweise Berlin oder München, und daß überhaupt ein tolles Team den Film und seine Dreharbeiten getragen habe.

 

 

Der inhaltsschweren Fragen waren viele, die sich allesamt um die Geschichte bewegten. Warum er zusammen mit seiner Frau auf solch eine Erzählung gekommen sei, was ihn dabei bewegte. Eigentlich hatte man das ja gerade im Film gesehen, was die beiden Drehbuchschreiber bewegte, aber gerne gab Zübert Futter und sprach über die Rolle von berufstätigen Frauen, die zwischen Sandkasten auf dem Spielplatz und der rasanten Karriere im Büro den Spagat naturgemäß gar nicht schaffen können, nämlich in beidem top zu sein und die Ansprüche der anderen zu befrieden, die ja längst intentional die eigenen Ansprüche geworden sind. Und die sind immer die schlimmsten. Denn Ansprüche der anderen kann man abwehren, aber Ansprüche an sich selbst, die man nicht erfüllen kann, führen zu Selbsthaß und damit auch zu Haß auf diejenigen, die besser damit zurechtkommen, weil sie weniger gefordert sind: wie der Ehemann oder Kindermädchen Elena.

 

 

Daß die Geschichte in Griechenland ihren Ausgang nimmt, war bewußt der ökonomischen Situation des Landes geschuldet, wo eine gute ausgebildete Elite nicht weiß, was mit dem Erlernten anzufangen ist, schlicht, weil die Berufsfelder zusammengekracht sind. Es geht im Film eben auch um arm und reich und was mit einem Europa passiert, das an dieser Stelle auseinanderbricht. In Züberts Film kann sich Griechenland und Deutschland auf Augenhöhe begegnen.

 

 

Das war alles so bedeutungsschwanger, daß wir uns nicht trauten, eine ganz kleine, filmtechnische Frage zu stellen und dies erst nach der offiziellen Diskussion den Regisseur fragten: „ Wie bekommen Sie das hin, daß das Kleinkind Lotte immer dann schreit, wenn es dramaturgisch so gewollt ist und immer dann lieb und süß ist, wenn es in die Geschichte paßt?“ Wir hätten eigentlich deutlicher fragen wollen, so etwa: „Wie machen Sie das, kneifen Sie die Kleine oder wie?“

 

 

Die Antwort ließ uns so laut lachen, sodaß wir dann doch bedauerten, diese kleine technische Frage im Umgang mit Darstellern nicht laut gefragt zu haben. Die Antwort war nämlich: „Das ist nicht immer dasselbe Kind. Es sind Zwillinge.“ Und wie es das Leben, das Schicksal und die Filmerei so will, der eine Zwilling ist immer gut gelaunt, der andere fängt an zu schreien, wenn sich seine Mutter entfernt. Das ist natürlich eine richtige Garantie für gelungene Filmaufnahmen, wo nur die Mutter das Set verlassen muß und das Schreien programmiert ist.. Denn selten sah man in einem Film ein Kleinkind so überzeugend quengeln, mißmutig werden und empört schreien.

 

 

Tja und so was erfährt man nur in Premieren oder in Interviews mit den Filmleuten. Doch, das machen wir öfter, haben wir uns gesagt und zwei Tage später eine weitere Premiere in Frankfurt besucht, die schon längst zu Artikeln wurde:

 

 

 

Match Me! Ein Doku-Film von Lia Jaspers

 

 

 

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Und hier der erste Teil zu diesem Artikel

 

 

 

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