Heute Wiederaufführung dieses wichtigen und absolut spannenden Films  in den Kinos!, Teil 3

Elke Eich


Berlin (Weltexpresso) – Der für den Deutschen Filmpreis nominierte Dokumentarfilm „Democracy – Im Rausch der Daten“, vermittelt einen sinnlichen Eindruck davon , wie Politik in Brüssel funktioniert – funktionieren kann! Das Engagement des Hauptprotagonisten, des grünen EU-Abgeordneten für gesetzlichen Datenschutz Jan Philipp Albrecht, einen starken Datenschutz innerhalb der EU zu etablieren, ist ebenso beeindruckend wie die monochrome Machart des Films, in dem die extremen Dimensionen im Wettlauf mit der Zeit deutlich werden.

Unterstützt wurde das Projekt von der engagierten und dem einheitlichen Datenschutz gegenüber positiv eingestellte Viviane Reding. Alls Vizepräsidentin der Europäischen Kommission war sie als Kommissarin für das Ressort Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft seit Februar 2010 im Amt, das sie als Luxemburgerin Mitte 2014 aufgeben musste (wegen der Quotengerechtigkeit innerhalb der EU). Übrigens: Das was Jan Philipp Ulrich für die Datenschutzverordnung war, nämlich ein „Rapporteur“ und somit Geburtshelfer für eine Gesetzesvorlage, wurde Viviane Reding nach ihrer Kommissarinnen-Tätigkeit für das Dienstleistungs-Handelsabkommen TISA (The Trade in Services Agreement).
 
Mit Viviane Reding kam es zu einem ersten Treffen bei der Berlin-Premiere „Democracy – Im Rausch der Daten“. Das folgende, ausführliche Interview wurde am 22. Dezember 2015, geführt, nachdem die neue EU-Datenschutzverordnung ihre Hürde im Ministerrat genommen hatte.

 

Frau Reding, ihr jüngstes politisches Baby, das erste einheitliche EU-Datenschutzgesetz, bekam im Dezember vom EU-Ministerrat und vom Innenausschuss des Europäischen Parlaments seinen Segen. Da sind sicher die Crémant-Korken geknallt!


Viviane Reding: Alle, die seit 2010 daran gearbeitet haben, sind sich in die Arme gefallen! Es gab ja etliche Durststrecken. Bedauerlich, dass Gesetzesinitiativen, die gut für die Menschen und für die Unternehmen sind, so lange brauchen, bis sie in die Praxis umgesetzt werden können. Wir verlieren unnötig Zeit.

 


Bei der Berliner Premiere von DEMOCRACY erwähnten Sie Blockaden und nationale Egoismen, die die parlamentarischen Prozessen der EU auf Ministerratsebene verlangsamen. Sehen Sie eine Chance, dass diese Prozesse beschleunigt und zügiger im gesamteuropäischen Geist  abgeschlossen werden?


Viviane Reding: Ich glaube, wenn die Sitzungen der Minister von den nationalen Parlamenten stärker verfolgt würden, ginge das. Das Europäische Parlament tagt und entscheidet öffentlich, und wir Parlamentarier übernehmen Verantwortung. Die Minister im Rat tun das leider nicht im selben Maße.  Den nationalen Parlamenten ist meist nicht so klar, wie groß der Einfluss der Lobbyisten in den europäischen Hauptstädten ist.

 



Auf Ministerratsebene scheint – so wie sie das in Berlin beschrieben haben – ja fast schon eine gewisse Schizophrenie zu greifen zwischen den Identitäten als nationale Politiker und als gesamteuropäische Verantwortungsträger. Sie sagten, dass viel mit doppelter Zunge geredet wird, also zuhause anders als in Brüssel. Mir war das vorher nicht so bewusst.


Viviane Reding: Viele Minister hielten tatsächlich zuhause große Reden auf die Notwendigkeit des Datenschutzes und haben gleichzeitig in Brüssel bessere Datenschutzregeln verhindert.



Warum fehlt(e) einigen Ministern die Gradlinigkeit?  


Viviane Reding: Bei vielen lag das Problem in der eigenen Verwaltung. Dadurch, dass jetzt ein einziges Gesetz für den ganzen Kontinent gilt, gibt es nicht mehr 28 verschiedene nationale Regelungen, auf die die jeweiligen Verwaltungen einen sehr großen Einfluss haben. Da fürchteten viele in den regionalen und nationalen Verwaltungen, Macht abgeben zu müssen. Außerdem haben Lobbyisten - mangels Transparenz - viel einfacher Zugang zu den nationalen Ministern, als zu den europäischen Entscheidungsträgern. Die nationalen Parlamente wissen oft nicht, wie ihre nationalen Minister Europapolitik betreiben.

 



Sie sind ja eine sehr erfahrene und sehr streitbare Politikerin. Wie hilft Ihnen bei der Politik das Know-how, das Sie als Journalistin gewonnen haben?


Viviane Reding: Seit 38 Jahren mache ich Politik auf verschiedenen Ebenen: national und europäisch, im Parlament und in der Exekutive. Der Journalismus war eine gute Schule. Da weiß man, wie man kurz, in verständlichen Sätzen formuliert. Das ist genau das, was der Politik manchmal fehlt: fähig zu sein, komplexe Zusammenhänge einfach so zu erklären, dass die Menschen das auch verstehen.



Politikverdrossenheit ist ja allgemein ein großes Problem. Wie sehen Sie das bzgl. der neuen Datenschutzverordnung? Haben Sie den Eindruck, dass Menschen durch alle Schichten - ältere wie jüngere - da gleichermaßen engagiert sind?


Viviane Reding: Wenn die Menschen verstehen, wie ihre Daten zweckentfremdet, missbraucht oder gar geklaut werden, werden sie wütend. Nehmen Sie doch den Skandal um den Datendiebstahl bei den mit dem Internet verbundenen "Abhör"-Barbies. Daten aus den Schlaf- und Kinderzimmern von 4,8 Mio. Verbrauchern wurden entwendet. Die Barbie-Puppen wurden zum Spähposten. Dieser extreme Missbrauch zeigt, wie notwendig neue Datenschutzregeln in Europa sind, und wie wichtig es ist, auch Unternehmen außerhalb der EU mit hohen Strafen zur Rechenschaft zu ziehen.




Was sind jetzt die besonderen Errungenschaften dieser neuen Datenschutzverordnung?


Viviane Reding: Die Datenschutzverordnung steht auf zwei Pfeilern. Zum einen geht es um ein verbrieftes Recht des Bürgers auf den Schutz seiner persönlichen Daten, was unserem Grundgesetz entspricht. Zum anderen geht es um die Entwicklung des digitalen Binnenmarktes für unsere Unternehmen, denen 28 verschiedene und sich widersprechende Regelungen Kosten und Verwaltungsaufwand verursachen. Jetzt werden 28 Regeln durch eine ersetzt. Wir werden einen barrierefreien Markt für 500 Millionen Verbraucher organisieren, und das nach dem Motto: “Ein Kontinent – eine Regel!“ Außerdem können Unternehmen den europaweiten Datenschutz als Vorteil nutzen, als  "Qualitätslabel", das Bürgern die Wahrung ihrer Rechte garantiert. So kann sich z.B. ein europäischer Telekomanbieter überzeugend und positiv von der US-Konkurrenz abheben. Und so kann Datenschutz sogar zum Business-Modell werden. Insbesondere den Startups und den kleinen Unternehmen in Luxemburg eröffnet das interessante neue Perspektiven.

 



Dass Sie und Jan Philipp Albrecht für den Datenschutz brennen, wird im Film DEMOCRACY sehr deutlich, für den Sie ja auch ein Glücksfall waren. Sie bekamen an verschiedenen Orten, z.B. in Berlin, wo wir uns trafen, die Reaktionen des Publikums mit. Wie wirkt der Film?


Viviane Reding: Eigentlich stellt man sich vor, dass das Thema der europäischen Gesetzgebung schrecklich langweilig ist. Doch die Zuschauer haben tatsächlich mit den politischen Akteuren gelitten und mitgefiebert. Die Frage war ja: Kommt jetzt dabei etwas raus oder nicht?



Im Dezember unter luxemburgischer Présidence, bzw. Ratspräsidentschaft kam dann ja etwas dabei raus...


Viviane Reding: Die luxemburgischen Beamten, die die abschließenden Verhandlungen geführt haben, haben wirklich Hervorragendes geleistet. In einer Präsidentschaft spielen die Fachbeamten nämlich meist eine wichtigere Rolle, als die Minister. Also Hut ab vor dem Verhandlungsgeschick der Luxemburger Beamten, allen voran Laure Wagener, die inhaltlich die Hauptverantwortung trug!  



Das Projekt, den Gesetzgebungsprozess in Brüssel filmisch so nah und emotional zu zeigen, ist neu. Lehrreich und spannend für uns “normalen“ Menschen.


Viviane Reding: Die Spannung kommt dadurch zustande, dass der Zuschauer sieht wieviel Gegenwind wir hatten:  Die Ablehnung der Minister, der Druck der Lobbyisten. All das wird gezeigt. Dadurch entsteht der Eindruck: „Das kriegen die nie durch!“ Doch zum Schluss – mit viel Zusammenhalt und starkem politischem Willen – geht es doch.



Jan Philipp Albrecht als grüner Kandidat für die Aufgabe des Berichterstatters war Ihnen – dem Film nach zu urteilen - offensichtlich recht angenehm.


Viviane Reding: Mit der Ernennung von Herrn Albrecht hatte ich natürlich nichts zu tun. Das war die Entscheidung seiner Partei und des Parlaments. Aber dann haben wir uns gefunden und zusammen gearbeitet.  Ein spezielles Team!



Warum sehen Sie sich und Jan Philipp Albrecht als “spezielles Team“?


Viviane Reding: Nun ja: Die erfahrene ältere Christdemokratin und der junge wilde Grüne!
Dieses Duo war schon etwas Besonderes. Aber es hat einfach großartig funktioniert!



Und das Geheimrezept Ihres “speziellen “Teams?


Viviane Reding: Wir beide wollten, dass es gelingt! Von mir kam die Erfahrung, und er hat den starken Willen, das Parlament zu vereinen eingebracht. Am Ende haben selbst linksgerichtete Parteien mitgemacht, was sie bei einem konservativen Berichterstatter vielleicht nicht gemacht hätten. Und auch die Internet-Community hat Jan Philipp Albrecht irgendwie als Ihresgleichen angesehen. Es war schon wirklich eine gute Mischung mit uns.



DEMOCRACY feiert am 28. Januar seine Luxemburg-Premiere und wird später auch für den Politik-Unterricht eingesetzt werden...


Viviane Reding:  Nach der Premiere wird er zunächst im Kino laufen und zu einem späteren Zeitpunkt dann in Schulen gezeigt werden.



Europapolitik wird in Luxemburg und auch in den Schulen ja besonders groß geschrieben.


Viviane Reding: Europapolitik ist für uns Luxemburger nationale Politik. Ohne Europapolitik würden wir Luxemburger ja überhaupt nicht überleben. Das ist evident und geht gar nicht anders. Ich sage ja immer, dass es uns Luxemburgern wie Obelix geht: Wir sind in den "europäischen" Zaubertrank gefallen, als wir klein waren.



Was wäre eigentlich gewesen, wenn Snowden mit seinen Informationen nicht an die Öffentlichkeit gegangen und nicht publik geworden wäre, dass z.B. das Handy der deutschen Bundeskanzlerin ausspioniert wurde?


Viviane Reding: Dann wäre alles sehr viel schwieriger geworden. Snowden war ein Augenöffner und hat gezeigt, wie schlimm es um unsere Daten auch unter Geheimdienstgesichtspunkten steht.
Nehmen Sie dann noch den Skandal mit der "Abhör"-Barbie dazu. Das macht doch bewusst, dass extreme Entwicklungsmöglichkeiten Realität werden. Gegen die müssen wir uns wehren.



Wurden David Bernet und sein Team bei den intimen Dreharbeiten in Brüssel nicht auch wie Spione wahrgenommen?


Viviane Reding (lacht): Ab einem gewissen Moment gehörte David Bernet einfach zum Mobiliar. Und wenn er nicht da war, fragten wir uns: „Wo ist er denn? Ist er krank?“ Er und seine Crew waren sehr diskret und angenehm in der Zusammenarbeit und haben uns nie gestört. Sie haben zum einen ihre Arbeit sehr professionell gemacht und haben zum anderen dann einen großartigen Film daraus gemacht – und das zu einem solchen Thema!  Ich bin impressionée, wie sagt man nochmal... “beeindruckt“!

Foto: Viviane Reding (c) luxprivat.lux

Info: Mit Viviane Reding kam es zu einem ersten Treffen bei der Berlin-Premiere „Democracy – Im Rausch der Daten“. Das folgende, ausführliche Interview wurde am 22. Dezember 2015, geführt, als das positive Ergebnis all der Bemühungen, den Ministerrat zu überzeugen, bereits feststand.

 

Weltexpresso hatte zum Anlaufen des Films in deutschen Kinos folgende Filmkritik gebracht:

https://www.weltexpresso.de/index.php/kino/5946-democracy-im-rausch-der-daten