Die Wettbewerbsfilme der 66. Berlinale vom 11. bis 21. Februar 2016, Film 18/23

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Schon nach den ersten Szenen des neuen Films von Thomas Vinterberg – mit seinem DAS FEST und der Gründung der Dogma-Bewegung, dann mit dem völlig undogmatischen DIE JAGD aufgefallen – schon nach den ersten Szenen atmet man tief durch und denkt sich, nach all dem dramatischen großen Kino wie u.a. GENIUS, richtig normales Leben von normalen Menschen.

 

Auf der diesjährigen Berlinale fallen die vielen Familienfilme auf, diesmal geht es sogar um mehrere Familien, mit denen der Regisseur auch als Drehbuchschreiber denen ein Denkmal setzen will, die zusammen mit seinen Eltern ab den Sechziger Jahren eine Kommune gegründet hatten, wo er aufwuchs – und für diese Zeit und seine Erfahrungen tief dankbar ist. „Damals wußte man noch, was Teilen ist.“ Das Interessante an dem von Vinterberg zusammen mit Tobias Lindholm geschriebenen Drehbuch ist nun, daß es die beliebte Fernseh-Nachrichtensprecherin Anna (Trine Dyrholm) ist, die ihren Ehemann Erik dazu bewegt, sich auf das Leben in einer Kommune einzulassen, dann aber diejenige ist, die dranglauben muß, ausziehen muß, weil er „eine andere hat“ (das sind ihr gegenüber seine eigenen Worte.)

 

Zum Schluß des Films ist aber noch mehr zu sagen. Richtig phantastisch ist es erst mal am Anfang, wo die Menschlein in ihrer Unterschiedlichkeit so richtig rauskommen, weil Vinterberg kein vorgegebenes Muster hat, sondern sie – das spürt man bei jeder Figur – schräg und kurz, klein und komisch und neurotisch noch dazu sein läßt, Hauptsache, sie sind eigen und sie selbst. Ausgangssituation ist, daß Erik (Ulrich Thomsen) sein feudales Elternhaus von 470 Quadratmetern nördlich von Kopenhagen geerbt hat und dies so schnell wie möglich verkaufen will, während seine Frau Anna ihn leise und geschickt dazu bewegen kann, sich auf so etwas wie eine Kommune in diesem Haus einzulassen, denn erstens ist es für die Kleinfamilie mit Tochter zu groß und im Unterhalt auch zu teuer. Sie aber will damit auch eine gewisse Fadheit in der Ehe konterkarieren, bzw. die Gefahr, daß diese auftreten könnte, minimieren.

 

Wir müßten mit den jeweiligen Lebensgeschichten vom Ehepaar mit Sohn – der herzkranke Junge erzählt jedem, daß er nur neun Jahre wird - , dem schrägen, immer wieder in Tränen ausbrechenden Asylanten, der die Männer liebenden Alternativen u.a. erzählen, die den Film menschenbunt machen. Sie können sich das aber sofort vorstellen, wenn Sie daran denken, wie Menschen, die bisher allein lebten, nun Regeln aufstellen wollen für ein Zusammenleben, wobei – typisch Skandinavien – das Nacktbaden als Ritual fröhlich Urstände feiert – und das Miteinander und Gegeneinander zu so komischen und herzlichen Szenen führt, daß man weite Teile des Films den Regisseur und seine Mannschaft für die Lebendigkeit und die Freiheit, anders zu sein, einfach gerne hat.

 

Erik ist Architekturdozent und auf seine Frau als öffentliche Figur sehr stolz, die gemeinsame 14jährige Tochter hat zu den Eltern ein gutes Verhältnis, ist aber auf dem Wege sich abzunabeln. Die Studentin Emma (Reingaard Neumann und Ehefrau von Vinterberg) kommt Erik nahe, er verliebt sich und nach einigem Hin und Her entscheidet die Kommune, daß Emma einziehen soll. Anna war bei dieser Entscheidung treibende Kraft, kann aber mit dem Ergebnis, daß ihr geliebter Mann neben ihr mit einer anderen wohnt und schläft, nicht umgehen. Das führt zur Situation, daß sie, als sie die Nachrichtensendung beginnen soll, nur Tränen hervorbringt. Entlassung ist die Folge, was auf ihrem Abwärtsweg die nächste Stufe ist. Als ihre Tochter ihr nahelegt, auszuziehen und alleine noch einmal anzufangen, weil sie wüßte, wie stark die Mutter ist, beginnen wir, in dem Film den Weg des Drehbuchs nicht mehr mitzugehen.

 

Als dann noch der für uns theatralische Schluß den erwartbaren Tod des Jungen schon viel früher bringt und Anna tatsächlich auszieht, da bedauern wir dieses Ende, nicht, weil wir ein Happyend wollten oder sonst etwas, sondern weil uns dieser Schluß zu aufgesetzt, gewollt und eben nicht aus dem Kommuneleben ableitbar erscheint. Dazu befragt, sagte Vinterberg, er habe zeigen wollen, wie man mit einem Lächeln weitergeht, wenn es vorbei ist.

 

Das mag für Anna gelten, aber für den Jungen schon gar nicht, dessen Beerdigung dann auch noch einmal alle zusammenführt. Grundsätzlich halten wir jedoch die Tochter nicht für glaubwürdig, als sie ihrer Mutter empfiehlt, auszuziehen und den Vater mit der neuen Frau und ihr als Tochter im Haus zu belassen. Wäre die Tochter mitgegangen und hätte sich mit der Mutter solidarisiert, wäre das psychologisch verständlicher als eine so rationale Entscheidung von einer Vierzehnjährigen. Vinterberg, der zuvor betont hatte, daß die Grundlage des Films ein Theaterstück sei, hatte auch hinzugefügt, daß dieses den Tod des Kindes nicht vorsehe („Kinder sterben nicht gerne auf einer Bühne bei der abendlichen Vorstellung“). Leider kamen wir nicht dazu, die anwesende Darstellerin der Tochter (Martha Sofie Wallstrom Hansen) danach zu befragen, wie sie selbst sich als Tochter bei ihren eigenen Eltern, bei ihrer eigenen Mutter verhalten hätte.

 

Also, man merkt, mit dem Schluß des Films hadern wir, inhaltlich, und auch mit dem Beerdigungspomp, der eben keiner ist, sondern eine moderne Beerdigung mit Ausstreuen der Asche...

 

Das soll aber nur ins Lot bringen, was wir als Begeisterung fast den ganzen Film hindurch über diese gelungene Menschendarstellung empfanden.