Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 13. Oktober 2016, Teil 8
N.N.
Berlin (Weltexpresso) – Herr Levy, welche psychische Erkrankung ist Ihnen am nächsten?
Manisch-depressiv am ehesten. Ich kenne diese Wechsel zwischen fast kindlicher Euphorie, überbordender Aktivität und einem überdimensionierten Glauben an mich selber, der dann innerhalb von ganz kurzer Zeit und nahezu ohne Anlass ins Gegenteil stürzen kann, wo ich dann auf einmal tieftraurig bin und humorlos selbstkritisch und selbstzweifelnd. Ich habe schon eine gute Balance, das abzufedern und halte mich für insgesamt relativ gesund, aber die Veranlagung zu etwas Bipolarem ist sicher gegeben.
Ihre neue Komödie handelt von einer Familie, in der so ziemlich jedes Mitglied irgendeine Art von Störung hat, wie Ärzte sie heutzutage gerne diagnostizieren. Burn-out, Borderline, Depression, ADS, ist alles dabei. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Es war über die letzten 10,15 Jahre doch deutlich zu beobachten, dass psychische Störungen in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Vor allem auch in unserer Wahrnehmung. Sie sind nichts exotisches mehr, das nur Menschen betrifft, mit denen man wenig zu tun hat – wir alle kennen es aus unseren Familien, aus dem Bekanntenkreis, aus den Schulklassen unserer Kinder. Psychische Störungen sind so weit verbreitet, dass ich immer mehr Spass an der Idee hatte, darüber eine Gesellschaftskomödie zu drehen. Ich wusste nur erst nicht, wie ich es angehen soll. Bis mir dann die Idee kam, dass sich alles innerhalb einer Familie abspielt.
Im Mittelpunkt steht die einzig „Normale“ in dieser Familie – Mimi, gespielt von Katharina Schüttler. Sie ist allein erziehende Mutter eines siebenjährigen Sohnes und bricht fast zusammen vor Anstrengung, allem gerecht zu werden, Sohn wie Job. Eigentlich ist Ihr Film eine Verbeugung vor alleinerziehenden Müttern, oder?
Ja. Das war das zweite große gesellschaftliche Thema, das mich beschäftigt hat, weil ich es auch in meinem persönlichen Umfeld sehr viel habe: alleinerziehende Mütter, selten auch Väter, viele von ihnen ohne Partnerschaft, die alleine mit ihrem Kind - oft ist es nur eines - zusammenleben. Diese Symbiose zwischen Kind und Mutter, diese starke Verbindung, in Kombination mit Abwehrmechanismen, Gefühle von Schuld usw., das berührt mich sehr. Wenn die alleinerziehende Mutter dann auch nicht das Glück hat, eine starke solide Familie hinter sich zu haben, sondern sich wie Mimi auch noch um ihre Eltern kümmern muss, dann ist das der Stoff für eine starke Hauptfigur, finde ich.
Mimi hat ihren großen Traum, zu singen, Musik zu machen, ihrem Sohn geopfert. Doch der möchte seine Mutter endlich wieder fröhlich sehen und meldet sie hinter ihrem Rücken bei einer Casting-Show an. Ich hätte gar nicht unbedingt gedacht, dass Sie ein großer Freund von Casting-Shows sind…
Doch, ich mag Casting-Shows, nicht alle, aber einige. Ich schaue mit meinen Kindern sehr gerne „Mein Song“ auf KiKA. Ich mochte „The Voice of Germany“ oder Britain's got talent“, wohingegen ich aber „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Germany's Next Topmodel“ wirklich schrecklich finde. Gut gemachte Casting-Shows, also solche, die sich nicht zynisch über ihre Kandidaten erheben, können mich richtig mitreissen, da sitzt ich dann weinend vor dem Fernseher. Absurd, aber das sind manchmal so nackte, so liebenswerte Träume, die man da spürt. Und dann ist Musik natürlich sowieso ein Optimal-transporter zu Gefühlen. Menschen können sich in der Musik auf eine ganz eigene, schöne persönliche Art ausdrücken und andere damit erreichen.
Der Film hatte zunächst den Arbeitstitel „Der kleine Diktator“, was sich auf den Sohn bezog – nun steht die gesamte Familie Wunderlich auch im Titel im Mittelpunkt. Was bedeutet Ihnen Familie?
Ich bin in einem bürgerlichen, eher verklemmten und kommunikationsarmen Elternhaus großgeworden, in dem viel verdrängt wurde. Jetzt mal ganz abgesehen davon, dass meine Mutter als jüdischer Flüchtling aus Berlin nie über ihre Geschichte gesprochen hat, wurde auch sonst kaum über Gefühle oder Beziehungen untereinander gesprochen. Als ich mit Anfang 20 von meiner Familie und aus der Schweiz mehr oder weniger geflohen bin, habe ich ein Jahr lang wie ein Penner in den USA auf der Straße gelebt – als so ne Art trotziges Kontrastprogramm.
Danach bin ich in Berlin zum „Theater Rote Grütze“ gestoßen, und das war genau der richtige Boden, um mit meiner bürgerlichen Herkunft so richtig auf die Fresse zu fallen. Die „Rote Grütze“ war ein in den frühen 70er-Jahren entstandenes linkes Kinder- und Jugendtheater, deren Mitglieder sich sehr intensiv und schonungslos mit ihren Familien auseinander gesetzt haben. Das führte natürlich auch zu Riesenkonflikten mit meinen Eltern in Basel. Ich habe mich aufgeführt wie ein Kobold, aber dadurch hat sich etwas zwischen uns verändert. Klar waren wir immer noch die, die wir waren, aber wir konnten besser sprechen miteinander, und es wurde dann auch versöhnlicher. Langer Rede kurzer Sinn: Familie ist woher du kommst und wohin du gehst. Und ein Urquell von Erfahrungen für Komödien.
Die Wunderlichs, so durchgeknallt und chaotisch sie sind, halten zusammen, wenn es hart es hart kommt. Und weil sie die Wunderlichs sind, kommt es hart auf hart. Ist es das, was eine gute Familie im Kern ausmacht – dass man zusammenhält?
Die Wunderlichs sind kompliziert, aber sie wissen es auch. Man kommt ja nicht voneinander los, das verbindet. Das habe ich in komplizierten Familien oft gesehen: sie leiden aneinander, sind dann aber extrem solidarisch, wenn es von Außen ein Problem gibt. Dann gilt plötzlich: wir gegen den Rest der Welt.
Wie spielt man manisch-depressiv? Was war da Ihre Regieanweisung an Peter Simonischek?
Interessanterweise hatten die meisten der Schauspieler jemanden in ihren Familien, der ihnen als Vorbild für ihre Rolle diente. Da musste ich nicht viel sagen. Und sie wollten übrigens oft auch die psychische Störung ihrer jeweiligen Figur gar nicht benannt wissen. Entscheidend war für sie nicht die Diagnose, sondern nur, wie sich die Figur verhält. Fortetzung folgt.
Foto: von den Drehaufnahmen, Dani Levi in der Mitte, links Christiane Paul von hinten
Info:
Abgedruck aus dem Filmheft
Vor der Kamera
Katharina Schüttler (Mimi Wunderlich)
EWi Rodriguez (Felix Wunderlich)
Peter Simonischek (Walter Wunderlich)
Christiane Paul (Manuela Wunderlich)
Martin Feifel (Johnny)
Steffen Groth (Nico)
Hannelore Elsner (Liliane Wunderlich)
Hinter der Kamera
Dani Levy (Buch und Regie)
Stefan Arndt (Produzent)
Uwe Schott (Produzent)