Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 14. Juli 2016, Teil
Hannah Wölfel
Berlin (Weltexpresso) - "Toni Erdmann“, der Film mit dem seltsamen Titel von Maren Ade, wurde 2016 auf dem Filmfestival in Cannes von den Kritikern begeistert gefeiert. Eine goldene Palme bekam er aber nicht, jetzt kommt der Streifen bundesweit in die Kinos.
Zunächst ist nicht ganz nachvollziehbar, wieso der Film so bejubelt wurde, denn seine Geschichte wird sehr, sehr langsam mit sehr traditionellen filmischen Mittel erzählt. Doch irgendwann nimmt die Erzählung an Fahrt auf, wird ohne Plattheiten humorvoll und recht spannend:
Winfried (Peter Simonischek), ein leicht verlotterter Musiklehrer und Alt-68er taucht plötzlich im Leben seiner karriereorientierten Tochter Ines (Sandra Hüller) in Bukarest auf. Die arbeitet dort für eine weltweit agierende Beratungsfirma, ihr Job ist stressig, anspruchsvoll und erfordert großes Engagement. Der nun in ihrer Welt herumtapernde Vater nervt sie fürchterlich mit seinen schrägen Witzen und dem distanzlosen Verhalten gegenüber ihren Kollegen. Denen macht er weis, er habe sich zu Hause eine Ersatztochter gesucht, die Ines nun bezahlen solle.
Als Winfried endlich merkt, dass Ines zwar unglücklich ist, aber um ihre Karriere bangt, verschwindet er einfach - und taucht als Finanzberater Toni Erdmann mit schwarzer Langhaarperücke, im Mund eingeklemmten Hasenzähnen und Leinenbeutel wieder auf. Ines’ Kollegen, die rumänischen Geschäftspartner und vor allem deren Frauen sind von ihm und seinen unkonventionellen Ideen sowie abenteuerlichen Vorschlägen zum Krisenmanagement begeistert. Nach einer Kinostunde hat die spröde Tochter endlich auch mal etwas Sex mit einem Kollegen und nähert sich, erstaunlicherweise, dann ganz langsam dem Alter Ego ihres Vaters an.
Ihren Geburtstag will sie auf eine Anregung ihres Chefs im deutsch-rumänischen Team feiern. Kurz bevor die Gäste kommen, zieht sie sich noch einmal um, weil ihr das hautenge Kleid etwas kühn vorkommt. Doch der Fummel zerreißt beim Ausziehen, während die ersten Besucher schon klingeln - plötzlich und spontan öffnet Ines splitternackt die Tür. Das sei eine Nacktparty, erklärt sie den fassungslosen Gästen, so etwas mache man in Westeuropa.
Diese Party wird zur Schlüsselszene des Films, ist nun ihre Karriere gescheitert? Die weitere Entwicklung wird hier nicht verraten...
„Toni Erdmann“ entführt das Publikum in die Zeit und in die Fremde: Wenn man die 162 Minuten im Kino durchhält, wird man mit einem sehr glaubwürdigen Film belohnt. Die Entwicklung der Figuren ist völlig nachvollziehbar, Ines verändert sich nicht abrupt, das Fest zeigt lediglich eine verschüttete Seite von ihr. Toni Erdmann wird nicht zur Fantasiefigur, durch ihn schimmert immer noch Winfried durch. Simonischek mimt genial den schlechten Schauspieler und Hüller blättert atemberaubend die menschlichen Facetten einer Karrieristin auf. Bukarest ist fremd und bekannt zugleich, weil neben wenigen exotischen Orten die meisten Szenen in den weltweit gleichen, typischen Locations der Finanzszene spielen.
Regisseurin Maren Ade hat die Handlung in ein fernes Land verlegt, um den Vater-Tochter-Konflikt deutlicher zu machen: „Die Figuren stehen sich einsamer, klarer gegenüber, weil sie von der Last ihres Umfelds befreit sind.“ Vater und Tochter verschmelzen nicht miteinander, wie das in Beziehungsfilmen oft so üblich ist. Sie gewinnen jedoch wieder ein wenig Vertrauen zueinander, verstehen sich etwas besser ohne ihre jeweilige Identität aufzugeben.
Foto © Komplizen Film:
Ines (Sandra Hüller) geht splitternackt die Tür öffnen, die Party kann beginnen...
Info:
„Toni Erdmann“, D 2016, 162 Minuten, FSK ab 12 Jahren, Filmstart 14. Juli 2016
Regie Maren Ade mit Sandra Hüller, Peter Simonischek u. a.