Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 14. April 2016, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das hätte ich nie für möglich gehalten, wie gut mir dieser kleine feine Film gefällt, wie gespannt meine gesamte Aufmerksamkeit darauf gerichtet war, wie Beti, die junge Frau, das ältere Mädchen, die von der Mutter zum Großvater in die äthiopische Wüste geschickt wurde, um vor Kriegswirren sicher zu sein, sich nun intelligent und entschlossen gegen die neuen Gefahren stemmt, die heißen: Gewalt gegen Frauen.
Und sehr schnell lernen wir mit Beti, daß man der Gefahr in der Wüste von selbsternannten 'Beschützern' vergewaltigt zu werden, am besten dadurch entgeht, daß man sich vorher von ihnen offiziell heiraten läßt. Aber, was kommt dann? So was vor allem nicht mit Beti – und mit uns auch nicht.
Die Weite der Wüste. Die kleine Hüte. Die Hitze. Der Durst. Der Film beginnt mit den Zweien, die in der Wüste in dieser kleinen wohlfunktionierenden Hütte zu Hause sind: der Großvater und seine Enkelin. Die Bilder zeigen keine opulent aufgenommene Natur, kein Wunder, wir befinden uns auch filmtechnisch im Äthiopien des Jahres 1936. Dort wüteten damals Mussolinis Truppen und hatten die Stadt besetzt, aus der die Mutter die Tochter in die Wüste schickt. Es muß traumatisch für das Mädchen gewesen sein, denn im Frieden der Hütte in der Wüste spricht sie nie, nie, nie darüber.
Ein inniges liebevolles Verhältnis herrscht dort, aber eben auch die Hitze. Die Ziege, gut für die Milch, ist verendet, weshalb der Grovater sich auf den tagelangen Weg macht, eine neue Ziege zu besorgen. Er schärft der Enkelin ein, wie sie sich verhalten solle, wenn sie wie jetzt, wo wir dabei sind, in Eimern das Wasser von der entfernten Wasserstelle holen muß. Sie geht erst einmal selbstbewußt los, sieht am Horizont drei Reiter auftauchen, wickelt sich fester in ihren Umhang, verdeckt auch das Haar und stapft weiter. Die drei jungen Männer machen das Mädchen an, würde man heute sagen, doch diese reagiert so selbstsicher, daß sie diese Angeber erst mal verunsichert, diese sich zurückziehen und sie ungehindert das Wasser holt.
Die Landschaft flirrt in der Hitze und wir erleben die gesamten Lebensumstände dieser so jungen Frau wie im Traum, der nur dann alptraumhaft wird, wenn die Reiter erneut auftauchen und mit bösen Absichten sich nähern, denn sie sind einerseits vom Liebreiz der Schönen geblendet, andererseits von ihrer Ignoranz Ihnen gegenüber beleidigt. Doch sie muß ja hinaus und Wasser holen. Und als dies erneut sein muß und sie die bedrohlichen Gesten der jungen Männer sieht und wir Zuschauer jetzt befürchten, daß diese sich über die junge Frau hermachen, da bittet sie den Himmel um Hilfe – und er hilft!
Urplötzlich blitzt und donnert es gewaltig und die Typen ziehen ab. Doch bei einem weiteren Mal, als die Peiniger ankommen und Beti ihren Gott anfleht, ihr zu helfen, passiert erst mal nichts – und dann verdüstert sich der Himmel und mit einem unglaublichen Getöse löst sich eine Art voluminöses Ei vom Himmel, gleitet auf den Boden und aus ihm entschlüpft ein nackter, dünner Knabe.
Das ist eine richtig schön surreale Geschichte, die nicht in den Bereich der Fantasy gehört, sondern ins Genre der Phantastik und damit auch der deutschen Romantik und des deutschen Expressionismus. Oder auch in den weltweiten magischen Realismus. Die Bezeichnung ist egal, wenn es darum geht, daß die Welt aus mehr als dem Sichtbaren besteht. Wie es weitergeht, wie Beti den kleinen Kerl, den sie Amare nennt, bildet, wie dieser erst die arroganten Burschen von den Pferden holt und auf jeden Fall Beti rettet, wie er dann auch noch einem versprengten italienischen Soldaten die Leviten liest, als dieser sich an der jungen Frau vergehen will, das ist schönste Wirklichkeit und wir gehen glücklich und entspannt aus einem Film heraus ins wirkliche Leben, mutiger und zuversichtlicher als wir hineingingen. Ein berührender inniglicher Film.
Wenn man dann noch hört, daß dieser Film mit 14 000 selbsterbrachten Euro finanziert wurde, dann ergreift einen Freude, wie das einer so macht, aber auch Scham, was denn mit der Filmförderung so allgemein angestellt wird. Regisseur und Produzent Andreas Siege muß man sich auf jeden Fall merken!