Serie: Die heute anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. Juni 2012, Teil 1
Romana Reich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Daß wir den Film KNISTERN DER ZEIT als Aufmacher wählten, hat natürlich mit dem Filmemacher und gesellschaftlichem Aufbauarbeiter Christoph Schlingensief zu tun, der zudem alle unsere Theorien über die Entstehung und Bekämpfung von Krebs über den Haufen warf. Spätestens seit er zur Eröffnung der Biennale in Venedig 2007 mit seinen Leuten in den Bäumen im Giardino saß, war er aus dem öffentlichen europäischen Leben nicht mehr wegzudenken. Das ist auch heute so, nur muß man dabei seiner mitgedenken.
KNISTERN DER ZEIT
Dieser Film ist ein Vermächtnis des im August 2010 Gestorbenen, allerdings nur eines, das möglich wurde, weil Christoph Schlingensief einmal nicht alles alleine machen wollte. Sibylle Dahrendorf, die Regisseurin, ist eine freie Fernsehautorin, zu der Schlingensief Vertrauen hatte, weshalb sie seine Aktionen immer wieder filmen durfte, vor allem aber die letzte und grundsätzlichste, die bleiben wird, weil sie mit der Gründung und des Bauens eines Operndorfes in der Nähe der Hauptstadt Ouagadougou, mitten in Afrika, auch den Schlußstein von Schlingensiefs Kulturaktionen setzte. Stein also auf Stein.
Der Begriff Operndorf ist schön, aber irreführend, es ging dabei nie um die Implementierung der Oper als europäische - und historische Musikform dazu – in Afrika, sondern um einen Ort in Afrika, wo ein kultureller Austausch stattfinden könne, wo man von einander lernt in allen Kulturbereichen, die sich denken lassen, weshalb solche gesellschaftlichen Infrastrukturen wie Schule, Krankenhaus und Sportmöglichkeiten genauso dazugehören, wie Theater- und Musikmachen, Filmen, Schreiben und Kunst fertigen etc.
Im Film kann man nacherleben, wie viel Enthusiasmus, aber auch wie viel Kleinarbeit in solch ein Projekt zu stecken ist, das ja erst Wirklichkeit wurde, als Christoph Schlingensief schon krebskrank war. Und genauso, wie man in vielen Lesungen in Deutschland, als Schlingensief vor Jahren sein Krebsbuch vorstellen wollte, stattdessen aber leidenschaftlich über sein Projekt vom Operndorf sprach und man immer den Eindruck hatte, daß ihn das genauso seelisch aufbaut, wie die Anstrengung des öffentlichen Vortragens ihn körperlich ruinierte, genauso erlebt man auch die Funktion seines Projekts im Film auf und für ihn. Er leidet daran und es baut ihn auf.
Der Film ist aber wirklich einer über das Operndorf. Daß er den kranken und immer ätherischer werdenden Schlingensief mitporträtiert, ist wichtig, aber eben nicht alles. Und darum ist das sowohl ein Film für diejenigen, die den Kulturimperialismus, den der Westen betreibt, ablehnen, wie für diejenigen, denen die Arbeit von Schlingensief ans Herz gewachsen ist und sein Tod auch.
SCHWARZER OZEAN
Heute klingt das wie ein Märchen, daß in den frühen Siebzigern die Atomgroßmacht Frankreich Atomtests durchführte, natürlich weit weg vom französischen Mutterland in dem, was von den französischen Kolonien übrig geblieben ist. Daß ein solcher Film heute als Gemeinschaftsproduktion von Belgien, Frankreich und Deutschland unternommen wird, ist gut, warum er aber schon2010 fertiggestellt und erst jetzt in Deutschland anläuft, fragen wir uns schon. Regisseurin und Drehbuchschreiberin Marion Hänsel legt aber nicht den politischen Zeigefinger auf alte Wunden, sondern nimmt diesen Vorfall aus, auf die Menschen bezogenen Gründen auf.
Damals hatte nämlich Frankreich seine 170 Atomtests durch französisches Militär begleiten lassen, für die das also Dienst war. So kommen auch die jungen Marinerekruten Massina und Moriaty auf ein Marineschiff im südpazifischen Mururoa-Atoll und ohne von ihren Vorderen über das, was passiert, aufgeklärt zu werden, erleben sie – allein mit Sonnenbrille - diese Explosionen, was ihr Leben verändert.
Dies erzählt der Film in langsamen Einstellungen, die auf die Befindlichkeit der Gefühle Rücksicht nehmen. Vieles ist nur aus der Perspektive von heute erkennbar und die Zeit verändert auch die Einstellungen von Menschen. Es wird aber klar, daß insbesondere Moriaty diese Ereignisse nicht verarbeiten konnte, bzw. die Gewalt, die er an der Natur durch den Menschen erlebte, auch selbst ausübte.