Serie: NACKT UNTER WÖLFEN. Zum Wiederaufleben des Romans durch die ARD-Ausstrahlung am 1. April 2015, Teil 5
Elke Eich
Berlin (Weltexpresso) – Ein 3-jähriger jüdischer Junge aus Polen wird in einem Koffer in das KZ Buchenwald hinein geschmuggelt. Die amerikanischen Alliierten nahen schon: herbeigesehnt von den Lagerinsassen und ständig thematisiert von den SS-Offizieren, die um ihre Zukunft besorgt sind oder als Überzeugungstäter verbohrt weiter agieren. Zwei Wochen noch, und die Amerikaner sind da...
und auf dieser kurzen Endgerade hin zur Befreiung löst das „illegale“ Kind eine fundamentale Debatte unter den kommunistischen „Funktions-Häftlingen" aus. Soll es gerettet oder zum Wohle aller geopfert werden?
Der Junge wird Katalysator für das Verhalten der Einzelnen - im Bezug auf kollektiven Druck und im Bezug auf persönliche Impulse von Menschlichkeit. Und das greift bei allen Insassen des Lagers, die von dem Kind erfahren. Die Parole lautet: „Durchhalten und Überleben!“ – um jeden Preis!“ - Doch eine rhetorische Frage setzt sich zunehmend gegen diesen Überlebenspragmatismus durch: „Wer sind wir denn dann, wenn wir nicht mal ein Kind schützen können!?“
Neben Florian Stetter (“Amour Fou“, “Sophie Scholl“, “Kreuzweg“,“Geliebte Schwestern“) und Peter Schneider (“Heimat“, “Die Summe meiner Teile“ und “Tannbach“) zeigt auch Sylvester Groth (“Unsere Mütter, unsere Väter“, “Deutschland 83“) als Lagerältester Krämer (alias Hans Eiden) menschliche Ambivalenz in einer von der SS perfide angelegten Struktur, die zwar unterlaufen und bekämpft wird, aber aus der es auch lange kein Entrinnen gibt.
Alle suchen Normalität und Halt in der Gruppe, doch auf Krämers Niveau lässt sich Verantwortung nicht mehr delegieren. Er verhindert Schlimmes, wird aber, weil es nicht anders geht, auch zum Täter: Denn seine Fürsprache für jemanden kann notgedrungen mit einem indirekten Todesurteil gegen einen anderen verknüpft sein, z.B., wenn es um die Auswahl der Insassen für einen der von der SS erzwungenen Todesmärsche geht, die nicht zu verhindern sind. Etwas, das für einen solchen Mann kaum zu verkraften ist. Eine Kategorisierung in „Das ist ja der Böse, das ist der Gute, das ist das Schwein, das ist der Opportunist!“ funktioniere in einer solchen Extremsituation nicht, in der es ums blanke Überleben ginge, sagt Groth im Interview.
Florian Stetter, im Leben wie im Film ein Familienvater, bleibt in der Rolle als Funktionshäftling Hans Pippig bald konsequent an der Seite des kleinen Jungen aus dem Koffer. „Dieses Kind hat etwas bei ihnen gezündet: einen Rest von Seele, eine Menschlichkeit, die sie wieder gespürt haben nach langer Zeit.“ hat er verstanden und erklärt, wie das Kind „bei diesen Häftlingen so etwas wie einen Panzer aufgebrochen.“ habe. Persönlichkeits-Panzer, die wiederum nötig waren in dem unter der SS verrohten Umfelf im Konzentrationslager, und auch das zeigt der Film überzeugend.
Wer letztlich schützen will und sich sogar foltern lässt und wer dann doch bereit ist, das Kind oder auch Genossen zu verraten, ist nicht vorauszusehen. Denn das einzige Berechenbare an den Menschen ist wohl ihre Unberechenbarkeit. Und um das emotional zu verstehen, sind auch die brutalen Szenen inklusive Folter im Film wichtig.
Der Lagerälteste Krämer hat mit vielen der politischen Häftlinge das KZ überlebt und fordert über Lautsprecher am Ende des Films Einhalt, als die SS-Leitung geflohen ist und sich Häftlinge an verbleibenden Peinigern rächen wollen. Die Ansprache hat so auch Hans Eiden damals in Buchenwald gehalten und damit Größe gezeigt. Für sich alleine - im Film - gestattet Krämer sich dann die Beherrschung zu verlieren, und die lange unterdrückte Spannung und sein großes Leid bricht sich in einem verzweifelten Wutanfall Bahn, bei dem er sein Büro in Einzelteile zerlegt.
Alle am Film Beteiligte sind sich einig: Vergessen werden, darf diese Zeit und was sie mit Menschen gemacht hat niemals! Wir müssen daraus lernen.
Produzent Nico Hofmann plädiert für „Trauerarbeit“ und ARD-Programmdirektor Herres zitiert bei einer der Kino-Vorpremieren den israelischen Maler Yehuda Bacon: „Ob das Erzählen etwas bringt?...: - „Wenn es gelingt, dann bewirkt es schon etwas: Es kann die Menschen zum Guten erschüttern.“ - Und die Schauspieler wie der Autor warten auf Einladungen, z.B. in Schulen - zum Gespräch und um „zum Guten zu erschüttern“!
Fortsetzung folgt.
Foto:
Bei der Premiere von links nach rechts: Sabin Tambrera, Peter Schneider, Sylvester Groth, Florian Stetter (C) Marco Prosch, MDR
INFO:
Das Buch
Bruno Apitz, Nackt unter Wölfen, erweiterte Neuausgabe auf der Grundlage der Erstausgabe des Mitteldeutschen Verlags Halle (Saale) von 1958, hrsg. von Susanne Hantke und Angela Drescher, Aufbau Verlag 2012
Der Fernsehfilm
Originaltitel Nackt unter Wölfen
Produktionsland Deutschland
Originalsprache Deutsch
Erscheinungsjahr 2015
Länge 105 Minuten
Altersfreigabe FSK 12
Stab
Regie Philipp Kadelbach
Drehbuch Stefan Kolditz
Produktion Nico Hofmann
Benjamin Benedict
Sebastian Werniger
Musik Michael Kadelbach
Kamera Kolja Brandt
Schnitt Bernd Schlegel
Besetzung
Florian Stetter: Hans Pippig
Peter Schneider: André Höfel
Sylvester Groth: Helmut Krämer
Sabin Tambrea: Hermann Reineboth
Robert Gallinowski: Robert Kluttig
Rainer Bock: Alois Schwahl
Rafael Stachowiak: Marian Kropinski
Thorsten Merten: Bochow
Torsten Michaelis: August Rose
Robert Mika: Zacharias Jankowski
Matthias Bundschuh: Gotthold Zweiling
Ulrich Brandhoff: Heinrich Schüpp
Torsten Ranft: Mandrill
Andreas Lust: Förste
Marko Mandić: Leonid Bogorski
Janusz Cichocki: Zidkowski
Max Hegewald: Roman
Leonard Carow: Johann Müller
Robert Hunger-Bühler: Pippigs Vater
Vojta Vomácka: Kleiner Junge