Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 15. Dezember 2016, Teil 4
Filmheft
Berlin (Weltexpresso) - In PAULA spielen Sie die expressionistische Malerin Paula Modersohn-Becker. Haben Sie sich vor den Dreharbeiten fu?r Kunst und die Malerei im Besonderen interessiert?
Ich bin in einem kleinen Dorf im Tessin aufgewachsen. Mit den Werken von Giovanni Segantini und Alberto Giacometti, die hier in den Bergen entstanden sind, war ich als Kind konfrontiert und sie haben mich natu?rlich fasziniert. Ernst- haft gemalt habe ich selbst aber nie. Der Malunterricht, den ich fu?r den Film genommen habe, half mir dabei, Paulas Gedanken und Emp ndungen nachzufu?hlen. Beim Malen habe vor allem Selbstvergessenheit gespu?rt, das war mein Zugang zu Paula.
Wie haben Sie sich auf die Rolle der Paula vorbereitet?
Eine Filmrolle ist immer eine Entdeckung, immer ein Expe- riment. Ich kann sie nicht spielen, wenn ich keinen Zugang zur Figur nde. Das la?uft manchmal von außen nach innen, manchmal umgekehrt. Es kann ein Haarschnitt sein oder die Art, wie eine Person la?uft. Das ist ein physischer Prozess. Fu?r PAULA war es vor allem eine Anna?herung von innen. Es ging mir darum, sie u?ber ihre Bilder und Briefe in ihren Emotionen zu verstehen. Manchmal hat mich nur ein einziger Satz getroffen, den ich dann sehr lange in mir getragen habe und mich bescha?ftigt hat.
Der Film zeigt auch, dass Paula Modersohn-Becker nicht nur als Malerin, sondern auch als Frau ihrer Zeit weit voraus war.
Freiheit war ihr das Wichtigste. Frei zu sein im Innern, frei von a?ußerer Kontrolle. Sie hat es verstanden, sich komplett in sich zuru?ckzuziehen, sich selbst zu genu?gen. Paula besaß große Emp ndsamkeit. Gelitten hat sie darunter, dass sie so viele Menschen mit ihrer Kunst verschreckt hat. Trotzdem blieb Paula sich treu.
Das klingt so, als wa?re Ihnen Paula nicht fremd. Gibt es fu?r Sie eine Art Seelenverwandtschaft mit Paula Modersohn-Becker?
Man sagt von ihr, dass sie es regelrecht gebraucht hat, kleine Feste fu?r sich selbst zu feiern. Ich kann diese glu?ckliche Einsamkeit sehr gut verstehen. Diese kindliche Genu?gsamkeit nde ich sehr melancholisch. Paulas Sinn fu?r die Einfachheit, aber auch fu?r das Merkwu?rdige und Originelle spricht mich an – ein Spiegel, ein Schrank, eine besondere Kette, das, wie Paula sagte, „sanfte Vibrieren der Dinge, das „merkwu?rdig Wartende, das u?ber dumpfen Dingen schwebt.“ Paula hat sich geweigert, einfach nur scho?n zu malen und sich, wie sie sagt, „dem Schrecken der Gemu?tlichkeit“ hinzugeben. Es passte einfach nicht zu ihrem Entwurf von Leben.
Sie hatte den unba?ndigen Willen, offen und empfa?nglich zu sein, sich nicht selbst zu verraten. Sie wollte sich mit der Welt messen. Das war gewiss oft erscho?pfend und anstrengend, aber eben auch beglu?ckend. Und das ist mir sehr nahe. Ebenso wie ihre Neigung, das vermeintlich Ha?ssliche zu zeigen, weil ich Ha?ssliches oft nicht als ha?sslich emp nde. Paulas Mut, missfallen zu du?rfen und damit Außenseiterin zu sein, nde ich faszinierend. Wirklich zu verstehen, wie es war, so gut wie keine Spiegelung, keine Besta?tigung von außen zu bekommen, fa?llt mir aber schwer.
Es macht etwas mit deinem Selbstwertgefu?hl, wenn du eine glu?ckliche Kindheit hattest. Du kompensierst die schlimmeren Dinge einfach besser, die im Leben passieren. Paula hatte diese beglu?ckende Kindheit. Sie hatte dieses Urvertrauen, das ihr Mut gab.
Die Beziehung zwischen Paula und Otto Modersohn war alles andere als unkompliziert. Und dennoch scheinen die beiden sehr fu?r ihre Liebe geka?mpft zu haben?
Ich glaube, dass Otto inspiriert war von Paula, von ihrer Kunst und ihrem Wesen. Auf die gleiche Weise hat sie ihn sicher auch abgestoßen, was vor allem an ihrem starken Drang zur Freiheit lag. Ich glaube, dass sie die ko?rperliche wie ku?nstlerische Abweisung durch Otto geschmerzt hat. Weil es so schwierig war in dieser Zeit, als Frau u?ber intime Bedu?rfnisse zu sprechen, hat es Paula hinter ihrem Kinder- wunsch versteckt. Sie wollte Otto aber als Mann. Dass sie von Paris aus nach Worpswede zuru?ckgekehrt ist, hat fu?r mich allein damit zu tun, dass Otto verstanden haben muss, dass Paula Freiheiten braucht – in der Beziehung und im Malen. Und Paula hoffte, dass sie an Ottos Seite Ku?nstlerin sein konnte. Es war ein Versuch ...
Im Film gibt es einen Zeitsprung von fu?nf Jahren.
Ich sehe ihn vor allem als emotionalen Zeitsprung. Es war eine große Vereinsamung eingezogen in diese Ehe, eine gegenseitige Blockade. Ich glaube, dass Paula sich sehr danach gesehnt hat, dass Otto sie versteht. Ihre Hoffnung darauf war groß, auch jene auf Leidenschaft in der Beziehung. Paula fu?hlte sich von Otto ignoriert. Sie hat ihm nie Schuld zugewiesen, aber sehr ernu?chtert festgestellt, dass er mit ihren, wie sie sagte, „wenigen, aber großen Gefu?hlen“ nicht viel anfangen ko?nne.
Ihre Liebesgeschichte ist letztlich eine sehr moderne, denn viele ihrer Ka?mpfe innerhalb der Beziehung und gegen gesellschaftliche Konventionen sind heutzutage noch die gleichen.
Paula und Otto haben versucht, keine Opfer ihrer Zeit zu sein. Sie haben in ihren Gedanken und mit ihrer Lebensweise dagegen angeka?mpft. Die Haltung, sich auch heute nicht zum Opfer von Konventionen zu machen, darin besteht fu?r mich das Moderne an PAULA.
Wie Paula wissen auch Sie um den Reiz, auf dem Land und in großen Sta?dten zu leben.
Ich bin mit 15 aus meinem Bergdorf in der Schweiz auf die Schule nach New York gegangen. Dabei hat sich bei mir das erste Mal dieses innere Spannungsfeld zwischen Land und Stadt aufgebaut, das ich bis heute brauche. Ich glaube, dass auch Paula in ihrem Innern beide Seiten verstanden und gebraucht hat.
Wie sind Sie zum Schauspielen gekommen?
Der Beruf der Schauspielerin war zuerst keine Option. Doch dann kamen die Filme, beispielsweise die von Federico Fellini. „La strada“ mit Anthony Quinn und Giulietta Masina – das hat mich gepra?gt. Allerdings sind Schauspieler fu?r mich keine Ku?nstler. Maler, Dichter, Bildhauer – das sind fu?r mich Ku?nstler. Ich sehe mich also nicht als Ku?nstlerin. Der Beruf der Schauspielerin ist ein kommunikativer Beruf, der von großer Empathie fu?r Menschen lebt. Schauspielerin zu sein, ist fu?r mich vor allem Faszination fu?r das Unbekannte.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Regisseur Christian Schwochow?
Ich entwickle keine Strategie beim Auswa?hlen meiner Rollen. Ich habe Christian Schwochows WESTEN gesehen und wollte mit ihm drehen. Er ist ein sehr kommunikativer Regisseur. Wir haben uns gegenseitig gesehen. Wir wussten, dass wir PAULA zusammen entwickeln ko?nnen.
Otto Modersohn wird von Albrecht Schuch gespielt. In PAULA erleben wir sowohl sehr intensive als auch sehr subtile Szenen zwischen ihnen beiden. Es scheint, als ha?tten Sie beide sich hervorragend verstanden.
Das Ungesprochene zwischen Schauspielern ist mir sehr wichtig. Es ist sogar das Wichtigste. Mit Albrecht hat es wunderbar funktioniert. Ich habe ihn zuvor nicht gekannt, aber es gab sofort eine vertraute Ebene. Er war mir familia?r. Durch das Lesen der Tagebu?cher und Briefe wusste ich außergewo?hnlich viel von der Figur Otto Modersohns. Normalerweise ist das nicht so, da dominiert zumeist die eigene Rolle.
Info: Abdruck aus dem Filmheft