Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. Januar 2017, Teil 12

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ganz interessant, daß der Film, dessen Leitmotiv der Mord an dem amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy am 22. November 1963 in Dallas ist, direkt nach der Wahl von Trump zum neuen amerikanischen Präsidenten in Deutschland anläuft, nachdem zudem am Wochenende der Thriller MORD IM WEIßEN HAUS im Fernsehen gezeigt wurde.


Ausgerechnet auf Jackie Kennedy bezieht sich zudem die neue First Lady in ihrem Bestreben, diese Rolle auszufüllen, wobei dies rein äußerlich gemeint ist, das, was man Stil und Stilwillen nennt. Und vom Willen zum Stil ist in JACKIE auf vielen Ebenen die Rede, wo es schlicht darum geht, fiktiv mit Mitteln des Reenactment und viel Phantasie und Einfühlungsversuchen, uns zu erzählen, wie Jackie Kennedy (Natalie Portman) innerhalb einer Woche den Mord an ihrem Mann verarbeitet und welches Gedenken an den ermordeten Präsidenten sie durch die öffentliche Beerdigung in die amerikanische Erinnerungskultur implantieren möchte.

Derjenige, dem gegenüber sie sich äußert, ist im Film ein unbenannter Journalist (Billy Crudup), der als einziger mit ihr im heimischen Hyannis Port in Massachusetts dies Interview führen darf, das über Stunden hinweg mit vielen Rücknahmen des Gesagten und Hinweisen, das das Gesagte nie veröffentlicht werden darf, von ihr geführt wird. Das entspricht übrigens der Wahrheit. Es war Theodore H. White von der Zeitschrift LIFE, dem die Präsidentenwitwe damals ein Interview gewährte. Das Interview im Film nun wieder ist Anlaß der Rückerinnerung, hauptsächlich der Fahrt durch Dallas und dem Mord sowie der Tage danach.

Das ist gespenstisch schon vom Thema her, aber der chilenische Regisseur Pablo Larrain traut sich, in dieser Wunde der jüngeren amerikanischen Geschichte herum zu rühren und die persönliche Trauer der Witwe in dieser Mischung zwischen Staatspathos und tiefer Empfindung gewissermaßen zu überhöhen und die Person fast in transzendente Zustände zu überführen. Tatsächlich denkt man manchmal, daß Jackie Kennedy gleich ins Schattenreich eingeht oder in eine Zwischenwelt abhebt. Das ist überhaupt nicht kritisch gemeint, sondern soll diese Ästhetisierung bezeichnen, die Regie und die Gestaltungskraft von Natalie Portman möglich machen.

Mit der Musik und ihrem rasenden Sturz beginnt es, der analog vermitteln soll, wie hier die Präsidentengattin im Glück innerhalb von Sekunden ihren Mann verliert und die Nation ihren geliebten (und von wenigen tief gehaßten) Präsidenten, Unglück auf allen Seiten. Wer damals den Mord am die Nation begeisternden John F. Kennedy miterlebt hat, weiß um diese Bilder, die den Schuß und den tödlich getroffenen Kennedy festhalten und seine Witwe, wie sie den Kopf hält und gleichzeitig auf dem Wagenverdeck Schutz und Hilfe für ihren Mann sucht. Diese Bildern durchgeistern auch den Film, der eine eigentümliche Mischung aus Wahrheit, Fiktion und möglicher Wirklichkeit mit viel Phantasie ist. Auf jeden Fall ist festzuhalten, daß Larrain einen visuellen Topos des kulturellen Bildgedächtnisses mehrfach nutzt und damit für das zusätzlich Erfundene eine Plausibilität mitliefert.

Aber wie er das macht, ist ungeheuerlich und wäre ohne die Anverwandlung der Natalie Portman mehr und mehr in die konkrete Jackie Kennedy nicht möglich geworden. Er läßt nämlich viele Szenen, die wir genauso kennen und die auch zum kulturellen Gedächtnis gehören, z.B. wie die Witwe mit ihren beiden kleinen Kindern vor dem Grab steht und der kleine Junge salutiert, er läßt durch Nachspielen das Geschehen als genau so stattgefunden empfinden. Was die Beerdigung angeht, ist die Übereinstimmung leicht festzustellen, aber es gibt eine Menge Szenen in den Rückblenden, die uns deshalb als genauso wahr erscheinen, obwohl wir selbst das nicht wissen können.

Nein, Larrain will uns nicht reinlegen und irgendetwas unterjubeln. Er will einfach in seinem Film zeigen, mit welchen filmischen und darstellerischen Mitteln man eine historische Figur in eine Anzahl von Figuren verlebendigen kann, die alle Anspruch auf eine wirkliche Jackie erheben können. Denn das Eigenartige und nur deshalb zu Akzeptierende dieses Mischverfahrens, das er anwendet, ist, daß uns die Präsidentenwitwe als facettenreich entgegentritt, so als ob wir mit ihr ausprobieren, welches ihre Rolle als ebendiese Präsidentenwitwe die überzeugendste ist, in der sie nun dafür zu sorgen hat, daß der ermordete Präsident und zufällig auch ihr ermordete Ehemann in seinem Staatsbegräbnis, das sie an dem von Lincoln – auch einem nach einem politischen Erfolg ermordeten Präsidenten – ausrichten wird, für immer im Gedächtnis der Nation verankert ist.

Dies ist ihr gelungen und dem Film gelingt es, fast gegen unseren Willen, uns außerordentlich zu beeindrucken und auch, uns zu berühren.

 

Foto: Nicht nur Natalie Portman sieht manchmal Jackie Kennedy gespenstisch ähnlich. Das gilt auch für den Darsteller des Präsidenten Caspar Philllipson, beide hier in großer Gesellschaft (c) Verleih

 

Info:


BESETZUNG                                                                SYNCHRONSTIMMEN

Jacqueline Kennedy           NATALIE PORTMAN                 Manja Doering
Robert „Bobby“ Kennedy    PETER SARSGAARD               Peter Flechtner
Nancy Tuckerman             GRETA GERWIG                      Nicole Hannak
Journalist                          BILLY CRUDUP                        Oliver Siebeck
Priester                            JOHN HURT                             Jürgen Thormann
Lyndon B. Johnson           JOHN CARROLL LYNCH            Axel Lutter
Lady Bird Johnson            BETH GRANT                           Monica Bielenstein
William Walton                 RICHARD E. GRANT                 Frank Röth
Jack Valenti                      MAX CASAELLA                      Tobias Lelle
John F. Kennedy               CASPAR PHILLIPSON              Karlo Hackenberger
u.v.a.