Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 29. Dezember 2016, Teil 5

Filmheft

Florenz  (Weltexpresso) - Nach Ihrem Thriller DIE SÜSSE GIER, der eher kühl und mit Sarkasmus erzählt wird, kann man mit diesem neuen Film sagen, dass Sie zur Komödie mit einer wärmeren Tonlage zurückkommen?


Wir hatten zwölf Seiten Stoff über zwei Patientinnen einer Psychiatrie mit komplett gegensätzlichen Charakteren, die ein bisschen zufällig aus einer Klinik abhauen. Eine Art Rebellion gegen die Regeln, Sicherheitsmaßnahmen und Zwänge ihrer Behandlung, die zu einer euphorischen Irrfahrt in die Außenwelt wird.


Also können wir es eine Abenteuerkomödie nennen?

Ich wollte, dass es eine unterhaltsame und menschliche Komödie wird, aber auch eine Geschichte, die sich traut, einem Märchen nahezukommen oder sogar einem psychedelischen Trip, aber ohne ihren Sinn zu verlieren. Wir wollten auch die Ungerechtigkeit, Unterdrückung und das Leiden zerbrechlicher Menschen zeigen, von Frauen, die stigmatisiert, verurteilt und ausgeschlossen werden. Aber ohne, dass daraus ein Pamphlet wird. Wir haben nach Spuren von Freude oder Glück gesucht, selbst in einer psychiatrischen Anstalt. Ist es in Ordnung zu lächeln oder sogar zu lachen, während man eine Geschichte von Leiden erzählt? Hoffen wir, dass die Antwort ja ist, denn das ist es, was mich interessiert, wenn ich einen Film mache. Im Film gibt es eine sehr niederschmetternde
Szene. Und dennoch habe ich versucht, einen glücklichen Ton beizubehalten. Das war für mich die einzige Möglichkeit, über ein so undurchdringbares und rätselhaftes Thema zu sprechen.


Könnten Sie uns von Ihrer Arbeit am Drehbuch erzählen, diesmal gemeinsam mit Francesca Archibugi?


Bevor wir mit dem Schreiben anfingen, haben wir Psychotherapeuten und Psychiater getroffen und sie gebeten, uns auf unsere Reise in die Welt medizinischer Strukturen zu begleiten und uns über ihre Behandlungsmethoden zu unterrichten. Wir haben alle möglichen Patienten getroffen, von hysterischen, melancholischen, aufdringlichen, paranoiden zu wortreichen. Letzten Endes Leute wie aus dem alltäglichen Leben, die Grenzen sind schwammig.
Unter ihnen gab es welche, die von Richtern, dem Sozialamt oder den Institutionen als gefährlich eingestuft worden waren, da sie ein Verbrechen begangen hatten und in psychiatrische Strafanstalten eingewiesen werden sollten. Wir haben eine große Anzahl an Beatrices und Donatellas getroffen.

Wir haben uns für ihre Geschichten interessiert, in ihren oft stürmischen Leben gesucht, da es unmöglich ist, die Identität dieser Personen in einem ärztlichen Bericht oder durch den Namen einer Krankheit oder die Medikamente, die sie nehmen, zu beschreiben. Wir wollten vor allem ihre Sicht der Dinge verstehen. Und die Sichtweise von Donatella und Beatrice anzunehmen, bedeutete die Wichtigkeit ihrer Geschichte zu bestätigen, die von Leid, erlebtem oder selbst begangenem Missbrauch gekennzeichnet ist, eine Geschichte, die auch viele witzige, wahnsinnige, komische Aspekte hat. Wir haben uns in sie verliebt, als wir sie geschrieben haben und auch als wir sie gefilmt haben, da sie uns zum Lachen brachten und weil sie sogar während des Drehs, als sie zu zwei Wesen aus Fleisch und Blut wurden, eine sehr unwiderstehliche, mysteriöse und ansteckende Freude vermittelten. Auch wenn wir in dem Film natürlich viele traurige, düstere und manchmal auch gewalttätige Momente haben, hatte ich doch den Eindruck, noch nie so viel Begeisterung, Heiterkeit und Ausgelassenheit gefilmt zu haben.


Erzählen Sie uns von der Villa Biondi. Ist das eine Einrichtung, die wirklich existiert?


Als wir auf Locationsuche waren, haben wir einige trostlose Orte besichtigt, an denen die Patienten schnell abgefertigt wurden: mit Beruhigungsmitteln ruhig gestellt, ans Bett gefesselt oder einfach vergessen. Aber wir haben auch sehr schöne Orte entdeckt, voller Energie, an denen man versucht, Resozialisierungsprogramme umzusetzen, die über Überwachung hinausgehen, und an denen es angenehm ist, zu leben. Wir haben vor allem auch viele Ärzte,
Psychiater, Psychotherapeuten und anderes Krankenhauspersonal, Freiwillige und Motivierte, Kompetente und Begeisterte getroffen, deren Hingabe sehr bewegend war, trotz eines strukturellen Mangels und dem Fehlen des notwendigen Personals. Wir haben Elemente verarbeitet, die wir in einer Klinik auf den Hügeln von Pistoia beobachtet haben, mitten im Zentrum des Gartenbaus. In der Villa Biondi arbeitet zwar auch eine sehr skeptische und kontrollierende
Sozialarbeiterin. Es gibt auch strenge Regeln und eine Fülle an Medikamenten, die einen dazu bringen könnten, davon zu laufen. Wir wollten, dass es aber auch ein behaglicher Ort ist, zu dem man auch zurückkehren möchte.


Hatten Sie von Anfang an die Schauspielerinnen Valeria Bruni Tedeschi und Micaela Ramazzotti vor Augen?


Ohne die beiden hätte ich den Film nie gemacht. Die erste Inspiration kam beim Dreh von DIE SÜSSE GIER. Micaela kam mich am Tag meines Geburtstags besuchen. Ich drehte die letzte Szene vor der Mittagspause. Und da sehe ich, wie Valeria Micaela zum Cateringzelt mitnimmt. Valeria trug ein elegantes goldenes Kleid und trippelte auf ihren Stöckelschuhen dahin, während Micaela ihr nur mühsam folgte, mit einer Mischung aus Vertrauen und Befremdung.
Und an einem Punkt, da das Gelände vom schmelzenden Schnee aufgeweicht war, gab Valeria Micaela ihre Hand, um ihr zu helfen. Da hatte ich plötzlich Lust, diese beiden geheimnisvollen, schönen, lustigen und vielleicht ein bisschen verrückten Frauen zu filmen.


Zwei weibliche Hauptfiguren, eine Klinik, die nur Frauen aufnimmt. Wollten sie den Film deshalb auch gemeinsam mit einer Autorin schreiben?


Weibliche Figuren haben mich schon immer interessiert, sowohl als Leser als auch als Zuschauer. Von Madame Bovary zu Anna Karenina gibt es eine Art von Literatur, die von der Erzählung des weiblichen Geistes inspiriert ist. Ich denke auch an Carlo Cassola und das Kino von Pietrangeli, Scola, Woody Allen... Es war aber auf jeden Fall sehr hilfreich, den Film mit Francesca zu schreiben. Es war ein Wunsch, den wir seit langem hegten. Wir hatten bereits inoffiziell zusammengearbeitet, als wir beide Schüler von Furio Scarpelli waren, gerade mit der Filmhochschule fertig. Wir haben uns unsere Drehbücher zugeschickt, uns darin vertieft und haben das auch so beibehalten. Aber wir hatten noch nie einen Film gemeinsam geschrieben, und ich dachte, dass es das richtige Projekt
hierfür ist. Wir haben viele gemeinsame Leidenschaften, politische, erzählerische und psychiatrische. Wir haben beide Erlebnisse mit Freunden und Verwandten, die etwas verrückt sind, und vielleicht ziehen wir auch beide leicht verrückte oder psychotische Menschen an.


Kann man DIE ÜBERGLÜCKLICHEN als therapeutischen Film sehen?


Alle Filme sind Therapie. Sie helfen – ich will nicht sagen, zu heilen – aber zumindest helfen sie, das Leben besser zu verstehen, vor allem wenn sie die Komödie mitten im Herz der Tragödie oder des Dramas ans Licht bringen.

 

Foto: Filmheft S. 17 (c) Verleih