Die Wettbewerbsfilme der 66. Berlinale vom 11. bis 21. Februar 2016, Film 8/23

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Die portugiesische Literatur ist von Traurigkeit und Schwermut geprägt, der saudade, was musikalisch zum Fado führt. Portugal ist für diese poetische Form des Weltschmerzes bekannt, in die sich dieser Film von Ivo M. Ferreira einreiht.

 

Schon auf einer der letzten Berlinalen gab es einen noch anspruchsvolleren Film, der in der Vergangenheit und der portugiesischen Besatzung in Afrika ruhte und dafür berückende Bilder fand. Das zeichnet auch diesen Film aus, der in Schwarzweiß gehalten, eine vergangene Welt zeigt, die voller Gewalt, aber auch Sehnsucht nach einem besseren Leben ist. Für den Arzt Antonío, der am 14. Januar 1971 seinen ersten Brief als Militärarzt aus Angola an seine schwangere Frau nach Portugal schreibt, wird das Schreiben eine Überlebensstrategie.

 

Geschrieben hat damals die Briefe tatsächlich der spätere portugiesische Dichter Antonío Lobo Antun, der knapp zwei Jahre in Angola blieb, wo Portugal unter seinem Diktator Salazar bis 1974 die Kolonialkriege gegen Angola, Mosambik und Portugiesisch-Guinea führte. Die Briefe, die er erst vor einigen Jahren veröffentlichte, sind rein privater Art, also Liebesbriefe, die nur zur Erklärung seiner Befindlichkeit auch Aussagen über die damalige Kriegssituation enthalten.

 

Abgesehen davon, daß es einen wundert, daß ein Film aus dem Jahr 2016 über die Zeit eines jungen Militärarztes in Angola 1971 und 1972 nicht über die Briefe hinaus vom Krieg erzählt, kommt hinzu, daß alle europäischen Länder, die Kolonien in Afrika hatten und wie Portugal die afrikanischen Befreiungsbewegungen bekämpften und teilweise vernichteten, heute das Ergebnis ihrer verfehlten Politik in Form von Flüchtlingen aus Afrika wiedererkennen.

 

Dieser Hintergrund fehlt dem Film völlig. Daß dies für den 1971 in Angola tätigen Militärarzt Antonío Lobo Antunes, der seine Briefe voll Sehnsucht und Angst vor dem, was kommen möge, noch keine Rolle spielen konnte, ist selbstverständlich. Insofern muß man eher fragen, was den Regisseur bewegte, diese Briefe zur Grundlage seines Films zu machen, der zudem für Portugal selbst eine andere Dimension hat, weil dort die gewesene eigene Geschichte naturgemäß virulenter ist.

 

Man muß zudem anmerken, daß in der Diktatur Salazars natürlich Briefzensur stattfand und der junge Arzt sich vorsichtig über das ausdrücken mußte, was er an gesellschaftlichen Verhältnissen, den Kampfanlässen und das Militär mitbekam und davon nach Hause schrieb.

 

Das muß man einfach vorausschicken, wenn man den Film als eine einzige Liebeserklärung erkennt an die in Portugal zurückgebliebene Frau, die ein Kind gebären wird. Will man 105 Minuten Briefe vorlesen lassen, muß man sich dramaturgisch Gedanken machen. In Miquel Nunes hat der Regisseur einen idealen jungen Dichter und Arzt gefunden, denn er wirkt sensibel, seine Umwelt aufnehmend, nicht weltfremd, sondern auf die Wirklichkeit reagierend.

 

In seinem Gesicht spiegeln sich seine Empfindungen genauso wie in seinen Briefen. Dabei hat der Regisseur entscheidende Strategien für den Film gefunden. Wir sehen den Sehnsuchtsvollen seine Briefe schreiben, wir hören aber den Text, der gerade entsteht, durch die Stimme seiner Frau (Margarida Vila-Nova) wiedergegeben an die Antonío sie richtet. Es handelt sich also um seine Projektion beim Schreiben, nicht etwa um die Aufnahme eines Dialoges zwischen beiden, auch wenn er immer wieder auf ihre Briefe Bezug nimmt.

 

Wie sehr alles im Kopf und Gemüt von Antonío entsteht, zeigen auch die in die Szenen in Angola hineingeschnittenen Erinnerungsbilder oder besser: Fantasien, wenn die Ehefrau in der häuslichen Wohnung und auf jeden Fall immer dahinschwebend und gleitend gezeigt wird. Alles Projektion des Mannes, was übrigens in unserer Natur liegt, denn wir alle antizipieren beim Schreiben immer wieder den Adressaten und wie er unsere Zeilen aufnimmt.

 

Ivo M. Ferreira hat ein weiteres Stilmittel in der Zigarette gefunden. Noch in der Pressekonferenz verwies er darauf, wie gerne er selber rauche, auch und gerade im Auto. Im Film steckt sich Antonío sozusagen eine an der anderen an, der Rauch zieht dann ebenfalls höchst poetisch als Verschleierung über die Kinoleinwand. Es wird also andauernd geraucht, aber eine Szene ist ohne Zigarette überhaupt nicht vorstellbar: das Schreiben. Das scheint uns übertrieben, so als ob erst die Zigarette den Schreibfluß in Gang setze, was beim Konzept des Schreibens von Liebesbriefen voll von Melancholie und Sehnsucht nach Hause eher kontraproduktiv wirkt.

 

Man merkt schon, wir konnten uns mit diesem Helden nicht so recht anfreunden, weil die Stilmittel der Poesie uns zu gewollte angewandt erschienen. Wenn man dauernd den ästhetischen Befehl hört, sieh mich an, ich bin sensibel und voller Schwermut, weil ich hier bin und Dinge tue, die nicht mein Ding sind, dann findet unwillkürlich eine innere Gegenwehr statt und auch wir fangen noch direkt im Film an, innerlich ebenso Briefe zu schreiben, daß wir von den elegischen jungen Männern und ihren Sehnsüchten nach ihren Frauen und Weltschmerzgedanken genug haben. Es gibt so viel Wichtigeres derzeit, daß wir die abgelutschten zarten Helden von gestern nicht immer wieder von Neuem anschauen und hören wollen.

 

Wieder also mal als Hauptfigur ein junger Mann, der nur durch die Liebe zu seiner Frau sich stabilisieren und innerlich aufrichten kann.