Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 15. Dezember 2016, Teil 1

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Um 1900 scheint es undenkbar, dass eine Frau an einer Kunsthochschule studiert, geschweige denn sich als Malerin einen Namen macht. Aber Paula Becker denkt nicht daran, sich den herrschenden Konventionen anzupassen. In der Künstlerkolonie Worpswede ergründet sie unbeirrt von der vernichtenden Meinung ihres Lehrers ihren eigenen Stil.

Als sie den Maler Otto Modersohn heiratet, scheint es, als hätte Paula einen verständnisvollen Seelenverwandten gefunden. Aber in der Ehe findet sie nicht ihr Glück. Finanziell unterstützt von ihrem Mann, zieht sie nach Paris. Wiewohl Otto von seinen Kollegen unter Druck gesetzt wird und Paula vermisst, kann sie sich dort endlich verwirklichen.  

Christian Schwochow porträtiert Paula Modersohn-Becker als eine starke, moderne Frau, die ihrer Zeit weit voraus war. Zeitlos beschreibt er ihren Kampf gegen Widerstände und ihr Bemühen, Beruf und Familie zu vereinbaren. Paula konzentriert sich auf Stationen in den letzten zehn Lebensjahren der Malerin, verdichtet dabei einige Details aus ihrer Biografie. In Totalen zeigt der Film die weite, wilde, oft neblige Landschaft in der Künstlerkolonie, von der sich die Malerin inspirieren ließ. Sie führte dazu, dass sie sich zunehmend von ihren Stillleben abwandte und Motive entdeckte, für die sich zuvor kein Künstler interessierte: die Armut der Bäuerinnen, die windschiefen Hütten und die vernachlässigten Kinder. Getragen wird der Film von Carla Juri, die ihre Heldin mit kindlicher Unschuld und trotziger Willensstärke verkörpert.

Das Interesse, sich mit der Avantgardistin näher zu beschäftigen, ist dank der sympathischen, emanzipierten Protagonistin schnell geweckt. An ihrem Werdegang lässt sich exemplarisch nachvollziehen, unter welchen Schwierigkeiten es vereinzelten Frauen gelang, sich in der Kunstwelt zu etablieren. Zum Vergleich können die auch im Film in Erscheinung tretende Clara Westhoff, eine Freundin Modersohn-Beckers, die Französin Camille Claudel oder auch die stilistisch ähnliche Landschaftsbilder malende Expressionistin Gabriele Münter herangezogen werden. Der Film bietet dazu einen guten Einstieg, Modersohn-Beckers Werke an der Schwelle vom Impressionismus zum Expressionismus in ihrer Bedeutung für diese Stilrichtungen und ihre künstlerischen Aussagen zu analysieren. Was zeichnet ihre Bilder aus, inwiefern beschreitet sie mit ihnen Neuland? Unweigerlich regt Paula ferner zur Reflektion darüber an, inwiefern lebende Frauenpersönlichkeiten mit ähnlichen Problemen in der Berufswelt zu kämpfen haben.