Der Film nach dem Roman von Hans Frick am 19. Juni im Zeughauskino Berlin im Rahmen der Filmreihe des Regisseurs Sohrab Shahid Saless

Stephan Reinhardt

Berlin (Weltexpresso) – Die Aufführung des Films in der umfangreichen Reihe über den iranischen Regisseur, der infolge des Schahsturzes Persien verlassen mußte, ist eine gute Gelegenheit, näher auf ihn und den Roman DIE BLAUE STUNDE von Hans Frick einzugehen. Stephan Reinhardt hat dies getan. Die Redaktion



Der Frankfurter Schriftsteller Hans Frick (1930-2003, ein „Halbjude“, war mit der Angst aufgewachsen, die Nazis könnten ihn abholen. In seinem Roman „Die blaue Stunde“ (1977) erzählte Frick von seiner Jugend im Frankfurter Industrie- und Arbeiterviertel Gallus und vom Leben und Sterben seiner Mutter, einer Fabrikarbeiterin, die vom ersten und einzigen Mann ihres Lebens, einem jüdischen Kunsthändler aus Budapest, schwanger geworden war.

Nach Motiven dieses bewegenden (nahezu dokumentarischen) Romans haben Hans Frick und der seit 1975 in Westdeutschland lebende iranische Regisseur Sohrab Shahid Saless (1944-1998) das Drehbuch zu dem Film „Hans - Ein Junge aus Deutschland“ geschrieben; Saless hat diesen wichtigen (zu wenig bekannten) Dokumentarroman 1984/85 in einer grandiosen Bildsprache verfilmt.

Mit wenigen sparsamen Dialogen begleitet er in kunstvoll langsamen, fast stillen, selbstsprechenden, beklemmenden Bildabfolgen, die von plötzlichen Schnitten abgelöst werden, die alltägliche Not und die existenzielle Grundangst der tief gedemütigten Mutter und ihres einzigen Sohnes Hans. Von Nachbarn beschimpft als „dreckige Judenhure“, weil sie ein uneheliches Kind von einem Juden zur Welt gebracht hatte, erträgt sie in stiller Verzweiflung ihr Los.

Saless – der 1974 als Gegner des Schah-Regimes den Iran verlassen mußte – erzählt aus dem Blickwinkel des 14/15-jährigen Sohnes Hans. Er muß all das Unerträgliche mitansehen: Wie der entmenschlichte Nazisoldat Martin Weiß einen flüchtigen Zwangsarbeiter aufspürt und kaltblütig erschießt; wie der vorgesetzte Meister der Fabrik die wehrlose Mutter vergewaltigen will. Und doch, einmal kann die Mutter aufbegehren und sich schützend vor die neben ihr arbeitende russische Zwangsarbeiterin Olga stellen, auf die es der gewissenlose Meister als nächstes Sexualopfer abgesehen hat. Als die Gestapo doch den „Halbjuden“ Hans abholen will, gelingt es ihm zu fliehen.

Sohrab Shahid Saless' Film „Hans – Ein Junge in Deutschland“ und Hans Fricks Roman „Die blaue Stunde“ sind zwei einzigartige künstlerische Dokumente über die lebensbedrohliche Gefährdung eines „Halbjuden“ im halb zerstörten Frankfurt gegen Ende des Zweiten Weltkrieges und über das Schicksal einer Alleinerziehenden, die als „Judenhure“ beschimpft wurde, eine Demütigung, die sich fortsetzt nach der Befreiung der Stadt von den Nazis.    

Info:

„Hans – ein Junge in Deutschland“. HR 1985. Fernsehfilm 149 Minuten. Regie: Sohrab Shahid Saless. Drehbuch: Hans Frick, Sohrab Shahid Saless