Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 14. Juli 2016, Teil

Kirsten Liese


Berlin (Weltexpresso)- Es gehört schon Einiges dazu, mit einem deutschen Wettbewerbsbeitrag in Cannes zu reüssieren, noch dazu als Frau. Schließlich war das deutsche Kino in der wichtigsten Sektion des berühmtesten Filmfestivals viele Jahre nicht vertreten, und in einigen Jahrgängen präsentierten sich unter den Regisseuren ausschließlich Männer.

 

Maren Ade, an der Croisette mit schier überwältigenden Ovationen gefeiert, hat darüber hinaus noch ein weiteres Kunststück vollbracht: eine anspruchsvolle Komödie!


Sie ist von jenem beschämenden Gefühl durchdrungen, das Eltern in einem auslösten, als auf dem Schulfest niemand ihre Witze lustig fand. Ein clownesker Lebenskünstler folgt seiner Tochter bis nach Bukarest, um sich mit falschen Zähnen, die er stets in der Brusttasche trägt, zusehends dreister in ihren beruflichen Alltag einzumischen. Anfangs zeigt die Unternehmensberaterin noch guten Willen und gestattet ihrem Vater, sie auf Empfänge zu begleiten.

Aber so wie er immerfort peinliche Szenen kreiert, geht das nicht lange gut. Freundlich wirft sie den Störenfried raus. Aber Winfried geht nicht. Er sorgt sich um Ines und will ihr helfen, ihren Humor wiederzufinden. Ausgestattet mit Gummigebiss, Wuschelperücke, Furzkissen und Handschellen gibt er sich als Coach aus und zwingt seine Tochter zum Mitspielen.

Tatsächlich schafft er als Toni Erdmann, was Winfried nicht geschafft hat: Er findet einen Weg zu ihr.


Der exalterierte Alte wirkt zwar etwas überdreht, vor allem wenn er im großen Finale im Ganzkörper-Fellkostüm eine skurrile Nacktparty beehrt. Zugleich entlarvt er mit seinem Schabernack die Masken aller Umstehenden. Ade zeigt aber auch die ernsten Seiten der Business-Welt, den alltäglichen Sexismus, rigide Sparprogramme als Folge der Wirtschaftskrise, die Ausbeutung osteuropäischer Länder sowie an den Rändern die grenzenlose Armut in der rumänischen Metropole, trostlose Hinterhöfe, abrissreife Bruchbuden, ausgebeutete kleine Angestellte und streunende Hunde.


Auch wenn die große Favoritin Ade am Ende statt der Goldenen Palme nur den Fipresci-Kritikerpreis gewann: Eine vergleichbare euphorische Beachtung hat sich in Cannes seit Rainer Werner Fassbinder kein anderer Deutscher verdient. „Toni Erdmann“ ist in jeder Hinsicht ein cineastisches Juwel, spannend, klug und witzig.

 

Info:
D 2016. R: Maren Ade. Darsteller: Sandra Hüller, Peter Simonischek, Thomas Loibl, Michael Wittenborn u.a.   162 Min., Start: 14. Juli. Verleih: NFP