Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. Januar 2017,   Teil 13


Kirsten Liese

 

Berlin (Weltexpresso) - Machtvolle Streicherakkorde gleiten abwärts, dramatisch, schief und unheilvoll,  dass es einem schwindelt. Sie katapultieren einen mitten hinein in die seelische Verfassung einer Frau, deren glamouröses Leben sich schlagartig ändert, als sie ihren Mann durch tödliche Schüsse verliert. 

Ihr Gesicht ist ausdruckslos, ihr Körper starr, allein die Musik macht ihren inneren Aufruhr hör- und spürbar. Wieder und wieder legt sich dieses beunruhigende Glissando über die Bilder.


„Jackie“ ist der erste englischsprachige Film des chilenischen Regisseurs Pablo Larraìn und kein klassisches Biopic. Er konzentriert sich vielmehr auf einen kurzen, aber bedeutenden Ausschnitt im Leben der amerikanischen Stilikone: die schicksalhafte Woche nach dem Attentat in Dallas im November 1963.
Noch in der engen Air Force One trägt Jackie (Natalie Portman) das blutverschmierte, rosa Chanel-Kostüm, als Lyndon B. Johnson (John Carroll Lynch) zum neuen Präsidenten vereidigt wird. In impressionistisch anmutenden Miniaturen folgen die Rückkehr ins Weiße Haus, das sie nun schnellstmöglich verlassen muss, die Konfrontation mit den Kindern, die noch nichts vom Tod des Vaters wissen, die Begegnung mit Bobby Kennedy (Peter Saarsgard) sowie die komplizierten Vorbereitungen zu der Trauerfeier und Bestattung, bei denen sie sich immer wieder gegen enorme Widerstände durchsetzen muss, um diesen Ereignissen ihren Stempel aufzudrücken.


Um sie herum werden unterdessen Koffer gepackt, wechselt eine Administration im Eiltempo das Personal aus, wartet die nächste First Lady schon mit einem neuen Blumenmuster auf den  Tapetenwechsel. Aber eine Nacht bekommt Ms. Kennedy noch, um sich von diesem Haus zu verabschieden. Noch einmal wandelt sie durch die Flure, betrinkt sich und legt ein letztes Mal eine Platte auf mit dem Lieblingssong ihres Mannes aus dem Musical „Camelot“.
Im Zentrum aber steht die Begegnung mit dem Journalisten Theodore H. White (Billy Crudup) auf dem Landsitz in Hyannis Port, Massachusetts. So sehr ihr ein Interview auch als lästige Pflicht erscheint, lässt Jackie sich darauf ein, um möglichen Spekulationen um die Ermordung John F. Kennedys vorzubeugen und ihre Version in die Welt hinauszuschicken.


Ihre Erinnerungen bieten Raum für zahlreiche Rückblenden, aber konventionelle Erzählmuster vermeiden der Regisseur und sein Autor Noah Oppenheim. Vorsichtig nähern sie sich ihrer Protagonistin an mit einem Puzzle aus Splittern und assoziativen Erinnerungsschnipseln, unchronologisch in der Abfolge und durchwirkt auch von einigen Ungereimtheiten und Leerstellen. Die Wahrheit liege irgendwo zwischen den Bildern, meint Larraìn, war doch Jacqueline Lee Kennedy Onassis zumindest aus seiner Sicht die „große Unbekannte unter den Berühmtheiten der Welt“.


Umso bedeutsamer erscheinen die wenigen zeithistorischen Dokumente, die über die First Lady in dieser Phase authentisch Auskunft geben,  allen voran eine live für das Fernsehen entstandene Sendung vom 14.Februar 1962, die Larraìn in Schwarzweiß mit knisterndem Ton und bis in die Unschärfen des Bildes hinein meisterlich nachinszeniert. Sichtlich stolz führt die von der High Society beneidete Präsidentengattin in dieser Aufzeichnung einen CBS-Journalisten durch das Weiße Haus und präsentiert die von ihr vorgenommenen Veränderungen, mit denen sie für kosmopolitisches Flair sorgte.


Natalie Portman, die 2011 schon einmal einen Oscar für „Black Swan“ gewann, wirkt speziell in diesen Szenen so authentisch, dass man sich anfänglich nicht sicher ist, ob sie das überhaupt ist oder nicht vielleicht doch die echte Ms. Kennedy. Dazu gibt sie eine weitere oscarreife Vorstellung als eine Frau, die allen Boulevardklischees zum Trotz gegen das konventionelle Frauenbild ihrer Zeit ankämpft und sich unerschütterlich bemüht, ein von Gewalt zerrissenes Amerika in einer zivilisierten Nation zu einen. Vor allem aber gibt sie der First Lady ein menschliches Antlitz. Sie weint, zittert, tröstet die Kinder, ringt um Haltung, mal unsicher, mal gefasst, mal neurotisch oder depressiv. Kurzum: Sie trägt den Film. Daraus ergibt sich fast unweigerlich, dass alle anderen Figuren mehr oder weniger Randerscheinungen bleiben, sei es der um Schadensbegrenzung bemühte Bobby, die loyale Assistentin Nancy Tuckerman (Greta Gerwig), der empörte Sicherheitsbeamte Jack Valenti (Max Casella) oder auch der überforderte Priester (John Hurt), bei dem sie Trost sucht.


Am Ende nimmt Mika Levis atmosphärischer Soundtrack noch einmal die beklemmenden Streicherklänge auf. Wiewohl sie in ihrem Leben noch viel vor sich hatte, sollte es noch lange dauern, bis Jackie wieder halbwegs unbeschwert nach vorne schauen konnte, erklärte sie doch noch 1968 im Hinblick auf Bobbys Präsidentschaft: „Ich kann nicht sehr froh sein. Denn ich weiß, er wird erschossen wie mein Mann“.

 

Foto: (c) Verleih

Info:


BESETZUNG                                                                SYNCHRONSTIMMEN

Jacqueline Kennedy           NATALIE PORTMAN                 Manja Doering
Robert „Bobby“ Kennedy    PETER SARSGAARD               Peter Flechtner
Nancy Tuckerman             GRETA GERWIG                      Nicole Hannak
Journalist                          BILLY CRUDUP                        Oliver Siebeck
Priester                            JOHN HURT                             Jürgen Thormann
Lyndon B. Johnson           JOHN CARROLL LYNCH            Axel Lutter
Lady Bird Johnson            BETH GRANT                           Monica Bielenstein
William Walton                 RICHARD E. GRANT                 Frank Röth
Jack Valenti                      MAX CASAELLA                      Tobias Lelle
John F. Kennedy               CASPAR PHILLIPSON              Karlo Hackenberger
u.v.a.