Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 14. Juli 2016, Teil 7
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Dies ist ein so kluger, so fintenreicher Film, daß es sich lohnt, mehrfach darüber zu berichten. Und es ist ein Film, der immer besser wird, je öfter man ihn sich anieht, weil einfach die Feinheiten und die sanfte und zielgerichtete Hand der Regisseurin noch stärker spürbar werden.
Wir konnten den Film zum ersten Mal als Eröffnungsfilm des diesjährigen 9. LICHTER FILMFESTS FRANKFURT INTERNATIONAL sehen, wo er auf Anhieb abschließend den Preis als Bester Regionaler Langfilm erhielt. Wenn es im Untertitel heißt: „Ein Film von Sung-Hyung Cho“, so wird klar, daß es von der Idee, vom Skript, von der Vorbereitung, von den vielen geplanten Interviews her, von den im Film dann wiedergegebenen Gesprächen bis hin zur kommentierenden Stimme im Film immer um Sung-Hyung Cho geht. Und daß einen dies nicht nervt, sondern daß man ihren absichtlich in Gang gesetzten Erfahrungen gebannt lauscht, das ist vielleicht der schlagendste Beweis für eine sehr subtile Filmarbeit, die aus Thema und Material so viel herausholt wie möglich ist, Erkenntnis für uns, und dennoch keine Beleidigung oder Herabwürdigung für ihre Partner in Nordkorea.
Das schreiben wir so dezidiert, weil der Regisseurin vorgeworfen wurde, sie habe sich zu wenig kritisch verhalten, ihre Fragen nicht bohrend genug gestellt. Schließlich ist Nordkorea, mit der Führung dann gleich das ganze Volk, ja heute eine der Achsen des Bösen – für die westliche Welt! Und wer jetzt sagt, er habe in diesem Film nichts Neues entdeckt, habe keine andere Einschätzung als zuvor durch alle Berichte aus Nordkorea gewonnen, die sich ja immer nur um Militärparaden mit Panzern und Raketen, Soldaten und Soldatinnen, die wie Roboter marschieren, Kriegsdrohungen, Hungersnöte und die drei Generationen Diktatoren drehen, denen die Bevölkerung sklavisch-besoffen folgt – wie das in Diktaturen eben so üblich ist, wer also nichts Neues entdeckte, dem kann man nicht helfen.
Vielleicht muß man, wie Sung-Hyung Cho erst einmal in Südkorea gelebt haben, die heutige südkoreanische Gesellschaft in ihrem Kampf ums tägliche Überleben im Turbo-Kapitalismus erlebt haben - wo so viele Menschen zwei Arbeitsstellen brauchen, um das Leben für ihre Familien zu meistern, wo die Kinder von Anfang an im Konkurrenzkampf gestählt werden -, um die Stille und die Einfachheit im Norden des Landes anders sehen zu können als nur als teuflische Angelegenheit von Unterdrückten und Zukurzgekommenen.
Vielleicht fällt einem Betrachter im Film auch auf, daß ganz Nordkorea ausgerichtet ist auf die Zukunft der Kinder, für die man eine bessere Welt will und die nicht allein diszipliniert, unmündig gemacht oder indoktriniert werden, sondern auch eine herzliche, sinnliche Kindheit erleben, mit Spaß und viel Musik und einer positiven Bejahung von Bildung und Lernen, eben auch über den Kopf hinaus. Nicht nur eine intellektuelle Förderung, sondern die Erziehung des ganzen Menschen im Sinne der Humboldschen Bildung. Wer hätte das gedacht.
Vor und nach der Aufführung konnte man beim Lichter Filmfest Näheres von der Regisseurin erfahren, wie es überhaupt zum Film gekommen ist, für den sie, die schon 20 Jahre in Deutschland lebt und mit einem Deutschen verheiratet ist, von der Möglichkeit, Deutsche werden zu können, Gebrauch machen mußte, wollte sie überhaupt ein Visum für Nordkorea erhalten. So tief ist der Zwist zwischen den beiden Koreas. Und daß dies nicht ihr letzter Film von und über Nordkorea war, das ahnt man auch. Es gibt ja neben der landschaftlichen Schönheit – die ist übrigens überwältigend, die Natur ist durch die blauen Berge gewaltiger und seelenhafter als im Süden des Landes – noch sehr viel mehr zu erzählen, was einen nach diesem ersten Eindruck vom Inneren Nordkoreas interessiert. Von daher hat die Regisseurin alles richtig gemacht, ihre Gastgeber auf der einen Seite nicht mit all unseren Vorurteilen gleich in die Ecke zu stellen, andererseits aber inhaltlich nachzufragen, sobald sie Schönfärberei erkannte.
Das vielleicht ist das Eigentliche, was überrascht. Man erkennt im Film sofort, ob einer sein Politgewäsch von sich gibt, oder ob hier Menschen über sich, das Land, die Probleme und Lösungsmöglichkeiten, auch über ihre Sehnsüchte und Hoffnungen auf eine Wiedervereinigung sprechen. Und man spürt auch genau, wo im Vorgezirkelten auf einmal die spontanen Antworten, die eigene Meinung kommt. Noch einmal zur Wiedervereinigung. Gerade die Aussagen dazu gehen einem nahe, weil sich hierin die zwei Deutschlands vor 1989 und die beiden Vietnams bis heute gleichen: der Norden ersehnt die Wiedervereinigung sehr viel mehr, wie es auch in der DDR der Fall war, als es die Südkoreaner tun oder die Westdeutschen taten – und das nicht aus pekuniären Gründen, weil es ihnen dann wirtschaftlich besser ginge, sondern weil in ihnen sich stärker so etwas wie Gemeinschaftsgefühl, Zusammenzugehören, ein Volk zu sein, erhalten hat. Und wenn man dann noch weiß, wie abfällig in Südkorea über die Nordkoreaner als Monstergestalten, als Abschaum, als Zurückgebliebene gesprochen wird, heißt das, daß man die beiden Koreas sehr viel differenzierter wahrnehmen muß, als es gemeinhin geschieht.
Das mußte gesagt werden, ehe man auf das, was man sieht, hört und erlebt eingeht. Natürlich konnte die Regisseurin nicht frei ihre Interviewpartner aussuchen, die da sind: Ingenieur, Soldatin, Bauern, Maler, Näherinnen u.a.. Aber deren Antworten differenzieren stark und wir hören die echten Töne sehr gut heraus. Höchst spannend auch die Unterschiede, ob Stadt oder Land, ob alt oder jung antwortet. Und immer wieder überwältigend, wie sinnenfroh bei allen Beschränkungen von Lebensumständen, auch Lebensmitteln die Nordkoreaner ihr Leben gestalten.
Doch, es ist noch ein Wort zu Sung-Hyung Cho nötig. Eigentlich langt das Anschauen des Films, aber die Kenntnis von Person und Werk der Regisseurin verstärkt ihren ungewöhnlichen Zugang zu allen dokumentarischen filmischen Formaten. Aufsehen erregte gleich ihre erster Langfilm FULL METAL VILLAGE, der 2006 Filmpreise geradezu abräumte. Auch ihre weiteren Filme zeichnet das aus, was ebenfalls für diesen Film von und über Nordkorea gilt: Wahrhaftigkeit, Menschlichkeit und ein elementarer, alles durchdringende Humor. Um so ungewöhnlicher, daß sie bei diesem Film die bisher schwierigste Finanzierungslage erlebte, sprich, sie fand lange lange überhaupt keine Finanzierung. Nordkorea und vor allem ein Film, der nicht die gängigen Urteile und Vorurteile ein weiteres Mal vorführt, ist wohl nicht förderungswürdig. Diesen Schluß muß man nicht nur ziehen, sondern auch deutlich aussprechen. Denn er sagt etwas über uns, unsere Gesellschaft und unsere Filme aus.