Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 15. Dezember 2016, Teil 2

Filmheft

Berlin (Weltexpresso) - Das Drehbuch zu PAULA stammt nicht von Ihnen. Wie ist die Filmidee zu Ihnen gekommen?


Produzentin Ingelore König und Dramaturgin Cooky Ziesche schickten mir das Buch im Sommer 2012. Zu diesem Zeitpunkt hatte es schon eine intensive Entwicklung hinter sich, denn die Autoren Stefan Kolditz und Stephan Suschke hatten sich bereits zu DDR-Zeiten mit Paula Modersohn-Becker beschäftigt. Schon während des Lesens wusste ich: Diesen Film muss ich machen! Für mich war das Drehbuch ein wunderbares Geschenk.

 


... das Sie dann mit den Autoren gemeinsam weiter entwickelt haben.


Ja. Stefan Kolditz und Stephan Suschke hatten sehr kluge Entscheidungen darüber getroffen, welche Momente und Abschnitte aus Paulas Leben beschrieben werden sollen. Und welche eben nicht. Unsere gemeinsame Arbeit glich dann eher einem Ausformulieren. Natürlich gab es das gemeinsame Suchen nach einem ganz eigenen Stil und einer besonderen Form. Denn eines sollte PAULA nicht werden: ein klassisches Biopic. Es ging uns vielmehr um Fragen wie: Wovon erzählt uns ein Film über das Leben von Paula Modersohn-Becker heute? Von den Schwierigkeiten, die der Malerberuf mit sich bringt? Über die Probleme, die eine Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland hatte? Schließt er ein paar Bildungslücken über den deutschen Expressionismus? Ja. Auch. Aber: PAULA sollte kein Film nur für Zeichenschüler und Museumsfreunde werden.



Wie schon in Ihren vorherigen Filmen NOVEMBERKIND, DIE UNSICHTBARE und WESTEN steht auch in PAULA eine starke Frau im Mittelpunkt. Hat Sie das Projekt auch dewegen so fasziniert?


Die Geschichte faszinierte mich vor allem wegen dieser universellen Fragen. Paulas Leben war bestimmt von Angst vor dem Mittelmaß und nichts zu hinterlassen. Von Angst, nicht gesehen zu werden als die, die sie ist, Angst, als Frau ein vorbestimmtes Schicksal erdulden zu müssen. Aber vor allem war ihr Leben davon bestimmt, sich diesen Ängsten zu stellen und mit einem schier unbesiegbaren Glauben an sich selbst ihren Weg zu gehen. Das macht sie zu einer
modernen Heldin, deren Kraft und Mut ein großes Publikum von heute in den Bann ziehen kann. Paula und die Protagonistinnen der anderen Filme sind Frauen, die sich in ihrer Welt und ihrer Zeit auf bestimmte Art und Weise unangemessen verhalten, aufmüpfig sind, einen eigenen Kopf haben. Damit geraten sie an Grenzen, die sie versuchen zu überschreiten. Zwischen diesen Frauen gibt es eine starke Seelenverwandtschaft, da bin ich mir ziemlich sicher.

 


Kannten Sie die Geschichte und Arbeiten von Paula Modersohn-Becker schon, bevor Ihnen der Stoff angeboten wurde?


Das erste Mal war ich kurz nach 1990 in Worpswede. Das einzigartige Licht, dieses Bild der Moorlandschaft bei grauem Wetter hat sich mir eingeprägt. Außerdem kannte ich einige von Paulas Bildern. Wenn man sich mit den Übergängen vom Impressionismus zum Expressionismus in Deutschland beschäftigt, kommt man an Paula nicht vorbei. Aber dass ihre Lebensgeschichte so besonders war, das wusste ich nicht. Als Ingelore König damals zu mir kam, konnte sie
nicht wissen, dass ich als Jugendlicher eigentlich Malerei studieren wollte. Maler bin ich letztlich nicht geworden.


Umso mehr fühlte ich mich als Regisseur mit dem Angebot für diesen Film in einer Art und Weise „gesehen“, wie es sonst sehr selten passiert.

 


In Ihren Filmen wie DER TURM und WESTEN, die sich mit der jüngeren deutschen Geschichte beschäftigen, spielt die Bildhaftigkeit eine große Rolle. Wie haben Sie sich PAULA visuell genähert?


Wenn ich historisch arbeite, versuche ich grundsätzlich, Historisierung zu vermeiden. Ich will keine erhalten gebliebenen Fassaden und keine alten Kostüme ausstellen. Ich versuche, mit der Historie und den Menschen in ihrer Zeit auf selbstverständliche Art umzugehen, sie an mich heranzuholen, soweit es geht. Das zeigt sich in den Bildern, aber auch in der Schauspielführung. Paula und Otto sind moderne Figuren und so wollte ich den Film erzählen.

Was genau ist das Moderne an Paula und Otto? Paula war radikal, kämpfte für ihren Weg als Frau, ohne sich als ideologisch oder feministisch zu empfinden. Paula malte nicht dekorativ, sie wollte den Menschen in die Seele schauen. Das Unperfekte hat sie fasziniert. Ich war berührt von ihrer ausgeprägten Angst vor Mittelmäßigkeit, die sie als Malerin hatte und die mich als Filmemacher mit ihr verbindet. Dann ist PAULA eine große, leidenschaftliche Liebesgeschichte. Eine Liebesgeschichte, die mich berührt, weil die Liebenden an Konflikten zu scheitern drohen, die gerade heute in meiner Generation Grund für unzählige
Trennungen sind. Paula und ihr Mann Otto kämpfen um die Vision einer Beziehung, in der beide als Paar und Eltern glücklich sind, aber jeder seine eigene Selbstverwirklichung erreicht. Als Vater einer kleinen Tochter weiß ich, wovon ich spreche!

 


Was war Ihnen in der visuellen Umsetzung wichtig?

Filme über bildene Künstler machen sich oft die Farbgebung und Bildgestaltung des jeweiligen Künstlers zu eigen – das schwächt in meinen Augen aber die Wahrnehmung des Zuschauers auf den besonderen Blick und die Gemälde des Künstlers. Um Paulas besondere Malweise zu betonen, haben wir in der Bildgestaltung Mittel klassischer Malerei des 19. Jahrhunderts verwendet, die die Schönheit von Mensch und Natur betonen – Mittel, die Paula überwunden
hat. Wichtig war uns auch, dass wir uns sehr früh vom Bild lösen, das wir von alten Fotografien jener Zeit kennen; diese gestellten Studiobilder, für die sich die Leute mit gebügelten Anzügen, gestärkten Kleidern und perfekten Frisuren fein hergerichtet haben. In PAULA sollen die Menschen so zu sehen sein, wie sie damals kaum fotografiert wurden, Menschen bei der Arbeit mit verstrubbelten Haaren, Schweiß im Gesicht – normal eben. Außerdem haben wir versucht, die Kostüme heutiger zu machen, sie gegen die Steifheit zu bürsten. Denn die Worpsweder Künstler zum Beispiel waren angesagt und in gewissem Sinne die Hipster von damals. Unser Otto Modersohn sollte so aussehen, als könnte er nächste Woche auf einer Vernissage in BerlinMitte auftauchen und kaum einer würde sich wundern.

 


Kann zu viel Recherche die spielerische Idee für einen Film erdrücken?


Nein, im Gegenteil! Gute Recherche bedeutet für mich, dass ich alle Fakten am ersten Drehtag vergessen kann. Ich recherchiere irrsinnig viel für einen Film, will alles wissen, um mich danach frei bewegen zu können. Man findet beim Recherchieren immer etwas, das eigentlich nicht zu dem passt, was man im Vorfeld vermutet hat. Genau dann wird es interessant! Man stößt beispielsweise auf Differenzen zwischen dem Bild von damals und der Sprache. Würden wir
auf Anhieb glauben, dass schon Paula Modersohn-Becker das Wort „Vögeln“ benutzt hat? In ihren Tagebuchaufzeichnungen ist es nachzulesen. Sie hat ihre Gedanken ausführlich aufgeschrieben, das war Gold wert, um die Figur zu gestalten. Die wichtigste Recherche aber war das Betrachten und Erforschen ihrer Bilder.

 

Info: Abdruck aus dem Filmheft