Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 15. Dezember 2016, Teil 3

Filmheft

Berlin (Weltexpresso) - Über Paula Modersohn-Becker gibt es heute sehr viele Bücher – Tagebuchaufzeichnungen, Briefe, Biografien. Bedeutet das für Sie als Regisseur Reiz oder Druck?


Beides. Was in meinen Augen nicht funktioniert, ist das präzise Übernehmen von Originalzitaten in den Filmdialog. Das fühlt sich oft wie ein Fremdkörper an. Stefan Kolditz und Stephan Suschke wollten als Autoren von vornherein eine moderne Sprache. Wir haben einige wenige Originalzitate verwendet, die die Schauspieler allerdings sehr dicht an sich heran und manchmal nur durch eine zusätzliche Silbe ins Realistische geholt haben.

 


Einige Zuschauer werden „ihre“ eigene Paula schon im Kopf haben, bevor sie ins Kino gehen ...


Es kann natürlich sein, dass es Menschen gibt, die genau wissen, wie Paula war, die ein klares Bild von ihr haben, das ich jetzt vielleicht enttäusche. Dem Zuschauer aber mit einem Spielfilm zu suggerieren, dass eine historische Person genau so oder so gewesen sein muss, bedeutet für mich hingegen, ihr gerade damit nicht gerecht zu werden. Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, die in Paula vor allem eine sehr ernste junge Frau gesehen haben – und die
nun wahrscheinlich einen in erster Linie ernsten Film über sie erwarten. Es ist sicher richtig, dass sie eine sehr ernsthafte Künstlerin war, die große Selbstzweifel und Melancholie kannte – wie fast jeder große Künstler. Durch das Lesen von Paulas Briefen und Texten, aus denen neben tiefsinniger Reflexion häufig eine totale Verrücktheit und manchmal kindhafte Naivität spricht, kamen Carla Juri und ich mehr und mehr darauf, Paula eine clowneske Seite zu geben. Wie eine ironisch gewitzte und schlaue Hofnärrin, die im verkrusteten männlichen Kunstbetrieb immer weiter ist als alle anderen. Das wird sicher einigen nicht gefallen.
Aber: Ich wollte meine eigene Paula suchen und finden.

 


Warum haben Sie sich für Carla Juri als Paula entschieden?

Ich habe eine Rebellin gesucht. Wer Carla Juri kennt, weiß von ihrem unangepassten Wesen. Diesen permanenten Kampf, trotz dieser starken Eigenwilligkeit Anerkennung zu finden, kennt Carla als Künstlerin ebenso, wie Paula ihn erlebte. Ich habe eine Darstellerin gesucht, die keine Angst davor hat, einem historischen Stoff mit natürlicher, eben nicht historisierender Spielweise zu begegnen, die einen Charakter an sich heranholen kann, obwohl er weit von ihr
entfernt scheint. Nicht zuletzt habe ich jemanden gesucht, der Lust darauf hat, in der Rolle nicht nur sympathisch zu sein. Denn Paula war sicherlich auch nervig, anstrengend und egoistisch.

 


Als Film lebt PAULA vor allem von Sinnlichkeit.


Das Schöne war, dass Paulas Sehnsucht, Körperlichkeit, ihr Wunsch nach Erotik und der Hunger nach Leben schon in der ersten Version des Drehbuchs zu finden und zu schmecken waren. Eine Szene wie jene, in der Paula und ihre beste Freundin Clara Westhoff in einem Kirchturm die Glocken läuten und dabei ihre Freude darüber herausschreien, dass sie beide heiraten werden, ist pure jugendliche Sinnlichkeit.


Da denkst du zunächst: Was für ein wunderbarer Einfall der Autoren! Und dann findest du heraus, dass Paula und Clara genau das miteinander erlebt haben.

 


Gab es für die Hauptfigur ein Casting?


Ja, und es lief eineinhalb Jahre lang. Im Fall von Carla Juri habe ich sogar etwas getan, das ich sonst in der Regel nicht mache: Ich habe sie überredet, bin nach London geflogen und habe sie um zwei Stunden gemeinsame Arbeit gebeten. Carla hat etwas Anarchisches, das sich trotz ihrer Professionalität auf ihr Spiel überträgt. Sie spielt intuitiv, ist extrem überraschend und geht beim Dreh Impulsen nach, die nicht verabredet sind. Das mag ich sehr. Und für PAULA war es
einfach richtig.

 

Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 15. Dezember 2016, Teil 3

Filmheft

Berlin (Weltexpresso) -
So wie Albrecht Abraham Schuch für die Rolle des Otto Modersohn es ist? Ein Schauspieler, mit dem Sie schon mehrfach gearbeitet haben.


Ich habe Albrecht Abraham Schuch beim Absolventenvorspiel an der Schauspielschule in Leipzig gesehen. Dort ist mir sofort seine Kraft aufgefallen. Von den deutschen Schauspielern um die 30 ist er für mich der wandlungsfähigste. Einer, der einen enorm ausgeprägten Spielwillen hat, einen irrsinnigen Instinkt, Demut vor dem Beruf und die Gabe, sich in einer Figur aufzulösen.

 


Wie wollten Sie Modersohn haben? Wie haben Sie ihn bei der Recherche gesehen und letztlich angelegt?


Modersohn ist zunächst ein sehr viel älterer Mann im Vergleich zur jüngeren Paula. Biografen beschreiben ihn als sehr schweigsam und eigenbrötlerisch. Das allein hätte mich nicht interessiert. Ich wollte durch die Besetzung von Albrecht Abraham Schuch das Klischee vom „Älterer Mann trifft sehr junge Frau“ auflösen, wollte Modersohn das Kauzige lassen, ihm jedoch jungenhafte Züge geben. Vor allem sollte er ein Mann sein, der lernfähig ist und nicht aufhört zu
versuchen, seine Frau in ihrer Andersartigkeit zu verstehen.

 


Exemplarisch dafür steht sein Besuch in Paris, bei dem er Paulas neueste Bilder sieht und sie auch körperlich für sich gewinnen kann.


Genau! Das Bild der beiden nach der Szene im Bett könnte man visuell als Verweis auf Josef und Maria interpretieren. Doch ich habe eher an John Lennon und Yoko Ono gedacht.

 


Zwei Künstler in einer aufreibenden Liebesbeziehung – völlig verschieden, jeder eigenständig kreativ, im Hoffen vereint.


... und mit Hang zur Selbstinszenierung. Das Bild der beiden wirkt so gestellt für die Kamera, wie es Lennon und Ono oft getan haben. Wie eine Spiegelung. Das unterschiedliche Alter von Paula und Otto sollte in diesem Moment aufgehoben sein.

 

Info: Abdruck aus dem Filmheft