Von Lida Bach
Aller Anfang ist klein. Auch der des dokumentarischen Hoheliedes, das die Synchronstimme von Keanu Reeves und James Spader zu sinfonischer Musikuntermalung auf „Deutschland von Oben“ anstimmt. „Deutschland macht gerade mal 0,07 Prozent der Erdoberfläche aus.“ Dafür macht Deutschland rund 99,93 Prozent des cineastischen Höhenflugs der Naturfilmreihe von Terra X und ZDF aus. Der verschwindende Rest, der in der positivistischen Naturexkursion Erwähnung findet, ist das als ehemalige und potentielle zukünftige Kriegsgegner feindlich konnotierte Transnationale. Die Nationaltopografie ist Zentrum von Dramaturgie und Kamerafokus, deren Perspektive jenseits hiesiger Grenzen lediglich globale Peripherie sieht.
Als pulsierendes Herz in deren Naturkreislauf, Weltwirtschaft und Geistesgeschichte erscheint das Titelland, das die zwiespältige Geografiereportage mit einer Hymne ehrfürchtiger Helikopter-Aufnahmen besingt. Die wuchtige Orchesterkomposition Boris Salchows ersetzt auf der Leinwand dabei die Melodie der historischen Nationalhymne, zu deren verbotenen Zeilen der Filmtitel ungute Assoziationen weckt. Warum der ausgedehnte Überblick auf das Überland interessieren soll, erklärt der Eröffnungskommentar: „Es ist unser Zuhause.“ Dort ist es bekanntlich am schönsten. Jedenfalls für das Regieduo, deren erdkundlicher Heimatfilm ein sperrige Kartografie von Nationalstolz und Völkischem skizziert. „Uns“ sind Freddie Röckenhaus und Petra Höfer, die schon zu Beginn ihrer Landeslektion aufzeigen, dass „wir“ an der Spitze stehen. Die Kamera umkreist das Gipfelkreuz auf der Zugspitze als hehres Symbol gottesfürchtigen Bezwingens der Natur. Nicht auszudenken, „wie unser Land aussehen würde, wenn wir Menschen nicht davon Besitz ergriffen hätten.“
Wenn im Hafen Hamburg ohne Eisbrecher „die Elbe zufriert geht unserer Versorgung der Nachschub aus und in Supermärkten blieben Regale leer!“ Kein Bier auf dem Münchener Oktoberfest, keine bunten Gleitanzüge für die wagemutigen Basejumper auf Frankfurts Main Tower, keine „Märchenschlösser wie Neuschwanstein“. Weder Kurorte „wie eine Fata Morgana“, wo Millionäre zu Dutzenden hausen, noch das menschengemachte „Naturspektakel“ der Schwerindustrie. Ihre Riesenmaschinen verwandeln sich von Ökomonstern zu Sinnbildern teutonischer Urkraft zum Trotz gegen feindliche Alliierte, die im Weltkrieg – im Filmkontext vermeintlich willkürlich - deutsche Architekturgeschichte bombardierten: „Und es trifft alle Städte“, deren in der Nachkriegszeit rekonstruierten Baukerne wie in einem Werbekatalog für Stadtplanung in neuem Glanz erstrahlen.
„Von der Leopoldstraße in Schwabingern bis zum Hofgarten herrscht eitel Sonnenschein.“ Seine milde Farbpalette taucht Wattenmeer und Gebirgspanoramen in romantischen Schimmer: „Selbst den Schloten am Rhein und Main verleiht sie etwas Magisches.“ Im Jahreskreislauf, den der Erzählrahmen nachzeichnet, liegt Deutschland von Januar bis Dezember auf der Sonnenseite, wo das Gras grüner ist. Letztes schätzen neben der über saftige Auen und Wiesen gleitenden Kamera die Vögel, deren Perspektive sich die Inszenierung aneignet. Wildgänse, -schwäne und -pferde, Robben, Gämsen und Murmeltiere suggerieren ein intaktes Naturidyll, in das die Menschenhand nur helfen eingreift, wenn sie etwa von Schädlingen befallene Bäume abtransportiert: „Die Borkenkäfer in Berchtesgaden werfen die Frage auf: wie unberührt können wir die Natur lassen, ohne dass wir den Spaß an ihr verlieren?“
Gar nicht, impliziert das euphemistische Deutschlandlied, das ökologische Missstände in Notwendigkeiten verkehrt: „Wenig umweltfreundlich, aber planbar, sorgen Kohlekraftwerke dafür, dass in unserem Stromnetz immer ein Mindestmaß an Energie vorhanden ist.“ Letztes fehlt der einseitigen Reportage, wenn es motivisch und inszenatorisch zu Variieren gilt. „Schon wieder Störche.“, raunt eine Kollegin bei der Pressevorführung. Ja, schon wieder. Und schon wieder Robben, schon wieder das Ruhrgebiet, schon wieder die Zugspitze. So artenreich („Nur noch übertroffen vom tropischen Regenwald“) und originell, dass etwas Abwechslung die malerische Monotonie auflockerte, sind die inländische Flora und Fauna anscheinend nicht. Das Repetitive der kritiklosen Selbstbespiegelung gleicht einem Lehrfilm. „Ein Jahr vergeht wie im Fluge.“, heißt es in einer frühen Szene. Nicht, wenn es Höfer und Röckenhaus ausbreiten.
Oneline: Dokumentarische Deklamation über hochfliegende Heimatgefühle.