Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. Januar 2017, BLUMEN VON GESTERN, Teil 12

Filmheft

Berlin (Weltexpresso) - Chris Kraus liefert Buch und Regie. Der 1963 Geborene erläutert gleich, was BLUMEN VON GESTERN mit seinem eigenen Leben zu tun haben. Bekannt geworden ist er durch die Filme SCHERBENTANZ (2002 )und erst recht VIER MINUTEN (2207), die beide sehr erfolgreich waren – beim Publikum und bei Filmpreisen was POLL 2011 fortsetzte. Die Redaktion

 

WIE SIND SIE AUF DIE IDEE GEKOMMEN, EINE SOZUSAGEN ROMANTISCHE KOMÖDIE UNTER HOLOCAUSTFORSCHERN ERZÄHLEN ZU WOLLEN?

 

Vielleicht, weil ich selbst einmal eine Art Holocaustforscher war. Vor 15 Jahren bin ich auf eine Version meiner Familiengeschichte gestoßen, die mich viele Jahre nicht losließ. Ich habe die Verstrickungen meines Großvaters in seine SS-Vergangenheit doch recht gründlich erforscht.

 

Im Verlauf meiner Recherchen habe ich dann mit vielen Fachhistorikern zu tun gehabt, war in zahlreichen Archiven in Deutschland, Lettland, Polen unterwegs und habe mich in diese Materie geradezu eingefressen. Es ist auch ein Buch entstanden für meine Kinder, ein privates Fachbuch, ein Familienatlas des menschlichen Makels. Und als Nebenprodukt dieser Untersuchungen, die doch sehr deprimierend waren und in den Höllenschlund der conditio humana blicken ließen, habe ich mir dann so eine etwasaufmunternde Liebesgeschichte ausgedacht.

 

 

WIE HABEN SIE DIE SITUATION IN DEN ARCHIVEN ERLEBT? PASSTE DA EINE SO ROMANTISCHE ANORDNUNG WIE IN IHREM FILM HINEIN?

 

Sie müssen sich das eher surreal vorstellen. Wenn man in diesen Archiven sitzt, in der auch im Film verhandelten „Zentralen Stelle Ludwigsburg“ zum Beispiel, einem Archivmit den weltweit umfangreichsten Täterakten, dann findet man da im Lesesaal einerseits die Nachfahren der Täter. Und andererseits hocken direkt daneben die Nachfahrender Opfer. Alle sind ihrer Familiengeschichte auf der Spur.

 

Da kommt es dann zu den absurdesten Dialogen, wenn man mittags in der Cafeteria, die oft den Charme einer Gefängniskantine hat, aufeinandertrifft und über Gott und die Welt spricht. Das ist dann der Einbruch banalster Leichtigkeit in eine innerlich sehr aufgeladene Atmosphäre. Weil die Menschen so unschuldig und jung aufeinanderstoßen, wie sie nun mal sind, und sie gleichzeitig etwas bewegt, was sie eigentlich per se voneinander entfernt. Und so habe ich darüber nachgedacht, was wohl passiert, wenn sich ein Opferenkel und ein Täterenkel ineinander verlieben. Was geht dann ab? Das war der Beginn, der Kern dieser Geschichte, zusammen mit einer Anekdote, die ich über solch ein deutsch- israelisches Liebespaar gehört habe.

 

 

SOLCHE KONSTELLATIONEN KOMMEN VOR?

 

Ja, öfter, als man denkt. Katrin Himmler zum Beispiel hat darüber geschrieben in ihrem beeindruckenden Buch über ihren Großonkel, den „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler.

Sie ist selbst mit einem jüdischen Nachfahren von Holocaustopfern verheiratet. Die gemeinsamen Kinder wachsen doch, jedenfalls stelle ich es mir so vor, in einererstaunlichen Konstellation aus Liebe, Schuld und Sühne auf. Das hat mich inspiriert. Ich fand das ein schönes, ein hoffnungsvolles Bild, durchwirkt von unabwendbaren, weit in die Zukunft reichenden Konflikten.

 

 

SIE ARBEITEN OFT MIT SOLCHEN BILDERN. BEI ‚VIER MINUTEN‘ SAGTEN SIE, SIE HÄTTEN EIN FOTO EINER URALTEN KLAVIERLEHRERIN IN EINER ZELLEGESEHEN, UND DAS SEI EIN SOLCHER GEGENSATZ VON KUNST UND KNAST GEWESEN, DASS DARAUF DER GANZE FILM GEGRÜNDET WURDE.

 

Bei den BLUMEN VON GESTERN war es komplexer. Ich hatte schon lange den Wunsch, etwas über die Verletzungen des Holocaust zu schreiben, die heute noch in uns wüten. Ich suchte aber nach einer Fabel. Mein Eindruck während der zehnjährigen Recherchen über die NS-Vergangenheit meiner Familie war, dass es auf der einen Seite in unserer Gesellschaft eine starke Gedenkmythologie gibt, die echten Schmerz, oder besser, gefühlte Gefühle eigentlich kaum noch zulässt. Und auf der anderen Seite hat dieses Menschheitsverbrechen eben Folgen, die über mehrere Generationen nahezu unbewusst auf ganz anderen Kanälen weitergegeben werden und bis heute fortdauern.

 

Es gibt einige Psychiater, die sich von diesen Folgen redlich nähren. Und das ist nur eine sehr flapsige Umschreibung dafür, dass die Dinge noch lange nicht vorbei sind, nur weilman seit Jahrzehnten so tut, als könne man mit ordentlichen Holocaust- Gedenktagen, dem Besuch des Anne-Frank-Hauses und jahrelangem und oft quälend einschlägigem Schulunterricht den Nationalsozialismus bewältigen.

 

 

ZUMINDEST HALTEN DIESE DINGE DIE ERINNERUNG WACH.

 

Und das ist das Gute daran. Aber in einem Land, das ein erhebliches rechtes Wählerpotential bekommen hat, trotz aller Erinnerungsmantras, glauben auch in Fachkreisen immer weniger Wissenschaftler daran, dass das auf Dauer funktionieren kann. Weil das ständige Wiederkäuen von Lehrsätzen niemanden mehr innerlich berührt. Selbst Organisationen wie „Aktion Sühnezeichen“ überlegen, wie man in Zeichen des demographischen Wandels dieses Thema künftig vermitteln kann, gerade Jugendlichen gegenüber.

 

Die Zeitzeugen verschwinden, durch Immigration wandelt sich unser Land. Wie erreicht man Jugendliche, deren Vorfahren gar nicht von hier kommen? Das kann man meinesErachtens nicht statisch lösen, mit einbetonierten Riten, die ihre innere Kraft verloren haben. Ich finde, dass man einen lebendigen Zugang zu den Nachbeben dieser Ereignisse braucht, die vor über siebzig Jahren die Grundfesten der Zivilisation erschütterten, aber eben immer noch fortwirken. Es ist nicht vorbei. Im Augenblick erleben wir furchtbare Zeiten, in Syrien, in Libyen. Man hat fast den Eindruck, die halbe Welt brennt. Bestialität stirbt nicht aus, sie ist ein Teil unserer mentalen Ausstattung. An dieser Stelle wollte ich ansetzen.

 

 

DIE ERINNERUNGSKULTUR DIESES LANDES WIRD IN IHREM FILM IMMER WIEDER IRONISIERT.

 

Ich weiß nicht, ob man das so pauschalisieren kann. Die formalisierte Erinnerungskultur wird vielleicht ironisiert, aber nicht die Erinnerungskultur der Protagonisten, die ja aufgrund der Traumata unmittelbar ist und in jedem Moment des Filmes herausgefordert wird. Es gibt von dem Soziologen Harald Welzer ein großartiges Buch über die gültige Erinnerungskultur Deutschlands, und das heißt sehr treffend „Opa war kein Nazi“. Darin wird beschrieben, wie es einerseits geradezu einen Holocaust-Kult gibt in diesem Land, einen offiziellen, von jedem einzelnen losgelösten, fast abstrakten Mythos. Und wie andererseits in die individuellen Familiengeschichten überhaupt nicht eingedrungen ist und nicht eindringt, dass all die Perversionen, diegeschehen sind, ja auch irgendjemand gemacht haben muss. Und blöderweise waren das halt nun mal in ganz erheblichem Maße die eigenen Vorfahren. Und nicht Nazis aus dem Weltall.

 

 

SIE HABEN MIT DER HAUPTFIGUR DES TOTO JEMANDEN GEWÄHLT, DER WIE SIE DIE NS-GESCHICHTE SEINER FAMILIE ERFORSCHT.

 

Alle meine Filme haben in irgendeiner Weise mit mir zu tun. Das war in ‚Poll‘ nicht anders, wo ich die Geschichte meiner Großtante Oda Schaefer zum Anlaß nahm, der Frage nachzugehen, wie und warum sich jemand gegen die Überzeugungen der eigenenFamilie stellt. Oda war ja Schriftstellerin und Sozialistin gewesen, und ihr Cousin, mein Großvater, wurde fanatischer Nationalsozialist. Oda nannte ihn in ihren Briefen übrigens „den Blutigen“, und er verachtete sie als Kommunistenschlampe.

Dennoch haben sich die beiden in München im Rentneralter immer mal wieder zum Kaffeetrinken verabredet, einfach weil sie miteinander verwandt waren. Absurd. Dieses Andocken an Dinge, mit denen ich mich vertraut fühle, bedeutet aber nicht, dass ich nicht eine totale Fiktion entwerfe.

 

 

IN DEM FILM SPIELT SEXUALITÄT BEZIEHUNGSWEISE DIE ABWESENHEIT VON SEXUALITÄT EINE GEWISSE ROLLE.

 

Weil es unter anderem ein Liebesfilm ist. Da habe ich lange darüber nachgedacht, welche Versehrtheit den Hauptfiguren den Zugang zueinander erschwert. Sexualität war aus meiner Sicht ein perfektes Ausdrucksmittel, weil sie das Kreatürliche, den Kern des Lebens, verkörpert, während die beiden Protagonisten beruflich dem Kern des Todes,oder, noch schlimmer, dem Kern des Tötens nachspüren. Das ist ja ein absurder Beruf, Holocaustforscher.

 

 

WAREN DIE KOMÖDIANTISCHEN ELEMENTE VON ANFANG AN GESETZT BEI DEN BLUMEN VON GESTERN?

 

Ja. Absolut. Schon weil von Anfang an klar war, dass es eine Versöhnungsgeschichte werden soll. Also eine Geschichte über die Chancen, die Menschen einer unmöglich erscheinenden Versöhnung einräumen. Diese absolute Trennung zwischen „Juden“ und „Deutschen“, die der Holocaust gezeitigt hatte, schien ja auf alle Zeiten dasVerhältnis der Völker zueinander festgelegt zu haben. Vor diesem Hintergrund ist eine Liebesgeschichte zwischen einer Jüdin und einem Deutschen, dessen Großvater dieGroßmutter der Jüdin ins Gas geschickt hat, am denkbar weitesten weg von der Trennung, die die Nazis verbrochen haben. In dem damit verbundenen Wunsch nach Versöhnung liegt auch die Legitimation des Komödiantischen, des Leichten, wie ich finde.

Fortsetzung folgt

 

Foto: Chris Kraus (c) Verleih

Info:

Chris Kraus, Die Blumen von gestern, ein Filmbuch, Diogenes 2017