Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 22. Dezember 2016, Teil 3

Filmheft

Paris (Weltexpresso) - Weil die Unsitte der Filmverleiher und Presseagenturen immer stärker um sich greift, Filme im Original als Pressevorführungen zu zeigen, ohne weiteres schriftliches Material anzubieten, wollen wir dagegen setzen und dort, wo in im Filmheft abgedruckten Interviews Interessantes ausgesagt ist, diese abdrucken. Leider fehlt dort meist die Angabe über den Gesprächspartner.


Wie ist das Projekt entstanden?


Zunächst waren wir für ein anderes Projekt angefragt, doch dann schlug mir der Produzent Richard Pezet, der mich schon als junger Regisseur bei meinem Erstling begleitet hatte, ein zweites Projekt vor, entstanden nach einer Originalidee von Jérôme Corcos. Und brachte gleich die Namen von André Dussollier
und Bérengère Krief als Hauptdarsteller ins Spiel. Den Cast und die Filmidee fand ich ungeheuer aufregend. Also stimmte ich zu, und die Arbeit am Drehbuch begann.

 


Was hat Sie an dem Stoff gereizt?


Mir gefiel die Möglichkeit, eine Geschichte in der Geschichte zu erzählen. Anfangs präsentierte man mir einen Film über eine unwahrscheinliche Wohngemeinschaft zwischen einem unglücklichen Witwer und einer jungen Studentin. Das ist die offizielle Version. Ich dagegen sah darin die Geschichte eines
Mannes, der nie ein Kind gehabt hat und der plötzlich Vater wird. Es hat mir gefallen, ein Familienleben für ein Jahr zu konstruieren. Diesen roten Faden habe ich im Kopf behalten. Familienbeziehungen finde ich faszinierend. Das hatte ich im Kopf bei der Regie. Ich habe die Schauspieler geführt als seien sie
Vater, Tochter, Bruder und Schwester.

 


Haben Sie Änderungen am Skript vorgenommen?


Ich habe seit der Lektüre des Treatments meine Ideen und Anmerkungen eingebracht und dabei eng mit der Drehbuchautorin Catherine Diament zusammengearbeitet. Daneben war Jérôme Corcos aktiv an dem Prozess beteiligt. Auch Romain Protat hat seinen Teil dazu beigetragen, viel Frische und Humor in die Figuren einzubringen. Es war eine Kollektivarbeit: Catherine und Jérôme sind die Garanten der Originalidee, während Romain und ich unsere eigenen Ideen eingebracht haben.

 


Obwohl der Film eine Komödie ist, werden ernste Themen angesprochen, wie Wohnungsnot und die Ohnmacht angesichts von Krankheit und Tod.


Gerade das gefällt mir: Dass ich solche Themen durch das Mittel der Komödie erzählen kann. Es ist vielleicht nicht der beste Vergleich, aber gerade da liegen meines Erachtens die Stärken britischer Komödien wie GANZ ODER GAR NICHT (Full Monty). Ein Referenzfilm war für mich auch ALLES EINE FRAGE DER ZEIT von Richard Curtis, der ebenfalls ernste Themen in Form einer fantastischen Komödie behandelt. Ich mag keine „Grundsatz“-Filme, die unbedingt eine sozial relevante Geschichte oder eine Ungerechtigkeit erzählen wollen. Ich finde es besser, große Themen anhand der Figuren oder eines narrativen Tricks anzugehen. Die Message darf den Film nicht vereinnahmen, sondern sollte ihm im Gegenteil einen realistischen Anstrich verleihen.

 


Wie ging das Casting vonstatten?


Bérengère war in einem sehr frühen Stadium gesetzt und hat die verschiedenen Drehbuchentwürfe interessiert mitverfolgt. André haben wir das Buch erst in einem fortgeschrittenen Stadium gezeigt. Was er sah, hat ihm gefallen, und er hat zugesagt. Schnell standen drei wichtige Nebenrollen fest: Marion, PG und Samuel, Huberts Freund.


Der Film ist ein Zusammentreffen der Generationen – drei jungen Schauspielern steht eine Garde großer Akteure gegenüber, die ihre Arbeit untereinander sehr schätzen. Die interessante Schauspieler-Kombination förderte einen besonderen Wetteifer zutage, ich hoffe, das spürt man auf der Leinwand.
André spürte eine solche Energie von Seiten der Jungen, die ihn puschte, er wollte nie Pause machen!

 


Wie kamen Sie auf die Idee, Arnaud Ducret gegen sein Image zu besetzen?


Wir kannten uns, ich hatte schon mit ihm gearbeitet und wusste, dass er sehr gerne einmal mit André Dussollier drehen würde. Ich sah ihn allerdings zunächst nicht in der Rolle des PG, weil dessen Charakter eigentlich schüchtern und reserviert ist. Er hat mich überredet, Probeaufnahmen mit ihm zu machen, und er war großartig!


Hubert ist ein eher trockener Typ, der aber mit der Zeit auftaut.


Vor dem Tod seiner Frau ist er oft ausgegangen, in Ausstellungen und Konzerte. Er hatte ein ausgefülltes soziales Leben, hat das gelbe Jackett in seinem Kleiderschrank aufgehoben. Ich sah ihn wie Toni Servillo in Paolo Sorrentinos LA GRANDE BELLEZZA, nur dass dieses Leuchten seit dem Tod seiner Frau
erloschen war.

 


Manuela ist eine ungestüme, waghalsige junge Frau...


Ein junges Mädchen, das sich sucht: Es gelingt ihr nicht, sich niederzulassen, sie wechselt jedes Jahr die Stadt, je nachdem, wen sie gerade kennengelernt hat. Ihr Studium ist nur ein Vorwand und sie hat keinen familiären Rückhalt. Ihren Vater hat sie nie gekannt, ihre Mutter hat sie mitgeschleppt auf ihren
Reisen durch die Welt ... Im Gegensatz zu Hubert müsste sie sich Zeit nehmen, um ihr Gegengewicht zu finden. Ihre Begegnung mit dem älteren Mann hilft ihr, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Ihr wird klar, dass sie ihre ungewöhnliche Persönlichkeit nicht ändern muss, sie muss nur mit sich selbst
ins Reine kommen.

 


Die beiden Mitbewohner sind eher reserviert, aber sehr großzügig.


Im Zentrum steht die Beziehung zwischen Hubert und Manuela. Die Nebenfiguren verleihen der Geschichte Würze, verleihen ihr eine zusätzliche Dimension, und sie machen viel Spaß! Eine der Schwierigkeiten des Drehbuchs war, diese beiden Nebenfiguren zusammenzubringen. Ich wollte eine Liebesgeschichte
zwischen ihnen entstehen lassen, sie mussten sich gleichzeitig ähnlich und verschieden sein. Hubert sieht die Menschen in einem sehr klaren Licht. Manuela rührt ihn. Diesen beiden Figuren kann man trauen, fühlt man sich verbunden.

 


Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie die Wohnung ausgesucht?


Der Ort spielt eine entscheidende Rolle. Man hat das Gefühl, in einem der großen Gebäude am Boulevard Haussmann zu sein. Die Einrichtung musste ebenso eine eigenständige „Figur“ sein wie das Phantom von Huberts Frau. Die Einrichtungsgegenstände sind die eines Paares ohne Kind. Das Atelier von Huberts Frau wird Marions Zimmer, in Huberts Büro zieht PG ein. Wie die Figuren auch wandelt sich das Dekor im Laufe des Films, kommt aus dem Schatten ins Licht im Zuge der Veränderungen, die für die Ankunft der neuen Mitbewohner vorgenommen werden.

 


Welche Musik haben Sie sich für den Film gewünscht?


Es ist meine erste Zusammenarbeit mit Fabien Cahen. Ich hatte eine konkrete Vorstellung, was ich wollte: die Originalfilmmusik von Rob Simonsen, der junge amerikanische Komponist von THE SPECTACULAR NOW: PERFEKT IST JETZT (The spectacular now) und GANZ WEIT HINTEN (The Way Way back)
Sehr minimalistisch, ein bisschen Folk, eine Mischung aus Gitarre und Klavier. Fabien hatte zwei Kompositionen, die genau in die Richtung gehen, die mir vorschwebte. Wir haben uns getroffen und festgestellt, dass wir im gleichen Alter sind und auch sonst einiges gemeinsam haben. Das Abenteuer
konnte losgehen...

 


Wie haben Sie konkret zusammengearbeitet?


Ich habe ihm von meinen musikalischen Vorstellungen erzählt, von Simonsen und Künstlern wie Bon Iver und der deutschen Gruppe Get Well Soon, die die Musik für die Serie „Xanadu“ auf Arte geschrieben haben. Er hat vor dem Dreh mit der Arbeit begonnen. Ich habe ihn gebeten, zu warten, bis er fertiges Material sehen und sich an den Bildern orientieren kann. Zusammen haben wir existierende Musiken ausgesucht wie Gush oder Donnie Trumpet als Abspann-Song, das ist gleichzeitig modern und korrespondiert perfekt mit der Stimmung am Ende des Films.

 

Foto: Die beiden Hauptdarsteller(c) Alamodefilm

 

Info: Abdruck aus dem Filmheft von Alamodefilm