Im ARD-Film der Woche, "Das weiße Kaninchen", einer SWR-Produktion am heutigen Mittwoch, geht es um Cybergrooming. Doch was ist das eigentlich?

Elke Eich

Berlin (Weltexpresso) - Der Titel „Das weiße Kaninchen“ legt die erste Spur in die magische Welt von „Alice im Wunderland“, dem Werk des Autors Lewis Caroll, der sich stark zu Mädchen hingezogen fühlte. Solche Männer gab es ja schon immer. Und als schützenswerte Kindheit noch kein Wert war, galten solche Triebe noch als weniger verwerflich.

Doch was ist heute mit dem wildwüchsigen Phänomen des Cybergroomings, bei dem es um den Formenkreis der „Pädokriminalität“, also den sexuellen Missbrauch von Kindern, geht, der unter Vorgaukelung falscher Tatsachen und immer höchst manipulativ im Internet angebahnt wird? 2000 Delikte kommen derzeit jährlich zur Anzeige, die Dunkelziffer ist enorm, wegen der Scham der Opfer.

Die überzeugende Jungdarstellerin Lena Urzendowsky (beim Dreh 15), die an der Seite von Starschauspieler Devid Striesow unglaublich beeindruckend in ihrer ersten Film-Hauptrolle das 13-jährige Opfer Sara spielt, und Florian Schwarz, der kreative und experimentierfreudige Regisseur und Grimmepreisträger (Tatort „Im Schmerz geboren“) geben bei einem Gespräch in Berlin Einblicke in ihren Umgang mit diesem schwierigen Missbrauchs-Thema und dessen filmische Umsetzung.

Schwarz setzte auf der Basis des Drehbuchs von Lieblingsautor Michael Proehl und Holger-Karsten Schmidt auf das breite Cinemascope-Format und zieht mit sinnlich packenden Szenen ebenso in die plastisch realen Welten der Protagonisten wie auch in die verführerisch surrealen Welten von Onlinespielen und deren Chat-Räumen hinein.
Dort, im Internet also, trifft die von ihren Eltern liebevoll umsorgte Sara (Lena: „nicht so super beliebt, zwar auch nicht die totale Außenseiterin, aber unsicher und halt so eine Mitläuferin...“) auf Kevin (Louis Hofmann), einen jugendlichen Schönling mit wohlerzogen glatter Fassade. Der umwirbt sie, trifft sie dann real und nötigt sie – sozusagen  mit Zuckerbrot und Peitsche - zu Sexfotos und schließlich sexuellen Handlungen. Auch ein gewisser Benny tummelt sich in Chatrooms herum und wird zu Saras kumpelhaftem Freund, der ihr schließlich in ihrer Not Schutz vor Kevin in Person seines Vertrauenslehrers Simon Keller anbietet. Doch was hat es mit diesem von Devid Striesow verstörend ambivalent dargestellten Pädagogen wirklich auf sich, der seine Schüler vor Gefahren im Internet warnt und selbst Mädchen lüstern beim Turnen beobachtet? Beim Familienvater ist regelrechte Pädophilie im Spiel. Etwas Anderes also als bei Kevin. Wie Lena sagt, geht es bei dem um „eine Krankheit“. So erscheinen Kevin und Simon Keller als zwei Seiten der gleichen Medaille. Lena erklärt: „Der Simon Keller ist ja der typische Pädophile. Für Kevin ist das eher ein Spiel und steht für fehlende Empathie. Es ist ihm egal, was er da anrichtet. Der ist auf einer Art Egotrip, so nach dem Motto: „Ich kann’s halt!“

Florian Schwarz’ Film spielt mit den riskanten und gar gefährlichen Elementen des Scheins und zeigt die Lücken auf, in denen Hilfe effizient greifen könnte. Kellers Haus hat  Glasfassaden, die nahezu ungefiltert Einblick gewähren und so für scheinbar extreme Transparenz stehen. Florian Schwarz: „so dass man gar nicht auf die Idee kommen würde, der könnte etwas zu verbergen haben.“ Die Polizei kommt im Film erst spät ins Spiel. Zu spät?  

Was tun, als Eltern? Florian Schwarz empfiehlt allen Eltern „einen regelmäßigen Austausch“ mit den Kindern und vor allem auch einen guten Wissensstand, auch „um im Gespräch ernst genommen zu werden“. Eltern sollten diese Onlinespielwelten und vor allem deren Chat-Räume unbedingt selbst erleben. Saras Eltern um Beispiel sind lieb, aber naiv. Und das dürfen Eltern heutzutage nicht mehr sein. Vor den Recherchen zum Film, gibt Schwarz zu, habe er selbst gar nicht gewusst, dass es bei diesen Online-Spielen immer auch diese Chat-Räume gäbe.
Den Eltern betroffener Kinder rät der Regisseur auf jeden Fall „ein völlig vorwurfsfreies Gesprächsklima“. Und das dürfte wohl am schwersten sein, denn wie schnell geht ein „Wie konntest Du nur so dumm sein, und diese Fotos schicken!?“ über die Lippen.
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Was nun die Hauptdarstellerin Lena Urzendowsky (übrigens die Schwester von Sebastian Urzendowsky aus „Der Turm“ und „Mitten in Deutschland: NSU“) betrifft, der in ihrem persönlichen Umfeld gar keine Fälle von Cybergrooming oder Cybermobbing bekannt sind: Sie stach jede Menge ältere Konkurrentinnen aus. Florian Schwarz: „Als Lena dann zum Casting kam, waren wir alle sehr beeindruckt. Neben ihrer Fantasie und ihrer Offenheit, war sie unglaublich klar und begeistert. Anhand der beiden Casting-Szenen hatte sie sich im Vorfeld schon ein unheimlich differenziertes Bild von der Figur der Sara erarbeitet.
Vor allem hat mich ja Lenas Talent begeistert und ihr klarer Zugang zur Figur. Dass sie auch noch die mentale Reife besaß, mit dieser schwierigen Rolle auch gut umzugehen und sie vor allem nach dem Dreh auch abzuschütteln, kam dann auch noch dazu.“

Die gute und auch bekennend ehrgeizige Schülerin, die umgänglich und gesellig ist, aber auch von sich sagt, dass sie im Umgang mit Trubel auch „ganz gerne mal ganz alleine“ für sich ist, würde am liebsten ja ein sehr gutes Abitur bauen. Das wäre eigentlich wichtig, um später Psychologie und/oder Philosophie studieren zu können. Angesichts ihrer beruflichen Entwicklungen bekennt sie aber schließlich kompromissbereit: „Diesen Traum von einem super-guten oder enorm-perfektem Abi habe ich schon aufgegeben. Ich muss sagen, dass mir Film doch sehr wichtig geworden ist!“  - Und besonders angefeuert haben, dürfte sie der professionelle und kollegiale Umgang von Kollege Devid Striesow mit ihr (siehe Interview!). Auch der war sichtlich beeindruckt von der damals 15-Jährigen Lena,  lobte das hervorragende  Zusammenspiel mit Lena und ließ verlauten: „Ich wünsche mir, mit ihr mal eine komplizierte Vater-Tochter-Geschichte zu spielen. Da würden wir´s krachen lassen!

Bereits als Fünfjährige entbrannte Lena Urzendowsky bei einem Theaterbesuch spontan für den Schauspielberuf. Acht Jahre lang bekam sie ab da wöchentlich in einem Dreistunden-Block Unterricht in Gesang, Tanz und Schauspiel in einer Musicalschule. Es folgten kleinere Bühnenrollen in Musicals, dann eine Hauptrolle im Musical „Annie“ unter dem Titel „Das verbotene Lied“ und schließlich die Rolle der Räubertochter im TV-Film „Die Schneekönigin“.
Lena tanzt leidenschaftlich gerne und bei jeder Gelegenheit, egal, ob, wie sie sagt, auf der Tanzfläche noch andere sind oder nicht. Und mit Mutter Jeannette, einer schauspielernden und auch auf Bühnen singenden HNO-Ärztin, die sich ihren Künstlerinnentraum nach Lenas Geburt zu erfüllen begann, wird gerne und viel im Alltag wie im Urlaub gesungen.

Nach der Begegnung mit dieser sympathischen, sehr talentierten, aufgeweckt frischen und differenziert denkenden jungen Schauspielerin, bleibt vor dem Hintergrund des schlimmen Cybergrooming-Themas ein Eindruck besonders stark haften: Wie gut hat sie es mit ihrer im Künstlerischen eingebetteten und liebevollen Familie getroffen, die sie und ihre Träume ernst nahm! Bei so viel Enthusiasmus und den Spielmöglichkeiten im realen Leben einer Mimin erübrigt sich einfach jegliche Flucht in dubiose Internet-Welten!  So viel Glück wäre mehr jungen Menschen zu wünschen.... Fortsetzung folgt

 

Foto: (c) ARD

Info: Am heutigen Mittwoch, 28. September um 20.15 im Ersten Programm

Danach ist der Film in der Mediathek von „Das Erste“ abrufbar.