Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. Januar 2017, BLUMEN VON GESTERN, Teil 13
Filmheft
Berlin (Weltexpresso) - ES GAB NIEMALS DIE FRAGE: DARF MAN DAS, ÜBER DIESES THEMA LACHEN?
Lacht man denn über ein Thema? Ich denke, man lacht über den Menschen und seine absurde Zuversicht, einen Sinn im Dasein zu erkennen. Der Sinn, den Toto in seiner Forschung einst gesehen hat, wird ja durch die Kommerzialisierung der guten Absicht zum Teil ad absurdum geführt.
Wir begegnen Toto in seiner tiefsten Sinnkrise, das eben gibt ihm komisches Potential. Mein Produzent Danny Krausz, dessen Vorfahren selbst Holocaustüberlebendewaren, dessen Vater sogar für die Haganah in Palästina gekämpft hat, hat mir immer gesagt: Du darfst das nicht nur komödiantisch machen. Du musst es sogar komödiantisch machen. Danny war einer der größten Förderer und der neben Kathrin Lemme wichtigste Partner dieses durchaus schwierigen Projekts, das sich immer wieder rechtfertigen musste vor solchen Fragen nach der Zulässigkeit von Humor. Das finde ich abstrus, weil damit ein Denkverbot einhergeht. Ein Lachverbot ist immer auch ein Denkverbot.
GAB ES FILMISCHE VORBILDER?
Einige. Für uns war immer der wunderbare Film von Roberto Benigni ein Vorbild: „Das Leben ist schön“. Obwohl dieser Film von Tragik und Trauer grundiert ist, freut mansich über den Triumph, den die Hauptfigur am Ende über die Nazis davonträgt. Warum sollte man sich in unserem Film nicht über den Triumph freuen, der die eigentlich unmögliche Liebe zwischen Toto und Zazie bedeutet? Ich wollte ja gerade, dass man sich darüber freut, und beim Freuen hilft Humor, das ist nun einmal so.
DER FILM REFLEKTIERT STARK DIE FRAGEN NACH SCHULD UND VERANTWORTUNG.
Ja, weil das eben auch von den Protagonisten so reflektiert wird. Toto trägt seine hohe Moral sehr sichtbar vor sich her, die nicht nur alle Menschen nervt, sondern an der er aufgrund seiner Gewaltbereitschaft auch ständig scheitert. Sie kann ja aufgrund seiner eigenen Vergangenheit gar nicht lebbar sein, wobei die reine Moral sowieso nicht lebbar ist.
Moral kollidiert immer mit dem Leben. Toto stopft also sein moralisches Loch, seine zahllosen Schuldgefühle, mit betont hohen Moralerwartungen an sich selbst und anseine Umwelt aus. Damit muss er scheitern, so wie Don Quijote an seinen Vorstellungen einer vollkommen ritterlichen Gesellschaft scheitert, die es eben gar nicht gibt.
Von der ersten Szene an wertet Toto seine Umwelt ohne jede Nachsicht und ist dabei doch selbst ethisch hochgradig angreifbar. Diesen inneren Widerspruch, diese Ambivalenz, wollte ich unbedingt erzählen. Wie soll das jedoch möglich sein, wenn man nicht Elemente der Komödie einsetzen kann? Toto ist eben eine zutiefst komödiantische Figur, bei aller inneren Tragik.
SIE SPRACHEN VORHIN ÜBER DAS ELEMENT DER VERSÖHNUNG IN DEM FILM. TOTO WIRKT DOCH RECHT UNVERSÖHNLICH.
Ja eben, deshalb fällt ihm und damit dem Film das der Handlung innewohnende Ziel so schwer. Toto verzeiht sich ja nichts. Und um sich zu bestrafen, verzeiht er auch den anderen Menschen nicht das geringste. Strafe hat ja immer was mit Moral zu tun. Mit Moral, die nicht geklappt hat, natürlich.
WIE IST ES MIT DER FIGUR DER ZAZIE, IN DIE TOTO SICH VERLIEBT?
Zazie war für mich immer in gleichem Maße von der Familienvergangenheit traumatisiert wie Toto, hatte nur aufgrund eines anderen Temperaments andere psychischeErscheinungsformen. Aber die Zerstörungen in beiden Charakteren sind doch vergleichbar. Darüber nähern sie sich einander an. Über ihre Mängel und Traumata. So etwas verbindet.
WIE WURDE DIE SCHAUSPIELERISCHE INTERPRETATION DER HAUPTROLLEN ERARBEITET?
Vor allem durch Proben. Leider hatten wir nicht sehr viel Zeit diesmal. Es gab nur eine Woche Hauptproben, was bei den komplexen Figuren schwierig war.
WIE KANN MAN SICH DIE ZUSAMMENARBEIT ZWISCHEN IHNEN UND LARS EIDINGER VORSTELLEN?
Als großen Glücksfall für mich. Lars ist ein Schauspieler, wie ich noch nie zuvor einen kennengelernt habe. Er schlüpft eigentlich immer in Rollen, aber mit einer so unglaublichen Wahrhaftigkeit, dass er dennoch in jeder Sekunde er selbst ist. Ich liebe sehr, wie er die Reflexion über sich in seine Arbeit trägt. Wir haben uns sehr gut verstanden.
Am Anfang hatte ich etwas Sorge, weil das menschenfeindliche Element seiner Figur so überhaupt nicht in ihm spürbar war. Aber er hat es schnell gefunden. Er nimmt alles wahnsinnig ernst und ist gleichzeitig wahnsinnig spielerisch. Dass man diese beiden Extreme so verknüpfen kann in einer Person, das ist schon irre. Ich bewundere ihn zutiefst.
WIE SIND SIE AUF ADÈLE HAENEL GEKOMMEN, DIE IN FRANKREICH LÄNGST EIN GROSSER STAR IST?
Das war ursprünglich ein Vorschlag von der Casterin Nina Haun, mit der ich fast alle meine Filme gemacht habe. Als ich Adèle vor drei Jahren kennenlernte, war sie eine aufsteigende Jungschauspielerin, nicht der französische Megastar von heute. Wir hatten großes Glück, dass sie aus persönlichen Gründen gerne in einem deutschen Film spielen wollte, um ihren eigenen deutsch-österreichischen Wurzeln nachzuspüren.
WIE KOMMT ES, DASS ADÈLE HAENEL NAHEZU FLIESSEND DEUTSCH SPRICHT?
Ein wahres Wunder. Adèle konnte bis auf zwei, drei Brocken kein einziges deutsches Wort, als ich sie zum ersten Mal traf. Ihre Figur musste diese Sprache aber gut beherrschen. Ursprünglich hatten wir geplant, ihr einen Sprachcoach an die Seite zu stellen, so wie wir das mit Tambet Tuisk in ‚Poll‘ gemacht hatten. Aber Adèle weigerte sich standhaft, fand das unauthentisch und jagte den Armen fort. Sie sagte mir: „Gib mir drei Monate, dann spreche ich wie Goethe“. Und so war es. Sie lebte ein paar Wochen in Dresden, nahm sich in Paris eine Privatlehrerin und als sie schließlich nach Berlin zum Drehen kam, war sie ein richtiges Plaudertäschchen und konnte fluchen wie die BerlinerTaxifahrer. Das war schon sehr beeindruckend.
WIE WAR ES, NACH ZEHN JAHREN WIEDER MIT HANNAH HERZSPRUNG ZU ARBEITEN?
Wahnsinnig berührend. Wir haben uns ja nie aus den Augen verloren. Für uns beide war ‚Vier Minuten‘ ein Punkt, an dem unsere Karrieren begannen. Wir wollten schon bei‚Poll‘ wieder zusammenarbeiten, aber ihre Rolle wurde im letzten Moment gestrichen. Als wir uns am Set trafen, war die alte Vertrautheit sofort wieder da. Ihre Rolle der Ehefrau Totos war eine Herausforderung, zumal wir sie um zehn Jahre älter machen mussten. Wir haben sie körperlich verändert, sie bekam so einen wulstigen Fat-Suit an. Undsie hatte da großen Spaß gehabt, riesige Brüste zu bekommen. Sie sollte ja so einen Panzer aus Fett haben, mit dem sie sich selber gegen ihr Leben wehrt, nichts an sich heranlässt. Und sie hatte auch Lust, auf verlebte Nymphomanin geschminkt zu werden. Sie ist eine ungeheuer mutige Schauspielerin, und das schätze ich ja sowieso an Schauspielern am meisten: Mut.
MUT HATTE AUCH JAN JOSEF LIEFERS, DER EINEN TEIL SEINER ROLLE LISPELND UND MIT KIEFERSCHIENE ABSOLVIEREN MUSSTE.
Jan ist einer der tollsten Komödianten, die wir überhaupt haben. Wir kannten uns vorher kaum. Ich wusste aber durch die ‚Turm‘-Verfilmung sowie einen schwedischen Film, beidem er mitgemacht hatte, über welche Tiefe er verfügt. Als Balti sollte er nicht nur eine Witzfigur sein, sondern auch ein tragisches Gewicht haben, das nur in sehr wenigenMomenten zum Ausdruck kommt. Das hat mich ungeheuer beeindruckt, wie er das gestaltet hat. Was Timing anbelangt, ist er sensationell. Jan hat überhaupt keine Allüren,und die Kiefernschiene, auf die Sie anspielen, kommte ihm gar nicht albern genug sein. Das muß man erst mal mit dieser Selbstverständlichkeit hinkriegen.
IN DER BEEINDRUCKENDEN NEBENROLLE DER FRAU RUBINSTEIN, DIE DAS GESCHEHEN AUF GANZ EIGENE WEISE ERDET, IST SIGRID MARQUARDT ZUSEHEN, DIE SELTEN IM FILM SPIELT.
Sigrid Marquardt ist eine einst sehr berühmte Burgschauspielerin gewesen, die jedoch seit 50 Jahren kaum Filme gemacht hat. Leider starb sie vor wenigen Wochen, unddas ist sehr traurig. Sie wollte unbedingt diesen Film vor ihrem Tod noch sehen. Wir taten alles, um ihr diesen Wunsch zu erfüllen. Aber als dann die Vorführung in ihremKrankenzimmer sein sollte, war sie kurz zuvor gestorben.
Sie hat ihrer Figur eine Grandezza und gleichzeitig eine Bärbeißigkeit gegeben, ohne die diese vielleicht schwierigste Figur des Films leicht in die Karikatur hätte rutschen können. Sigrid, die 91 Jahre alt wurde, hat die Nazizeit ja noch als Erwachsene erlebt, worüber sie auch immer wieder sprach während der Dreharbeiten. Ihr war der Film wichtig, gerade auch mit dem, was er erzählen will.
IM TEAM SIND VIELE MITARBEITER AUS IHREN FRÜHEREN FILMEN DABEI, GLEICHZEITIG GIBT ES AUCH EINIGE NEUE GESICHTER.
Ich arbeite am liebsten mit meinem gewohnten Team und ich besetze auch gerne Schauspieler, die ich schon kenne. Diese Anhänglichkeit ist vielleicht ein Reflex auf das Vergehen von Zeit. Und natürlich auch eine gewisse Sehnsucht nach Qualität. Diesmal war die Produktion zum Teil kriegsähnlich – nicht in der Atmosphäre des Drehens, ganz und gar nicht. Sondern schlicht im Zustandekommen, das immer wieder elementar gefährdet war, über die Jahre der Entwicklung, Finanzierung, Produktion hinweg.
WELCHE SCHWIERIGKEITEN HATTEN SIE ZU ÜBERWINDEN?
Die Kamera zum Beispiel sollte ursprünglich Daniela Knapp übernehmen. Aus familiären Gründen ging das nicht, sie musste kurz vor Produktionsbeginn aussteigen. Dann übernahm Busso von Müller, der kurz darauf schwer erkrankte und wenig später starb, ein tragischer Verlust. Sonja Rom musste dieses schwere Erbe antreten, ein Wahnsinneigentlich, die beiden hatten miteinander an der dffb studiert, zusammen mit mir. Sonja kam vier Wochen vor Drehbeginn auf das Projekt und bis zur ersten Klappe konnten wir nicht ein einziges Mal das Buch durchsprechen, weil wir einfach damit beschäftigt waren, die Drehorte zu finden. Die optische Auflösung fand on location statt, während des Verfertigens der Gedanken beim Drehen. So habe ich noch nie gearbeitet, und das gilt auch für andere Drehbedingungen.
Wie auch immer: Sonja hat das phantastisch gemacht, hat die schwierigen Umstände in einen Vorteil umgewandelt, indem sie Bilder von Improvisation und Frische erfand, was den Film sehr erdet, wie ich finde.
Foto: Jan Josef Liefers und Sigrid Marquardt
Info:
Chris Kraus, Die Blumen von gestern, ein Filmbuch, Diogenes 2017