Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 13. Oktober 2016, Teil 9
N.N.
Berlin (Weltexpresso) - Hannelore Elsner spielt die Mutter, Liliane. Sie war früher eine erfolgreiche Schlagersängerin, leidet an Depression und hat einen herrlichen Hang zu Melodramatik und emotionaler Erpressung.
Liliane hat für ihre Töchter auf ihre Karriere verzichtet und ist darüber in eine Depression geraten, aus der sie nie mehr herausgefunden hat. Das ist ihre Theorie. In Wirklichkeit kam sie mit den Schwankungen in ihrer Karriere und dem Leben als Mutter einfach nicht klar. Für ihre Figur, die beiden Töchter, den Vater – für diese ganze Familienaufstellung hat mich das Buch „Borderline Mütter und ihre Kinder“ von Christine Ann Lawson sehr inspiriert.
Christiane Paul als Mimis Schwester hinterlässt, wo sie auftaucht, ein Feld der Zerstörung. Was wäre Ihre genaue Diagnose?
Christiane hat sich immer gegen die Diagnose gewehrt, aber für mich ist Manuela, die sie spielt, eine Borderlinerin. In der Familie ist sie das „ungeliebte Kind“. Sie hat große Stimmungsschwankungen, und sie hat zwei Leben. Tagsüber schmeißt sie hochgradig verantwortlich ihren eigenen Kosmetiksalon - nachts stürzt sie total ab, mit Alkohol, Männern, Entgleisungen aller Art. Sie hat eine manipulative Beziehung mit ihrem Freund Nico, in der es hauptsächlich um Macht geht und darum, sich eifersüchtig zu machen und sich nicht zu gestehen, dass man sich liebt.
Mimis Sohn Paul wird von seiner Schulleitung als hyperaktiv eingestuft. Die Diagnose ADHS fällt heute sehr schnell. Wie würden Sie ihn beschreiben?
Geschrieben war er als Junge, der wirklich hyperaktiv ist. Zappelig, unkonzentriert, cholerisch, der auch keine Grenzen akzeptiert, nicht versteht, wo der Scherz aufhört und die Körperverletzung beginnt. Mit einem richtig hyperaktiven Kind kann man aber ganz schlecht drehen. Als wir dann, erst relativ kurz vor Drehbeginn, unseren Felix gefunden hatten, nämlich Ewi Rodriguez, war der ganz anders, als im Drehbuch beschrieben. Sehr eigen und verträumt und verletzlich und irgendwie auch schwer zu lesen. Eigentlich fast das Gegenteil eines wachen, expressiven Filmkindes. Aber Ewi hat mich vom ersten Augenblick an fasziniert und berührt, da war es mir dann ehrlich gesagt egal, ob das noch typisch ADHS ist. Ich hatte endlich einen Felix, von dem ich mir wirklich vorstellen konnte, dass er aus schwierigen Familienverhältnissen kam.
Dann gibt es noch Mimis love interest, genau genommen sind es sogar zwei: ihren Ex-Mann Johnny, einen Rockmusiker, der sich ganz schön runtergesoffen hat – und einen Mann, von dem ich hier nicht mehr verraten möchte, weil hier ja noch nicht alles verraten werden soll. Was ich wirklich bewundere, ist, wie Sie es geschafft haben, dass jeder dieser Charaktere absolut liebenswert ist. Eigentlich machen alle Mimi nur das Leben schwer – und trotzdem mag man sie…
Anstrengende Figuren, deren Not man spürt und sie deshalb mag, das war das Ziel. Das ist ein durch und durch subjektiver Prozess, vom Drehbuch über die Besetzung bis zur täglichen Arbeit der Schauspieler, ihre Figuren zu spielen. Ein Eiertanz. Ist das zu tragisch, zu komödiantisch, zu abgründig, zu harmlos? Es ist mir ehrlich gesagt bis zum fertigen Film ein Rätsel, wie was funktioniert oder nicht. Was ich aber sagen kann, ist, dass ich meine Figuren immer liebe. Das zeichnet, glaube ich, meine Filme auch aus. Ich bin ein Menschenfreund, vielleicht fehlt meinen Filmen dadurch manchmal etwas Abgründiges, kann schon sein. Aber ich brauche diese Empathie, um mich in Filmen zuhause zu fühlen. Komödien, die sich über ihre Figuren lustig machen, bringen mich nicht richtig zum Lachen. Und dann sind es natürlich vor allem auch die Schauspieler, die diese Gratwanderung gehen müssen, zwischen anstrengend und liebenswert. Darin kann ich sie nur unterstützen, indem ich ihnen beim Drehen möglichst viel Raum gebe, Zeit und die Möglichkeit, immer wieder was Neues auszuprobieren.
Und Mimi – wie würden Sie Mimi beschreiben? Ich stelle mir vor, dass das die schwierigste Rolle war. Die anderen dürfen so herrliche Neurosen spielen, und Mimi muss inmitten des Chaoshaufens normal und geerdet sein.
Ja, die Rolle kenne ich. Ich war als Elf-, Zwölfjähriger zwei Jahre im Zirkus. Und da war ich der Weiße Clown. Das ist sozusagen der saubere, strenge Clown, der vom Dummen August und all den anderen Verrückten hochgenommen wird...
...und der keine Lacher kriegt.
Nee, selten.Die Sympathie des Zuschauers ist immer beim Dummen August. Aber du brauchst natürlich den Weißen Clown. Und man muss den mit einer bestimmten Würde und Stärke spielen. Am Anfang war ich traurig, dass ich nicht auch der Dumme August sein durfte, den alle lieben. Aber über die Zeit hab ich ihn dann sehr lieben gelernt. Mimi ist so ein bisschen der Weiße Clown in ihrer Familie. Sie ist die Normale, die Gesunde. Normalität zu spielen ist sehr schwierig. Wie stellt man im Film jemanden dar, der langweilig ist, ohne dass er langweilig ist? Oft fällt es Filmen oder auch Büchern so leicht, das Abgründige, das Kranke, das Schwierige zu beschreiben, und wenn es darum geht, das Gesunde zu beschreiben, das Gute, das Glückliche, ist es viel schwieriger. Und deshalb war es auch schwer, die richtige Mimi zu finden.
Und was brachte Katharina Schüttler mit?
Sie hat diese Mischung aus einem traurigen Clown, der sie irgendwie ist mit ihren großen Augen und ihrem komödiantischen Talent, und etwas sehr Bodenständigem, das aber zugleich irgendwie neurotisch ist. Ich hatte schon beim Casting das Gefühl, dass sie die Mimi wirklich versteht, nicht nur rational, sie hat ihre Überforderung mit soviel Humor und Wissen gespielt. Was mich bei Katharina so berührt, ist ihr Mut, schwach, überfordert und gestresst zu sein, ohne gut aussehen zu wollen. Sie ist in der Lage, das volle Drama der Mimi zu spielen, und dabei trotzdem komödiantisch zu sein.
Entspricht die Musik, die sie im Film macht, Ihrem persönlichen Geschmack?
Es sollte schon Musik sein, die ich gut finde, ja. Ich habe Mimi als eine unentdeckte Singersongwriterin gesehen. Ich kenne so viele talentierte Musiker, die es nie geschafft haben oder das Glück hatten, erfolgreich zu werden. Ich wollte, dass die Musik von ihr erzählt, dass sie wirklich authentisch ist, ein einfaches, ehrliches Lebensgefühl, in Musik verpackt, das sofort überspringt. Wir haben früh angefangen, nach Musik und Sängerinnen zu suchen, im deutschsprachigen Raum, und es gibt wirklich viele spannende, eigenwillige Künstlerinnen, aber die richtige Musik für Katharina und Mimi zu finden, war dann doch schwieriger, als ich mir vorgestellt hatte. Überhaupt, einen guten Soundtrack zusammenzustellen und zwei Songs für den Film zu schreiben, die da mithalten, war schon ne Herausforderung.
Den Hauptsong, den Mimi dann in der Casting-Show singt, „Falling“, haben schließlich zwei Komponisten gemacht, die wir über die Popakademie in Mannheim gefunden haben. Während der Vorbereitung wurde mir immer klarer, dass wir eigentlich auch einen richtigen Musikfilm machen, von denen es hierzulande ja leider wenige gibt. Filme über Musik haben eine starke anglo-amerikanische Tradition, und da waren auch meine Ansprüche einfach hoch, sowohl was die Performance der Schauspieler, die Glaubwürdigkeit und auch den Musikgeschmack betrifft, über den man ja bekanntlich streiten kann. Es sollte mein erster Film werden, dessen Filmmusik weitgehend mit Songs bestückt war. Für Niki Reiser und mich stellte sich dann die Frage, wie der Score, also die dramatische Filmmusik sein sollte. Ich finde, da hat Niki mit dieser eigenartigen Musik mit „Hang“ und Stimmen einen tollen Weg gefunden.
Ich fand herrlich, wie sich in der Casting-Shows die ganzen Fernsehstars sozusagen selbst spielen – Arabella Kiesbauer als Moderatorin, und als Jury Thomas Anders, Sabrina Setlur und Friedrich Liechtenstein. Da mussten Sie nicht viel inszenieren, oder?
Nein, da habe ich eigentlich gar nichts gemacht. Sobald die Show losging und alle auf der Bühne waren, war alles klar. Das hat grossen Spaß gemacht zu drehen. Wir hatten viele hundert Statisten im Saal, und Arabella war da einfach total in ihrem Element. Und die Drei sollten ja auch primär sie selbst sein und zusammen glaubwürdig als Jury funktionieren. Wir hatten uns kurz vor dem Dreh zusammengesetzt, ich hatte ihnen auf einem Zettel ein paar Ideen notiert, was sie sagen könnten, alles andere haben sie improvisiert.
Wie schreibt man eine gute Komödie? Gilt die Regel, dass immer alles die schlimmstmögliche Wendung nehmen muss?
Ehrlich gesagt,ich weiß es nicht. Ich finde jedes Drehbuch immer wieder von neuem einen echten Kampf. Auf Gag zu schreiben kann Riesen Spass machen, aber wenn man es dann nach einigen Wochen kritisch liest, wirkt es plötzlich hohl. Umgekehrt können einen schmerzhafte Szenen plötzlich so runter ziehen, dass man sich wünscht, man würde den Figuren mehr Lebenskraft geben können, aber wie? Letztendlich ist meine Erfahrung: eine Komödie wird besser, wenn man nicht versucht, die Tragödie zu vermeiden. Je ernster ich die Figuren nehme, je ernsthafter der Film wird, je weniger man sich eigentlich um die Komödie kümmert, umso mehr hat man die Chance, eine gute Komödie hinzubekommen.
Man hätte denselben Stoff ja auch ganz tragisch erzählen können. Ist er ja - all diese Schicksale, all die Probleme… Wie sorgt man da für einen leichten Ton? Liegt das am Tempo?
Es ist ein Zusammenspiel. Das Drehbuch ist die Basis, aber viele Szenen kann man so oder so spielen. Die Wahl der Schauspieler ist entscheidend, jeder bringt Erfahrung mit ins Spiel, Schwere oder Leichtigkeit, dann entsteht am Set ein Ton, die Stimmung der Schauspieler, die Stimmung am Set, wie entspannt wird gedreht oder wie angestrengt....Und natürlich das Tempo. Obwohl ich sagen muss, dass ich die Erfahrung gemacht habe, dass deutsche Schauspieler mit Pausen und Langsamkeit besser an ihre Emotionen kommen. Es bringt also manchmal nichts, auf straffes Timing zu inszenieren, wenn man Tiefe haben will.
Das Timing entsteht viel mehr am Schnitt. Überhaupt ist der Schnitt sicherlich ein wesentliches Element für den Ton eines Filmes. Die Auswahl der Takes, die Geschwindigkeit des Dialogs, Musik, und vor allem die Haltung der Figuren. Ich glaube, was die Komödie von einer Tragödie unterscheidet, ist, dass in einer Tragödie die Figuren oft wehrlos oder chancenlos sind. Dass sie Opfer sind, keinen Ausweg wissen, dass es keine richtige Erlösung gibt. Aber wenn du spürst, dass die Figuren trotz allem Drama nach vorne gehen, ihre Chancen nutzen, der Film die Situation also optimistischer sieht, als die Realität manchmal ist, dann bist du entweder im Kitsch oder in der Komödie.
Sie haben „Die Welt der Wunderlichs“ eine „melancholische Komödie“ genannt. Ist alles, was Sie machen, automatisch ein bisschen melancholisch?
Ja. Ich bin schwerer Melancholiker.
Was ist die beste Medizin gegen Melancholie?
Muss man das therapieren? Also wenn die nicht Dauerzustand ist, sondern sich manchmal ablöst mit echter Heiterkeit und Glücklichsein, finde ich Melancholie gar nicht verkehrt. Ich wüsste ehrlich gesagt gar nicht, wie man in der heutigen Welt nicht melancholisch sein könnte. Man muss da doch traurig sein, unterbrochen von Lachen, oder andersherum.
Foto: das Filmteam, Dani Levy hinter seinem Jungstar, der den Filmfelix spielt, links Hannelore Elsner, rechts die Hauptdarstellerin Katharina Schüttler
Info:
Abgedruck aus dem Filmheft
Vor der Kamera
Katharina Schüttler (Mimi Wunderlich)
EWi Rodriguez (Felix Wunderlich)
Peter Simonischek (Walter Wunderlich)
Christiane Paul (Manuela Wunderlich)
Martin Feifel (Johnny)
Steffen Groth (Nico)
Hannelore Elsner (Liliane Wunderlich)
Hinter der Kamera
Dani Levy (Buch und Regie)
Stefan Arndt (Produzent)
Uwe Schott (Produzent)