9. LICHTER Filmfest Frankfurt International vom 29. März bis 3. April, Teil

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Zufall. Aber eindrucksvoll. Denn im Film um den geheimgehaltenen und den meisten Deutschen bis heute nicht bekannten Deal zwischen der Bundesrepublik Deutschland – vertreten durch Heinz Günther Hüsch (CDU) - und Rumänien, mit einem Pro-Kopf-Betrag Rumäniendeutsche in die Bundesrepublik ausreisen zu lassen, kam immer wieder der langjährige und gerade verstorbene Außenminister Hans Dietrich Genscher zu Wort, ohne den das alles nicht so gelaufen wäre.

 

So konnten wir nachfragen, wie denn der sich als CDU-'hardcore' bezeichnende Hüsch - hier im Bild und im Film der wichtigste Gewährsmann - von heute her die damals bekämpfte Ostpolitik Willy Brandts sieht, ohne die die gesamte Entwicklung im Ostblock eine andere gewesen wäre, was heute allgemeine Gültigkeit hat und auch von Hüsch nicht bestritten wird. Dennoch zuckt er bei der Nennung Willy Brandts noch heftig zusammen, hat aber ein „neutrales Verhältnis zu Genscher“, der ihn, als die SPD/FDP-Regierung erst seine Abberufung und Neubesetzung der Vermittlungsposition wollte, dann doch an ihm festhielt, was alle anderen Regierungen fortsetzten.

 

Überhaupt ist ein Nebeneffekt des Film, der ja anhand von verschiedenen Schicksalen von Rumäniendeutschen die Ausreise aus Rumänien und Eingliederung als Deutsche zum Thema hat, daß man fast alle Bundeskanzler bis 1990 im Film sieht: Adenauer, Brandt, Schmidt, Kohl, die wichtigen also, denen das so lange währende Verweilen auf dem Posten des Außenminister Genschers von 1974 bis 1992 gegenübersteht, nachdem er zuvor schon fünf Jahre Bundesinnenminister gewesen war..

 

Der Film beginnt mit dem, was den Geheimgesprächen und dem inoffiziellen Abkommen Mensch gegen Ware Geld und somit der thrillerhaften Übergabe von Millionen in einem schlichten Aktenköfferchen seit 1968 im eigentlichen zugrundeliegt: daß Menschen nämlich ihre Heimat verlassen. Warum – und wie erinnern sie sich? Effekt- und liebevoll hat Regisseur Razvan Georgescu – im Gespräch nachher wird er sagen, daß er einer der Nutznießer der Verhandlungen war, weil mit Rumäniendeutschen auch deren rein rumänische Ehepartner ausreisen durften, also die Bundesrepublik auch für die bezahlt hatte – erst einmal den kulturellen Hintergrund der beiden Großgruppen von Rumäniendeutschen aufgezeigt: wo im 12. Jahrhundert eine gewaltige Menge von Sachsen (Achtung, die Sachsen kamen damals aus Luxemburg, Elsaß bis hoch nach Westfalen) nach Siebenbürgen auswandert und sich über Jahrhunderte als Kultur erhält, die Sprache beibehält, ihre Trachten und die Arten des Feierns, wozu historische Aufnahmen zur Verfügung standen, die zeigen, daß man in der Diaspora stärker an den tradierten Verhaltens- und Lebensweisen festhält, als in den Kernländern.

 

Allerdings war damals bis zum Ersten Weltkrieg das Gebiet ungarisch und die Bevölkerung seit der Reformation evangelisch. Ersteres gilt auch für die zweite große Gruppe von Rumäniendeutschen, die Banater Schwaben, die seit dem 17. Jahrhundert aus der gleichen Gegend, aber viel weiter gefaßt bis Bayern und Hessen kamen, aber katholisch waren und blieben und ihr Deutschtum im selben Maße aufrechterhielten. Um 1930 zählte man rund 230 000 Siebenbürger Sachsen und 237 000 Banater Schwaben. Im Jahr 1977, wo die Aktion des Freikaufs ja längst lief, sprach man noch von 170 000 Siebenbürger Sachsen und 138 000 Banater Schwaben – und heute kennen wir nur die Zahlen aus dem Jahr 2002, die von je 18 000 Rumäniendeutschen in beiden Gebieten sprechen.

 

Es ist wichtig die Fakten zu kennen, wenn man den Film richtig verstehen will. Aber als Film 'funktioniert' er auch ohne jegliche Vorkenntnisse, denn es geht dem Film nicht um historische Aufarbeitung, sondern um die Darstellung, was mit Menschen passiert, wenn sie ihre Heimat verlassen – und auch das wäre ein überhöhter Anspruch, denn eigentlich geht es nur darum, daß an einigen ausgewählten und zufälligen Schicksalen das große Ganze vorgeführt wird. Und er 'funktioniert' insofern sogar hervorragend, daß ein Zuschauer, der den Menschen, die von ihren Beweggründe wegzugehen, von ihren Problemen damals, ihren Hoffnungen, ihrem Leben in Deutschland und ihren heutigen Sehnsüchten zuhört, nach dem Film auf einmal alles genau wissen will, wie es sich zugetragen hat, was dieser Staatsbeauftragte Hüsch mit den Rumänen noch vor dem Diktator Ceausescu, der dann in noch größerem Stil abräumt, aushandelte.

 

Es lohnt sich außerordentlich, diesen Film anzuschauen, der einfühlsam, ohne Pathos die Gegenwart auf ihre Vergangenheit abklopft. Uns als Zuschauer wurde die Frage immer wichtiger , warum – wir hatten ca. 12 Leute nach dem Film über ihr Wissen um die Rumäniendeutschen befragt – die im Film geschilderten Vorgänge um den Freikauf von rund 240 000 Menschen für 1,5 bis 3 Milliarden DM zwischen 1968 bis 1990 so wenigen nur bekannt sind. Hier ist also ein großer geschichtlicher Nachholbedarf, dem Film allerdings geht es um die Menschen, die beispielhaft über ihren Weggang und ihr Ankommen hierzulande sprechen. Ganz kurz sieht und hört man auch Richard Wagner, den Schriftsteller aus dem Banat, woher auch die Nobelpreisträgerin Herta Müller stammt. Und erst jetzt fällt einem auf, daß sie in dem Film fehlte. Warum? Überhaupt hatte ich wohl noch nie nach einem Dokumentarfilm einen derartigen Frage- und Diskussionsbedarf. Das ist nicht das Schlechteste, was man über einen Film sagen kann. Im Gegenteil.