Arthur Schnitzler: "DAS WEITE LAND", ORF, 1969, Teil 2/3 

Helmut Marrat

Weltexpresso. (Hamburg) - Hofreiter spürt, dass etwas nicht stimmt, dass seine Frau mehr weiß, und er setzt einiges daran, um hinter ihr Geheimnis zu kommen. Hat sie ein Verhältnis mit Korsakow, ihrer beider Freund, gehabt, mit dem er noch am Abend vor seinem Tod eine Billard-Partie gespielt und verloren hat, er, Hofreiter, der daraufhin am nächsten Morgen dem Korsakow die gewonnenen Zigarren durch seinen Diener hat schicken lassen, wodurch er von dem Tod Korsakows erfuhr?

Genia bedauert, dass es so weit nicht kam. Denn dann würde der Korsakow ja noch leben. 

Man könnte hier auch ein Ausrufungszeichen setzen, aber Ruth Leuwerik spielt die Genia sehr verhalten, zurückgenommen, mehr nachsinnend, mehr nachdenklich. Die Spannung und das Spannende bringt O. W. Fischer (1915 - 2004) als Hofreiter in die Szenen hinein. Und das Gespür Hofreiters ist berechtigt. Das Foto zeigt Genia, wie sie ihrem Gemahl den Abschiedsbrief des Korsakow zum Lesen reicht. - Damit ist die erste Gegenüberstellung Genia – Hofreiter noch nicht beendet. Er fragt: Bedauerst du, nicht seine Geliebte gewesen zu sein? Und als sie darauf nicht wirklich antwortet: Ob sie, wenn sie ihn dadurch wieder zum Leben erwecken könnte, nun seine Geliebte würde? Auch darauf antwortet Genia ausweichend. -

Hofreiter selbst ist während seiner Ehe regelmäßig fremdgegangen. Gerade hat er sein Verhältnis mit der Frau seines Bankiers, mit Adele Natter, beendet, oder besser gesagt: Sie hat es beendet, was ihm noch zu schaffen macht. - Dr. Mauer hat es Genia in der Szene davor gerade mitgeteilt gehabt. Sie weiß also, wie es sich verhält. Sie strebt auch von ihrem Mann weg, will seine Geschäftsreise nach Amerika, im Herbst, dazu benutzen, zu ihrem Sohn Percy nach England überzusiedeln; sie verwendet das Wort "übersiedeln", was ja nach einer zumindest längeren, wenn nicht sogar dauernden Trennung klingt. - Es ist nicht leicht abzuschätzen, ob Hofreiter seine Frau schon völlig gleichgültig geworden ist. Auseinandergelebt haben sie sich zwar. Aber wird ein Mann es seiner Frau nachsehen, wenn sie gleichzöge?

Im II. Akt, als Hofreiter selbst nun aus der für ihn bedrückenden Enge im Zusammenleben mit seiner Frau, deren Treue er nicht ertragen kann, die so sonderbar viel schwerer lebt als er, ausbricht, macht er Genia geradezu den Vorwurf, den Korsakow durch ihre Enthaltsamkeit in den Tod getrieben zu haben. Sie hört sich das in dieser Inszenierung wie eine gelehrige, lernende Schülerin an. - Damit endet der II. Akt. Die Aktschlüsse werden jeweils durch kurze Gesamtausblendungen, also kurzzeitiges Schwarz, markiert; auf diese Weise kurze Zäsuren gesetzt. -  

Schnitzlers Stück erinnert auch an die Stücke Tschechows (1860 - 1904), in denen immer wieder Personen in andere verliebt sind, die sie nicht beachten; wenn auch weniger tragisch, weniger leidvoll, eben luftiger, leichter, wie impressionistisch-hingetupft; vor allem aber auch weniger hoffnungslos und damit näher an einer doch möglichen Erfüllung.

Dr. Mauer liebt Erna Wahl, die aber nur Augen für Friedrich Hofreiter hat. Das mag sich in einer zu denkenden Handlung nach dem Stück ändern. - Dann gibt es die von ihrem Mann, ebenfalls einem eleganten Alpen-Hallodri, verlassene Schauspielerin Meinhold-Aigner, eine elegische verblassende Schönheit, die den gemeinsamen Sohn Otto erzieht, der seinen Vater nie kennengelernt hat. Otto Aigner, zunächst in dieser Film-Inszenierung unauffällig bei seiner Mutter, Genia und den anderen Frauen sitzend, noch recht unscheinbar, entwickelt sich im Laufe der Handlung zum erfolgreicheren Nachfolger Korsakows und damit zum Gegenspieler Hofreiters.

Das alles begibt sich im III. Akt: Hofreiter ist aus der ehelichen Enge und Belauerung ausgebrochen – ins Gebirge. Zum Völser Weiher, in Südtirol (bis 1919 der südliche Teil ganz Tirols). Mit ihm sind Erna und ihre Mutter gereist; auch Mauer ist mit von der Partie, die uns dort zuerst als Bergpartie begegnet, ohne dass der Berg gezeigt würde; hier geht der Film nicht über das Theaterstück hinaus, das die gesamte Handlung in die Halle des Berghotels verlegt. Den Aigner-Turm, der bestiegen wird, fast widerrechtlich bestiegen wird, sieht man nicht; man kann und muss ihn sich vorstellen, was sowohl dem Film wie auch schon dem Theaterstück zugute kommt.

Hofreiter hatte auf einer Tour zum Aigner-Turm seinen Bergkameraden verloren, der vor seinen Augen abstürzte und tödlich verunglückte. Er hatte sich geschworen, diesen Berg nicht wieder zu besteigen, lässt sich aber durch den jugendlichen Übermut Ernas dazu bewegen. Auf dem Berg kommt es zu einer Art Verlobungs-Szene zwischen Erna und Hofreiter; Dr. Mauer ergreift daraufhin die Flucht, lässt sich, ärztliche Pflichten vorbiebend, per Telegramm entschuldigen. Zu einer Heirat ist Erna, die sich zu jung und ungebunden fühlt, noch nicht bereit erklären.

Hier haben O. W. Fischer und Sabine Sinjen (was ja immer ein bisschen wie "sinnlich" klingt) eine sehr schöne konzentriert gespielte Szene zusammen; an einer Baumgruppe vor dem Berghotel. - Dieses Hotel gehört Ottos Vater, dem Herrn von Aigner, der Hofreiter gegenüber Andeutungen macht, Pläne, seinen Sohn erstmals bei seinem bevorstehenden Besuch in Wien kennenlernen zu wollen. - Während dieses Sommeraufenthalts in den Bergen sind sich in Wien Genia und Otto näher gekommen. Das sieht man nicht, erfährt es erst nachträglich im IV. Akt. -

Hofreiter ist bald nach Wien zurückgereist. Abends angekommen, ist er unruhig, sucht Ernas Wohnhaus auf, steigt aber nicht zu ihr hinauf; fährt nach Hause, muss aber sehen, dass seine Frau von Otto besucht wird, später auch per Leiter aus ihrem Schlafzimmer gestiegen kommt. - Er weiß also, was gespielt wird, als er am nächsten Vormittag vorgibt, eben erst angekommen zu sein. - Das ist auch gut – und gleichzeitig unvorsichtig – inszeniert worden: Während Hofreiter mit verschiedenen Gästen im Garten spricht, sitzen Genia und Otto eng auf der Veranda beieinander, Abschnied nehmend. Otto, der Marine-Soldat ist, ist nach Pola, an der Südspitze Istriens, dem damaligen österreichischen Haupt-Marinehafen abkommandiert worden. Sein Zug geht nächsten Tag. Man könnte sie sehen! Fortsetzung folgt

Foto: O.W. Fischer und Sabine Sinjen